Chinas wachsende Präsenz in Afrika südlich der Sahara verdankt sich dem strategischen Erfordernis, die Versorgung seiner Wirtschaft mit Energie und Rohstoffen sicherzustellen – so viel war bisher klar. Wieviel China diese Sicherheit wert ist, weiß die Welt seit dem China-Afrika-Gipfel in Beijing Anfang November: China sagte dabei fünf Mrd. US-Dollar an Entwicklungs- und Exportkrediten für die nächsten drei Jahre zu, versprach weiteren afrikanischen Ländern den Erlass der bilateralen Schulden und kündigte einen mit fünf Mrd. Dollar dotierten China-Afrika-Entwicklungsfonds an. Auch im Handel zeigte sich China entgegenkommend: Die Zahl der zollfrei importierbaren Produkte aus den ärmsten Ländern Afrikas soll von derzeit 190 auf 440 steigen.
China ist damit auf dem besten Weg, zum größten Geber des Subkontinents noch vor der Weltbank aufzusteigen. Zumindest bisher ging die Rechnung offenbar auf. China bekam, was es braucht: vor allem Öl aus Sudan, Angola, Nigeria und Äquatorial-Guinea sowie Märkte für seine Industrien, wie das rasche Wachstum der chinesischen Exporte zeigt (siehe Grafik). Doch nicht nur das Profil des interregionalen Handels erinnert an historische Nord-Süd-Beziehungen: Auch China knüpft Kredite für Infrastrukturprojekte, ob Eisenbahnen, Straßen oder Kraftwerke, in der Regel an die Beauftragung eigener Unternehmen, während sich die Direktinvestitionen auf den exportorientierten Energiesektor konzentrieren.
Rein wirtschaftlich bietet China (und in geringerem Maße auch Indien) Afrika daher nichts anderes als die USA oder die EU – nur mehr davon, mit Aussicht auf weitere Steigerung. Die übrigen Besonderheiten des chinesischen Engagements sind nicht ökonomischer Natur, werden aber im jahrzehntelang von westlichen Gebern gegängelten und hingehaltenen Afrika geschätzt: Kaum politische Konditionen außer der Übernahme der Ein-China-Politik, keine Lehrmeisterei, rasche und zuverlässige Umsetzung gegebener Zusagen.
Vor allem dieses „Mehr vom Selben“ ist das, wovon Afrika bisher profitiert. Die wachsende Nachfrage aus Asien sorgt für höhere Preise fast aller afrikanischen Rohstoffe, während die steigenden Exporterlöse eine Zunahme der Importe ermöglichen, darunter auch vermehrt Investitionsgüter aus China. Besonders die Öl exportierenden Länder des Subkontinents erzielten zuletzt historisch hohe Wachstumsraten (siehe Grafik). Darüber hinaus hält die Veranlagung asiatischer Devisenüberschüsse in Dollarpapiere, v. a. US-Staatsanleihen, das internationale Zinsniveau niedrig und verringert so den Schuldendienst.
Zusammen mit den offiziellen Schuldenerlässen der letzten Jahre hat sich damit die externe Position des Subkontinents deutlich verbessert: Die Auslandsverschuldung, 2000 noch bei 64% des Bruttoinlandsprodukts (BIP), dürfte 2007 auf 24,4% sinken; wurden 2000 noch 5,7% der Exporterlöse für Zinszahlungen für langfristige Auslandsschulden aufgewendet, werden es laut Internationalem Währungsfonds 2007 nur mehr 2% sein. Inklusive Entwicklungshilfe drehte auch das mittlere Budgetdefizit von 2,7% des BIP im Jahr 2002 auf einen Überschuss von 1,5% bzw. 4,5% (2005 bzw. 2006).
So weit, so positiv. Aber es gibt auch Schattenseiten. Insbesondere Chinas Industrie ist nicht nur zunehmend in der Lage, Konsumgüter und Produkte mit hoher Kapital- und Wissensintensität zu liefern. Sie ist auch in arbeitsintensiven Branchen äußerst konkurrenzfähig. Sofern die Handelsliberalisierung weiter vorangetrieben wird, eröffnet sich ein eher düsteres Szenario: Schlimmstenfalls könnte Afrikas ohnehin schwache Industrie von der Konkurrenz aus dem Norden und aus Asien gleichzeitig in die Zange genommen und bis auf wenige Reste aufgerieben werden.
Wie rasch das gehen kann, illustriert die jüngste Entwicklung im Bekleidungssektor. Vor allem chinesische Unternehmen verdrängen die afrikanische Konkurrenz aus Export- und Inlandsmärkten, etwa in Südafrika. Die wachsenden Importe von Textilien und Bekleidung, großteils aus China, haben der lokalen Industrie in den letzten Jahren mehr als 60.000 Arbeitsplätze gekostet. Mit Jahresbeginn wurde nun eine Quotenregelung für China-Importe eingeführt, die allerdings nach Ansicht des südafrikanischen Trade Law Centre (tralac) derart missraten ist, dass sie kaum helfen wird. In Lesotho, Kenia und Uganda verlieren Bekleidungsfirmen ihre Exportmärkte an Konkurrenz aus Asien oder anderswo, werden geschlossen oder schreiben Verluste, obwohl sie ihre Produktion unter dem kürzlich bis 2011 verlängerten AGOA-Programm (Africa Growth and Opportunity Act) zoll- und quotenfrei in die USA exportieren können.
