Neutralität als Ausrede 

Von Brigitte Pilz · · 2024/Nov-Dez

Österreich könnte international viel aktiver sein. Die Neutralität ist kein Hemmschuh.

Einen neuen Nationalrat haben wir gewählt. Vor Wochen schon. Jede Regierungsbildung ist bei einer wie der aktuellen politischen Konstellation kompliziert. Es gilt zu klären: Wie sehen die Schwerpunkte des Arbeitsprogramms aus? Auf welche Personen werden die Ämter verteilt?

Im Vorfeld der Verhandlungen wurden Wichtigkeiten formuliert von Fachleuten, Medien, früheren Parteigranden. Merkwürdig still ist es um den doch wichtigen Bereich der Außenpolitik geblieben. Welche Themen will Österreich auf der internationalen Bühne voranbringen? Welche Bündnispartner:innen könnten dabei hilfreich sein? (Vornehme) Zurückhaltung wird geübt, schon lange. Dabei wissen wir, dass Österreich keineswegs eine „Insel der Seligen“ ist und nie eine war.

Gerade für ein kleines Land ist es essentiell, außenpolitisch aktiv zu sein. Und noch wichtiger ist es, mit Gleichgesinnten Wege in eine friedliche und nachhaltig gestaltete Zukunft zu suchen. Sonst werden wir zum Spielball von politischen Kräften, die solche Ziele nicht verfolgen.

Heilige Kuh. Die Inaktivität in entscheidenden globalen Fragen hat wohl nicht zuletzt mit unserem Status der Neutralität zu tun. Laut Umfragen ist sie auch heute noch ein wesentlicher Teil der österreichischen Identität. Einer Gallup-Befragung von 2022 zufolge, sind 70 Prozent für ihr Beibehalten. Sehr widersprüchlich ist folgender Befund: Laut einer aktuellen Studie ist nur ein Drittel der Bevölkerung überzeugt, dass uns die Neutralität vor einem Angriff Russlands schützt, aber trotzdem wollen zwei Drittel an ihr festhalten (Kronen Zeitung, 4.10.2024).

Dazu der Meinungsforscher Peter Hajek: „Die Neutralität ist eine Lebenslüge.“ Der allgegenwärtige ORF-Politik Kommentator Peter Filzmaier nennt sie die prominenteste Untote Österreichs. Keine Frage: Die Neutralität ist eine „Heilige Kuh“.

Seit 1955 ist die Neutralität ein grundlegendes Element der österreichischen Außenpolitik. In der Verfassung ist festgelegt: Österreich darf keinem militärischen Bündnis beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen.

Blickfeld erweitern. Wie immer wir in Zukunft mit der Neutralität umgehen wollen, sie rechtfertigt nicht Passivität. Denn Außenpolitik ist nicht allein Sicherheitspolitik. Sie ist viel mehr. Sie ist auch Klimapolitik, Entwicklungspolitik, Migrationspolitik oder Kulturpolitik. In all diesen Themenfeldern könnte unser Land auf der internationalen Bühne viel aktiver auftreten. Gerne wird von offizieller Seite unsere hervorragende professionelle Diplomatie betont. Warum hört man dann nicht mehr von unserer Republik als internationale Brückenbauerin? Das ist eine Rolle, die sie in der Zeit des Kalten Krieges engagiert wahrgenommen hat. An Krisen und politischen Konflikten ist kein Mangel.

Wir schauen nach wie vor zu wenig (oder immer weniger) über unseren Tellerrand hinaus. In einer Zeit der globalen Verflechtungen genügt es nicht, das Wohlbefinden innerhalb unserer Grenzen im Auge zu haben. Was draußen passiert, kommt auch zu uns herein. Es könnte Bereicherung und nicht nur Gefahr sein. Sofern wir es wollen. 

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