Achtzig Jahre jung wurde der Schauspieler Otto Tausig Mitte Februar, doch außer Dienst ist er noch lange nicht. Die Zustände in der so genannten Dritten Welt lassen ihm keine Ruhe. Mit dem langjährigen Burgschauspieler sprach Werner Hörtner.
Also war das Selbst-Erleben das aufrüttelnde Moment?
Ja, wir haben dort in einem sehr schönen Hotel gelebt, im Taj-Mahal-Hotel in Bombay, und haben gute Gagen bekommen für den Film. Man ist rausgegangen, vor dem Hotel stand ein großmächtiger Sikh mit einem wunderbaren blauen Seidenturban und einem tollen Schnurrbart, der war dazu da, um die Armen wegzujagen, damit die nicht die Hotelgäste belästigen. Wenn man rausgegangen ist, durfte man ja keinen Menschen anschauen, vor allem Kinder nicht, denn wenn man jemanden anschaute, kam gleich eine Hand, und wenn man da was reingegeben hat, waren plötzlich hundert Hände da. Ich bin in der Früh durch Bombay gegangen, da musste ich über die schlafenden Menschen drüber steigen.
In welchem Film haben Sie da mitgespielt?
„Nocturne indienne“, ein französischer Film nach einer Story von Antonio Tabucchi – der sich ja jetzt gerade gegen Berlusconi ausgesprochen hat.
Haben Sie sich nachher auch theoretisch mit dieser Thematik auseinander gesetzt?
Ja, natürlich. Aber über die Hintergründe habe ich früher auch schon gelesen. Ich habe mich schon immer für soziale Fragen interessiert.
Sie sammeln ja nicht nur allein bzw. mit Ihrer Frau für Projekte – Sie haben eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern gefunden, die da mittun.
Angefangen hat das so, dass wir, meine Frau und ich, unsere Gagen hergegeben haben. Wir haben eine Pension, davon können wir tadellos leben, und ich habe das Glück, noch ganz gute Angebote vom Theater und vom Film zu bekommen, meine Frau auch, und da stecke ich halt, oder stecken wir, das ganze Geld in diese Projekte, und die anderen sehen das und wollen auch mittun. So hat sich eine ganze Gruppe von Schauspielern, aber auch Schriftstellern und anderen Künstlern gebildet, die z.B. eine Lesung machen für diesen Zweck oder eine Abendgage hergeben.
Wieviel Geld kommt da an einem Abend zusammen?
Der Erwin Steinhauer etwa, der ein sehr sozial gesinnter Mensch ist, hat mit seinem Freund Rupert Henning ein Kabarett gemacht im Konzerthaus, und bei den 35 Vorstellungen hat jeder von ihnen pro Abend 1000 Schilling von der Gage hergegeben, das haben wir auf einem Plakat dem Publikum mitgeteilt, und das hat dann auch gespendet. An jedem Abend haben wir für ein anderes Projekt gesammelt: Am Dienstag für Straßenkinder in Lateinamerika, am Mittwoch für Straßenkinder in Afrika, am Donnerstag für Straßenkinder in Indien, am Freitag für Flüchtlingskinder hier in Österreich und am Samstag für ein Projekt, bei dem palästinensische und israelische Ärzte gemeinsam für Palästinenser arbeiten. So sind dadurch 300.000 Schilling hereingekommen. Wir schauen immer, dass die Menschen etwas erfahren über die Probleme der Dritten Welt. Wenn z.B. eine Lesung ist, dann kommt der Entwicklungshilfe-Klub, das ist ein kleiner Verein in Wien, der die Spendengelder zu hundert Prozent in den Süden schickt, und macht ein Plakat. Oder wir versuchen, das Stück, das wir spielen, mit einem Projekt in Verbindung zu bringen. Da sammeln wir nachher, und da kommt oft ziemlich viel herein.
Wie ist die Resonanz beim Publikum?
Wir haben bemerkt, dass die Menschen eigentlich glücklich sind, wenn sie etwas tun können, vorausgesetzt sie glauben einem, dass man das nicht selber behält, dass das nicht einer Organisation mit großen Dienstwagen und großen Gagen zukommt, sondern direkt zu den Leuten geht, die es brauchen.
Sie haben einen richtigen Verein gegründet mit den Künstlern?
