In Ruanda und Burundi werden die natürlichen Ressourcen knapp. Die aufgezwungene Modernisierung der Landwirtschaft soll Abhilfe schaffen.
Es gibt zahlreiche Versuche, die sich abzeichnende Landkrise aufzuhalten und damit Hungerkrisen abzuwenden. Nur die Hälfte der Fläche Ruandas wird tatsächlich landwirtschaftlich genutzt. Der Rest besteht aus Nationalparks, geschützten Wäldern, Sumpfgebieten und brachliegenden Flächen.
Um Gitarama, mit 50.000 EinwohnerInnen die drittgrößte Stadt Ruandas, warten 16.000 Hektar Sumpf auf die Kultivierung. „Das ist für uns ein Potential“, sagt Bürgermeisterin Marguerite Mukansanga. „Wenn man es richtig nutzen würde, könnten wir sogar andere Regionen mitversorgen.“
In den feuchten Sümpfen zu arbeiten widerspricht den Traditionen der Ruander, die lieber auf luftigen Hügeln leben – aber die Leute haben kaum eine Wahl, wenn die Hügel voll sind. Seit September 2001 bauen in einem Pilotprojekt der Deutschen Welthungerhilfe 1000 Menschen auf 35 Hektar trockengelegtem Sumpfgebiet am Stadtrand von Gitarama Kartoffeln, Bohnen und Gemüse an, mit vom Staat gelieferten Saatgut. „Das Land ist Staatseigentum; die Bevölkerung kultiviert es nach bestimmten Kriterien“, erklärt Jean-Marie Mwizerwa, Agronom des Projekts. „Aber die Bevölkerung entscheidet selber, wer hier arbeiten darf.“
Doch auch wenn der letzte Hektar bebaut wird, bleibt die Ressourcenknappheit eine Zeitbombe. Ruandas Finanzminister Donald Kaberuka wies vor kurzem darauf hin, dass sein Land in den nächsten zwei Jahrzehnten ein Wirtschaftswachstum von mindestens sieben Prozent jährlich braucht, um im Rahmen des erwarteten Bevölkerungswachstums das Entstehen von Massen verarmter Landflüchtlinge zu verhindern – eine Diskussion, die an China erinnert. Dieses Wirtschaftswachstum muss nach Kaberukas Ansicht eine Diversifizierung der Wirtschaft insgesamt bedeuten. Denn die Weltmarktpreise von Ruandas Hauptexportprodukten Kaffee und Tee befinden sich derzeit auf dem tiefsten Stand seit Jahrzehnten.
In einem Arbeitspapier des ruandischen Agrarministeriums für eine neue Landwirtschaftspolitik heißt es: „Die ruandische Landwirtschaft muss sich spezialisieren. Das Recht auf Grundeigentum muss mit einer gewissen Anzahl von Pflichten hinsichtlich der Verwertung des Landes verbunden werden.“ Anders gesagt: Der Bauer soll nur Bauer bleiben, wenn seine Scholle nicht nur ihn selbst und seine Familie ernährt, sondern auch Überschüsse produziert. Was das in der Praxis bedeutet, ist derzeit Gegenstand heftiger Diskussionen, die irgendwann in ein neues Landgesetz in Ruanda münden sollen. Das ist zurzeit Thema von Workshops unter Ruandas Landbevölkerung, die Nichtregierungsorganisationen wie „Inades“ (Afrikanisches Institut für wirtschaftliche und soziale Entwicklung) organisieren.
Kontroversestes Thema dabei ist die im Gesetzesentwurf vorgesehene legale Mindestgröße für Bauernhöfe von einem Hektar. Derzeit liegt die durchschnittliche Fläche verfügbaren Agrarlandes pro Familie in Ruanda bei 0,6 Hektar, weit unter dem von der UN-Agrarorganisation FAO empfohlenen Mindestgröße von 0,9 Hektar, so dass die Durchsetzung dieser Mindestgröße zur Entwurzelung hunderttausender Bauern führen müsste.
Als Mittel dazu wird zum Beispiel erwogen, die Vererbung von Flächen unter einem Hektar zu verbieten, oder die Anreize zu verstärken, kleine Höfe aufzugeben und in Dörfer zu ziehen. „Die einen sagen: Wir müssen doch unseren Söhnen etwas hinterlassen können. Die anderen sagen: Wir müssen es akzeptieren, uns in Dörfern zusammenzuschließen“, beschreibt Inades-Leiter Firmin Mutabazi den Streit unter der Bauernschaft in seinen Workshops.
Bereits seit Dezember 1996 verfolgt Ruandas Regierung eine Politik der „Verdorfung“: BewohnerInnen isolierter Höfe werden mehr oder weniger deutlich aufgefordert, in neu angelegte Dörfer zu ziehen, wo sie nach offizieller Lesart Zugang zu sozialer Infrastruktur bekommen. Die Alten bleiben auf ihren traditionellen Höfen und dürfen dort sterben, aber die Jugend soll fortziehen und neue Berufe lernen.
Beliebt sind die Dörfer nicht. Sie sind trist und leer, ihre schlecht gebauten Streichholzschachtelhäuser erinnern an die trostlosesten Townships von Südafrika. Hierhin ziehen nur diejenigen, die nichts anderes mehr haben. Menschenrechtsorganisationen wie „Human Rights Watch“ haben Fälle dokumentiert, wo Bäuerinnen und Bauern mit dem Argument, sonst sei ihre Sicherheit nicht zu gewährleisten, in unterversorgte Dörfer mehr oder weniger gezwungen wurden. In manchen Gebieten im Nordwesten Ruandas, wo jahrelang Hutu-Milizen aus dem Kongo einfielen, lebt heute die Bevölkerungsmehrheit in riesigen Ansiedlungen, die mit Dörfern weniger gemein haben als mit Flüchtlingslagern.
Untersuchungen lokaler Organisationen zufolge klagen DorfbewohnerInnen vor allem darüber, dass die Häuser zu eng aneinander liegen – traditionelle ruandische Höfe sind voneinander isoliert. Außerdem seien die Felder zu weit weg. Dies ist aber bewusste Politik, denn die Dörfer sollen die Bindung zwischen Bauer und Scholle aufheben und so die „Modernisierung“ der Landwirtschaft beschleunigen.
Bleiben die Gesellschaften sich selbst überlassen, geht der Trend nicht in diese Richtung. Die meisten der zwei Millionen ruandischen Hutu-Flüchtlinge, die seit 1996 aus Kongo, Burundi und Tansania nach Ruanda zurückgekehrt sind, haben ihr altes Land wiederbekommen. Auch nach Burundi kommen jetzt Zehntausende Flüchtlinge aus Tansania zurück, die in ihre alten Dörfer zurückwollen. Dort ist zwar kaum Platz, aber dann müssen eben alle ein wenig enger zusammenrücken. Im nordburundischen Butahana erzählt ein Hutu-Bauer: „Manche Rückkehrer haben ihr Land wieder gefunden, andere fanden dort Nachbarn vor, die es dann zurückgeben mussten. Schon vorher gab es Landstreitereien. Als die Flüchtlinge die Region verließen, haben diejenigen, die blieben, von ihrer Flucht profitiert. Jetzt fangen die Probleme von vorne an.“ Butahana ist eines dieser burundischen Dörfer in einem dicht besiedelten Tal, in dem zwischen erodierten Berghängen die Bäuerinnen und Bauern zu kleine Felder bestellen. Wer wird hier einmal entscheiden, wer auf dem Land bleiben darf und wer nicht? Die Politik? Oder die Machete.
Dominic Johnson leitet das Afrikaressort der Berliner Tageszeitung taz.
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