Viel wurde nicht erreicht in dem Jahrzehnt der Millenniums-Entwicklungsziele, doch gibt es auch durchwegs vorzeigbare Erfolge. Das größte Hindernis ist der mangelnde politische Wille und die Politik des Eigennutzes der reichen Länder, meint Petra Navara-Unterluggauer.
Haben Sie am 23. September die Nachrichtensendung ZiB 2 gesehen? Außenminister Michael Spindelegger fasste im Anschluss an das New Yorker Gipfeltreffen zu den Millennium Development Goals (MDGs) in wenigen Sätzen Österreichs Position zusammen. Sinngemäß sagte er, dass Österreich nach wie vor zur Umsetzung der MDGs stehe und die Staatengemeinschaft diese auch erreichen werde, nur eben „ein paar Jahre später“.
Eigentlich war nichts Neues zu erwarten, denn die Positionen der EU und der einzelnen Nationalstaaten zu diesem hochkarätig besetzten Event werden, genauso wie das Schlussdokument, schon lange vorher formuliert. Und dementsprechend sieht dann das Ergebnis aus. NGO-Netzwerke weltweit kritisieren, was sie schon vor dem Gipfel kritisieren mussten: Mangelnde Aufmerksamkeit für die Ursachen von Armut, eine Vernachlässigung des menschenrechtlichen Ansatzes, das Fehlen zeitlicher und inhaltlich bindender Rahmen für die Zielerreichung, die Weigerung, die staatliche Entwicklungshilfe gesetzlich festzulegen, das neuerliche Aussparen des Themas der Geldströme und Steuern sowie mangelnde Konsistenz charakterisieren das seichte und wenig überzeugende Ergebnisdokument des MDG-Gipfels.
Dennoch, ein klein wenig wurde ich überrascht: Die Besteuerung von Finanztransaktionen wurde zumindest in den Debatten angesprochen, Produktion und Handel der Industrienationen wurden als inkohärent mit einer entwicklungspolitischen Zielsetzung entlarvt. Positionen, die NGOs seit Jahren in die Diskussion zu bringen versuchen, werden nun auf hoher Ebene zumindest angesprochen und damit – hoffentlich – salonfähig gemacht. In Österreich sagt man zu diesem Phänomen: Das ist nicht Nichts! Ich bin optimistisch genug: Es ist noch nicht zu spät, an Fortschritt zu glauben.
Mein Optimismus wird auch genährt durch die Erfolge, die bei einzelnen Zielen vorzuweisen sind: Die Zahl der HIV-Infizierten, die eine antiretrovirale Therapie in Anspruch nehmen können, hat sich in den letzten fünf Jahren verzehnfacht; der Anteil der Kinder, die eine Grundschule besuchen können, ist weltweit gestiegen. In Malawi und Brasilien konnten mit gezielten Programmen Unterernährung und Hunger drastisch reduziert werden. Dies sind Beispiele dafür, dass Erfolge bei der Verwirklichung der MDGs durchaus möglich sind, wenn die ökonomischen Rahmenbedingungen gegeben sind und die Regierungen – mit politischem Willen ausgestattet – über die finanziellen Möglichkeiten verfügen.
Dies war jedoch in den vergangenen zehn Jahren zu selten der Fall. In vielen Ländern kommt die Verwirklichung der MDGs nur schleppend voran, vor allem fragile Staaten verzeichnen mitunter sogar Rückschritte. Dass diese – vor dem Hintergrund der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise – mit der Zielerreichung am weitesten hinterher hinken, ist nachvollziehbar. Was mich aber geradezu wütend macht, sind jene Ziele, die durch Desinteresse, mangelnden politischen Willen und hegemoniale Machtfantasien von Industrienationen hintertrieben werden.
Ich spreche von Ziel 8, dem „Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft“. Wenn Länder des Südens Ziele nicht erreichen, zeigen wir sofort mit ausgestrecktem Finger auf ihre Eliten und urteilen schnell: Korruption!
Ich spreche keine Regierung eines Entwicklungslandes frei von Verantwortung oder sogar Schuld, wenn sie die MDGs 1 bis 7 nicht konsequent verfolgt. Aber noch weniger spreche ich die reichen Länder frei, wenn sie ihr Ziel 8 nicht erreichen. Ihre – unsere – Politik produziert Ungerechtigkeit, Ausbeutung von Mensch und Natur in Entwicklungsländern, Armut und Hunger. Wissentlich. Weil andere Ziele „wichtiger“ sind: solche, die von einer starken Lobby vertreten werden; solche, die den Parteien und PolitikerInnen kurzfristig Vorteile und handfesten Nutzen einbringen.
Die Armen haben keine Lobby – nicht einmal in Österreich, wo 300.000 Menschen unter der Armutsgrenze leben. Armut ist eine Frage der Verteilung. Und Politik eine Frage des Anstands. Und nicht zuletzt ist es ihre Pflicht, für gesellschaftliche Werte einzustehen und entsprechende Entscheidungen zu treffen. Aber dennoch ist es scheinbar politisch undenkbar, eine Vermögenssteuer einzuheben, um das Einkommen mit zusätzlichen Steuereinnahmen über die Armutsgrenze zu heben. Wieso eigentlich?
Doch zurück zum ZIB 2-Interview mit Minister Spindelegger: Abgesehen von der unrichtigen Behauptung, Österreich befinde sich mit der Kürzung seines EZA-Budgets im „Mainstream“ (knapp die Hälfte der 27 EU-Mitgliedstaaten hat die Mittel erhöht, Österreich ist mit minus 31,2% im Vorjahr Spitzenreiter bei den Kürzungen), sagte er: „Wir stehen hinter den Zielen und wollen sie, mit ein paar Jahren Verzögerung, durchaus erreichen.“
Für mich heißt das: Jetzt geht’s los! Mit dem Abflauen der Krise können wir Ziel 8 umsetzen, indem wir Welthandel und globale Finanzwirtschaft reformieren und entwicklungsfördernd ausrichten. Die gesetzliche Verankerung des EZA-Budgets und seine stufenweise Erhöhung auf 0,7% kann Realität werden.
Sagen Sie, was Sie wollen: Die Aussagen von unserem Herrn Minister geben Anlass zur Hoffnung. Und ich will ja wirklich an die Integrität seines Amtes glauben. Auch wenn keine Gelegenheit ausgelassen werden darf, ihn an seine Versprechen zu erinnern.
Petra Navara-Unterluggauer ist Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe (www.globaleverantwortung.at). (Siehe SWM 9/10 S.7.)
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