Neustart dank indigener Unterstützung

Von Knut Henkel · · 2024/Mai-Jun
Präsident Arévalo nimmt an Maya-Zeremonie teil
© Emmanuel Andres / AFP / picturedesk.com

Seit dem 15. Jänner hat Guatemala mit Bernardo Arévalo einen neuen Präsidenten. Dessen Start wird von der Zivilgesellschaft positiv bewertet.

Feliciana Herrera Ceto ist derzeit öfter in Guatemala-Stadt. Die traditionell gekleidete Frau aus Nebaj, der inoffiziellen Hauptstadt der Gemeinschaft der Ixil, ist eine indigene Autorität. 2023 ist sie mehrfach in Guatemalas Hauptstadt gereist, um vor dem Parlament und vor der Generalstaatsanwaltschaft für die Vereidigung des Sozialdemokraten Bernardo Arévalo (Jahrgang 1958) und für die Demokratie zu demonstrieren.

Denn: Seine überraschenden Wahlsiege in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im Juni und dann in der Stichwahl im August 2023 waren von rechtsgerichteten Parteien angefochten worden, sie wollten Arévalos Amtsantritt verhindern. Den Stimmen der Indigenen hat er nicht nur den Sieg an den Urnen, sondern ihren landesweiten Protesten auch seine Vereidigung am 15. Januar 2024 zu verdanken.

„Wie haben vereinbart, dass wir den Protest bis zum Tag der Vereidigung von Bernardo Arévalo aufrechterhalten, seiner Regierung danach den Rücken stärken und ihre Arbeit kritisch begleiten werden“, sagt Herrera Ceto. Auf dieses Konzept haben sich die indigenen Autoritäten, die basisdemokratisch gewählten Vertreter:innen von 22 Maya-Völkern sowie den Garifuna und den Xinca, verständigt. Gemeinsam stellen sie laut UN-Berichten mindestens 44 Prozent der Bevölkerung, anderen Quellen zufolge sogar die Mehrheit.

Leiden unter Korruption. Im vergangenen Jahr sind sie zu einem politischen Faktor im rund 18 Millionen Einwohner:innen zählenden Guatemala geworden. „Ein zentraler Grund dafür ist, dass wir die Korruption leid sind“, so Herrera Ceto von der Gemeinschaft der Ixil: „Wir bekommen die Folgen der omnipräsenten Korruption in Guatemala am deutlichsten zu spüren: kaputte Straßen, schlecht ausgestattete Krankenhäuser, miese Schulen“. 

Ya basta, es reicht, heißt es landesweit von indigenen Repräsentant:innen. Die sind jetzt häufiger als früher in Guatemala-Stadt zu sehen, meint der deutsche Anwalt Michael Mörth, der seit mehr als dreißig Jahren in Guatemala-Stadt lebt und dort lange eine Menschenrechts-Kanzlei beriet.

Er, aber auch Héctor Reyes, Direktor der Menschenrechtsorganisation CALDH, attestieren den indigenen Repräsentant:innen angekommen zu sein in den politischen Strukturen des Landes.

Mehrere Gouverneur:innen der insgesamt 22 Verwaltungsbezirke Guatemalas gehören einer neuen Generation indigener Autoritäten an, die sich für die Belange der lokalen Gemeinden einsetzen sollen.

Das ist von der neuen Regierung erwünscht, die das Regelwerk für die Ernennung der Gouverneur:innen geändert hat sowie mehr Partizipation der Zivilgesellschaft und mehr Optionen für die Ablehnung korrupter Kandidat:innen einfordert.

Aktivist:innen kriminalisiert. Das stößt auf positives und negatives Feedback. Ein Bündnis aus Militärs, Politiker:innen, staatlichen Funktionär:innen sowie Unternehmer:innen arbeitet mit allen Kräften für ihre eigenen Interessen und gegen Arévalos Pläne. Die Netzwerke reichen dabei weit in das mächtige Ministerio Público hinein, vergleichbar mit der Generalstaatsanwaltschaft.

Dort laufen viele Fäden zusammen. Viele indigene Umweltaktivist:innen wurden von Staatsanwält:innen unter politischer Einflussnahme kriminalisiert. „Der Rücktritt der amtierenden Generalstaatsanwältin und ihrer wichtigsten Handlanger ist eine unserer zentralen Forderungen“, erklärt daher Herrera Ceto von der indigenen Protestierenden.