Dabei geht es nicht um das Lohnniveau. Ein Vergleich der T-Shirt-Produktion in Kenia und Honduras (im Rahmen einer Weltbank-Analyse) ergab, dass der fast dreimal höhere Erzeugerpreis in Kenia zum Teil auf geringere Produktivität und höhere Transportkosten, vor allem aber auf weit höhere Materialkosten zurückgeht: Etwa müssen Stoffe aus Asien importiert werden, weil die afrikanische Textilindustrie nicht in der Lage ist, die eigene Baumwolle in exportfähiger Qualität zu verarbeiten.
Mangelnde Integration der Wertschöpfungskette, Versorgungsengpässe und Kostennachteile aufgrund mangelhafter Infrastruktur, etwa im Transport, der Telekommunikation oder in der Energieversorgung, plagen aber mit Ausnahme Südafrikas einen Großteil der afrikanischen Industrie. Nur ein Beispiel: Allein die unvorhersehbaren Stromausfälle erhöhen die Produktionskosten des Reifenherstellers Dunlop in Nigeria um etwa 20%. Wie da gegen ausländische Konkurrenz bestehen, geschweige denn exportieren? Kein Wunder, dass wenig investiert wird und die Industrie auf der Stelle tritt. Zwischen 1990 und 2002 stagnierte der Anteil des Subkontinents an der weltweiten industriellen Wertschöpfung nach UNIDO-Angaben bei ca. 0,25% (mit Südafrika: 0,74%); während der Anteil Südasiens um die Hälfte auf 1,5% zunahm und sich der Anteil Ost- und Südostasiens mit 14,4% fast verdoppelte.
Die Sorge, der Aufstieg Asiens könnte die afrikanischen Länder in die Rohstoff-Sackgasse drängen, ist daher begründet. Das bestätigen auch zwei einschlägige Studien der Weltbank („Africa’s Silk Road“) und der OECD („China & India: What’s in it for Africa?“) aus dem Vorjahr. Die AutorInnen der Weltbankstudie sehen kurzfristig allenfalls Exportchancen in einigen arbeitsintensiven Branchen wie Nahrungsmittelverarbeitung, Gartenbau, Bekleidung und Tourismus. Dass Länder wie Ghana, Senegal, Tansania und Mauritius Chancen als Standort für Call Center und ähnliche Dienstleistungen haben und bereits wahrnehmen, wird beiläufig erwähnt. Der Erfolg der kapital- und wissensintensiveren Auto- und Autozulieferindustrie Südafrikas steht allein auf weiter Flur.
Die AutorInnen der OECD-Studie empfehlen afrikanischen Ländern sogar, einen Wettbewerb in arbeitsintensiven Industrien wie Bekleidung zu vermeiden und sich auf Branchen zu konzentrieren, die von der wachsenden Nachfrage aus Asien begünstigt werden, etwa die Verarbeitung agrarischer Rohstoffe oder den Export von Obst und Frischgemüse. Lässt man diese Beispiele Revue passieren, ist die Botschaft eindeutig: Afrika hat im internationalen Wettbewerb nach wie vor kaum Standortvorteile.
Was solche Analysen oft ignorieren, ist das Problem der Beschäftigung. Die Weltbank schätzt, dass in Afrika südlich der Sahara bis 2030 jedes Jahr rund zehn Millionen neue Jobs gebraucht werden, um die Zunahme der Bevölkerung im Erwerbsalter zu kompensieren. Im Exportsektor oder mit kapitalintensiven Produktionen wird das nicht funktionieren. Ein Extrembeispiel ist Mosambik, wo nach einer Weltbank-Studie selbst Rekord-Investitionen von zehn Mrd. Dollar zwischen 2001 und 2010 bloß 20.000 Arbeitsplätze generieren dürften. Und der Hoffnungsträger Tourismus? Zwar erwartet die World Tourism Organization, dass sich die Zahl der internationalen Ankünfte in der Region von 2005 bis 2020 auf 48 Mio. verdoppelt. Das Beschäftigungspotenzial jedoch lässt sich am kleinen Österreich bemessen, das 2005 23 Mio. Ankünfte registrierte.
Um ein Szenario der weiteren Deindustrialisierung zu vermeiden, bräuchte es offensichtlich vor allem Zeit, um die Probleme mit der Infrastruktur, im Finanzsektor, mit ineffizienten Institutionen sowie andere Standortnachteile zu beseitigen, die sowohl in- als auch ausländische Unternehmen von Investitionen abhalten. Dieser Prozess müsste aber von einem geeigneten Außenhandelsregime unterstützt werden. Dabei werden die „Economic Partnership Agreements“ (EPAs), die im Rahmen des Cotonou-Übereinkommens der EU mit den AKP-Ländern (Afrika, Karibik, Pazifik) noch dieses Jahr ausgehandelt werden sollen, eine wesentliche Rolle spielen.
Die Mitgliedsländer der Afrikanischen Union ringen gerade um eine gemeinsame Position sowohl zu den EPA-Verhandlungen als auch zur derzeit auf Eis liegenden Doha-Runde der WTO. Bleibt abzuwarten, inwieweit die aufgrund der neuen Beziehungen zu Asien geringere Abhängigkeit von der EU sich auch in einer konsequenteren Position gegenüber Brüssel ausdrückt.