Nein, das ist kein offizieller Verein, es ist eine lose Verbindung, auf persönlichen Beziehungen basierend. Ich mache immer wieder Aussendungen, und gebe auch jährlich Rechenschaft über die Verwendung der Gelder. Jetzt verrate ich Ihnen ein Geheimnis – das ist allerdings noch nicht spruchreif. Ich versuche gerade, einen Film aufzustellen, wo alle umsonst mitarbeiten. Die Schauspieler sind richtig interessiert daran, in dieser grausligen Verdienerwelt etwas für einen guten Zweck zu tun. Jeder Schauspieler, den ich angesprochen habe, war bereit, da mitzutun. Es ist ein Episodenfilm, und 15 Schriftsteller – alles achtbare Leute, der Josef Haslinger z.B., Felix Mitterer, Heinz Unger, Wilhelm Pevny u.a. – haben sich bereits etliche Male zusammengesetzt und zusammen mit Johannes Mario Simmel eine Grundlinie für den Film entworfen, und nun schreiben verschiedene Autoren verschiedene Episoden für den Film. Da könnte dann eine sehr schöne Summe hereinkommen. Wir wollen ihn im Fernsehen und auch im Kino präsentieren.
Es gibt so viel zu tun in der Hinsicht, in Indien, in Afrika, in Lateinamerika, und alles, was wir tun können, ist eigentlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Macht Sie diese Tatsache nicht manchmal mutlos?
Wenn Sie so wollen, ja. Es gibt ja allein zwölf Millionen Kinder, die für uns arbeiten – von den insgesamt etwa 250 Millionen Kindern, die arbeiten müssen –, also nur für den Export, damit wir hier billiger einkaufen können. Das Letzte, was ich sein möchte, ist eine Wohltätigkeitstante, die Almosen verteilt. Jedes dieser Projekte muss so gestaltet sein, dass die Menschen dort sich dann auf eigene Beine stellen können.
Österreich ist das Land von Nestroy und Mozart und vielen anderen großartigen Denkern und Künstlerinnen, es ist aber auch die Heimat von Hitler und starken reaktionären Tendenzen, auch nach 1945, die sich sogar noch bis in die Gegenwart herauf fortsetzen. Wie gehen Sie als rassisch und politisch verfolgter Mensch mit dieser Realität um?
Ja, ich nehm‘ halt an allem teil, was irgendwie versucht, faschistische Tendenzen zu verhindern. Früher hab ich das im Rahmen von Parteien versucht, später aber dann immer mehr allein. Ich bin draufgekommen, wenn man sagt, das ist nicht in Ordnung, soll man nicht jammern, sondern einfach etwas tun. Zum Beispiel haben die staatlichen Steyr Daimler Puch-Werke in Österreich Panzer erzeugt, die sollten dann an die Militärjunta in Argentinien gehen. Als ich hörte, heute gehen 56 Panzer raus, da habe ich mich in meinen Wagen gesetzt und hab den in Simmering vor der Fabrik quer auf die Schienen gestellt. So konnten wir den Zug vier Stunden lang aufhalten. Die Arbeiter selbst haben uns dann weggejagt, die sind von der Werksleitung gegen uns aufgebracht worden.
So habe ich halt immer wieder versucht, etwas zu machen. Sicher ist es als Schauspieler viel leichter. Als ich da vor Steyr Daimler Puch demonstrierte, ist einer von der Staatspolizei gekommen, der hat immer die Haken zusammengeschlagen und zu mir „Herr Burgschauspieler!“ gesagt. Einen Burgschauspieler wollen sie halt nicht so gern verhaften oder verprügeln.
Die meisten der von Otto Tausig und KollegInnen finanzierten Projekte werden über den Entwicklungshilfe-Klub abgewickelt. Nähere Informationen über die Arbeit des Klubs über Tel. 01/ 720 51 50.
Otto Tausig, am 13. Februar 1922 in Wien geboren, aus einer jüdischen Familie stammend, riss mit 12 von zuhause aus und wollte zum Theater, wurde aber nicht angenommen. Dann kam das Hitler-Regime; Tausig kam gerade noch mit einem der „Kindertransporte“ nach Großbritannien, wo er die Zeit bis 1945 verbrachte. Die Eltern konnten nach Shanghai fliehen, die Großeltern kamen im KZ um.
Nach dem Krieg zurück nach Wien, Besuch der Schauspielschule. U.a. Engagement an der legendären „Skala“ im vierten Bezirk und dann am Burgtheater. Nach eigenen Angaben ist Nestroy sein liebster Autor, bei dem er sich am wohlsten fühlt. Er wollte aber immer schon mit dem Theater auch Bewusstsein wecken über das Elend in dieser Welt.
Tausig: „Heute bin ich der Meinung, dass das Theater allein gegen die ökonomischen Zwänge und Mächte nicht genug vermag, und d’rum verbind’ ich halt die Liebe zur Schauspielerei mit etwas, was dann realere Auswirkungen hat.“
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