An diesen Forderungen hält die Bewegung genauso fest wie an dem Begehr nach mehr Investitionen, besserer Infrastruktur und Bildung in den indigen geprägten Regionen Guatemalas. Konkret fordern Indigene u. a. eine Vorab-Befragung bei großen Investitionsprojekten in Infrastruktur, Bergbau oder Energie.

Dazu hat sich die guatemaltekische Regierung formal verpflichtet, denn sie hat die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zum Schutz indigener Völker unterzeichnet, die das vorschreibt. An der Umsetzung mangelte es jedoch.

Arévalo braucht Hilfe. Erste Handlungen der Regierung deuten darauf hin, dass die Vorab-Befragung und die Reform der politisch agierenden Staatsanwaltschaft offenbar ganz oben auf der Agenda von Arévalo und seinem Team stehen, so Anwalt und Beobachter Mörth: „Allerdings ist die Koalition der Regierung Arévalo eher ein lockeres Bündnis und die Mehrheit im Parlament alles andere als solide.“ Deshalb sei die Regierung noch auf der Suche nach der richtigen Strategie.

Dabei benötigt sie dringend Unterstützung, sowohl internationale wie jene aus den indigenen Gebieten. Dazu gehört sowohl Nebaj aber auch das 200 Kilometer nördlich von Guatemala-Stadt gelegene Cobán.

In Cobán saß Bernardo Caal Xol mehr als vier Jahre im Gefängnis. Der Umweltaktivist und Lehrer aus der Kleinstadt Cahabón hat den Widerstand gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes, das über die Köpfe der indigenen Gemeinden hinweg genehmigt wurde, organisiert.

Er wurde wie etliche andere Aktivist:innen, aber auch Journalist:innen oder Justizangestellte auf Basis fingierter Beweise kriminalisiert. Das haben UN-Organisationen, Amnesty International sowie die guatemaltekische Menschenrechtsorganisationen Udefegua wiederholt kritisiert.

Indigene sehen Chance. Caal Xol gehörte zu denjenigen, die diese für Arévalo so entscheidenden Proteste in Guatemala-Stadt mobilisierten. Der indigene Umweltaktivist erklärt, warum: „Wir haben erkannt, dass eine funktionierende Demokratie die besten Aussichten für die indigenen Völker bietet, glauben daran, dass Bernardo Arévalo gegen die omnipräsente Korruption vorgehen wird und unterstützen ihn“, so der gebürtige Maya Q’eqchi’. Für ihn wie für die indigene Anwältin Wendy López von Udefegua ist Bildung der Schlüssel für die Zukunft und für die Teilhabe der indigenen Bevölkerung.

Die ist in den vergangenen Jahren deutlich sichtbarer und aktiver geworden. „Das ist unter anderem Folge von mehr Auslandserfahrung, Arbeitsmigration vor allem in den USA, aber auch von der digitalen Revolution, durch die mehr Information in unseren oft vernachlässigten indige-
nen Gemeinden ankommt“, meint López. Mit neuen Unterstützer:innen kann der Präsident auf jeden Fall rechnen.

Knut Henkel ist Politikwissenschaftler und freiberuflicher Journalist mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik.

Guatemala

Hauptstadt: Guatemala-Stadt
Fläche: 109.021 km2 (zweieinhalb Mal so groß wie die Schweiz)
Einwohner:innen: 17,8 Millionen (2021)
Human Development Index (HDI): Rang 136 von 191 (Österreich 25)
BIP pro Kopf: 5.473,21 US-Dollar (2022, Österreich: 52.084,7 US-Dollar)
Regierungssystem: Präsidentielle Republik
Nach der Unabhängigkeit von Spanien wurde Guatemala 1840 als Staat gegründet. Immer wieder wurde es seither diktatorisch regiert – ab 1960 prägte das bevölkerungsreichste Land Mittelamerikas über 30 Jahre lang ein überaus brutal geführter Bürgerkrieg: Mehr als 200.000 Menschen starben, viele verschwanden. Über 80 Prozent davon waren Angehörige der indigenen Völker, darunter der Ixil. Sie wurden 1982/83 unter Ex-Diktator Efraín Ríos Montt massiv verfolgt, viele getötet. Das Urteil der Gerichte, die Ríos Montt wegen Völkermord verurteilten, wurde aufgrund angeblicher Formfehler für ungültig erklärt.
Seit 2011 regierten ausschließlich rechtsgerichtete Präsidenten das Land, die Korruption wurde unter Präsident Alejandro Giammattei omnipräsent. Im weltweiten Demokratieindex rangierte Guatemala bis 2023 als Hybridregime (mit demokratischen als auch autoritären Elementen) auf Platz 100 von 167 Ländern. K.H./CS

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