Neue Gefahren

Von Anna Mayumi Kerber · · 2010/05

Als wären die harschen Lebensumstände in der Wüste nicht Herausforderungen genug, steht Mauretanien vor weiteren Problemen: Militärcoups, Menschenrechtsverletzungen – und jetzt auch noch El Kaida.

Der Zug bremst. Das metallische Kreischen auf den Schienen scheint endlos. Der ohrenbetäubende Lärm durchdringt minutenlang Mark und Bein. Dann endlich kommt er zum Stillstand – der drei Kilometer lange „Train au désért“. In 200 Güterwaggons transportiert der längste Zug der Welt Eisenerz. Mit 40 Prozent Anteil ist dieses eines der wichtigsten Exportgüter Mauretaniens. Passagiere fahren in einem einzigen Waggon am Ende des Zuges mit. Die Lokomotiven, die den Zug zum Stillstand gebracht haben, sind von dort unmöglich zu sehen.

Am Bahnhof von Nouadhibou herrscht nun reges Treiben. Männer, die im Sand liegend gewartet haben, springen auf. Kinder laufen schreiend zum Zug, manche sich neckend, manche mit solch schweren Säcken, Kisten und Bündel auf dem Kopf, dass sie sich kaum aufrecht halten können. Frauen in bunten Gewändern bieten lauthals Wasser, Kekse, Eier, Zigaretten, Taschentücher und andere Waren feil – die einzige Gelegenheit des Tages, ein Geschäft zu machen. Der Zug fährt nur einmal pro Tag. Im Hafen wird das Erz entladen. Von dort wird es nach Europa und vor allem China verschifft.

Die Bahnstrecke zwischen der Hafenstadt Nouadhibou und Zouérat im Landesinneren ist die einzige in Mauretanien. Knapp 700 Kilometer lang verläuft sie entlang der Grenze zur besetzten Westsahara. Die Ansprüche, die Mauretanien nach Abzug der spanischen Kolonialherren auf das südliche Drittel des Gebiets erhoben hat, ließ es 1978 fallen. Marokko besetzte daraufhin das Gebiet. Bis heute will das Königreich nicht von den phosphatreichen Böden ablassen und führt den erbitterten Kampf gegen die Sahrauis, die einheimischen BewohnerInnen der Westsahara, weiter.

Für die Zuggäste scheint dieser Teil der Geschichte weit zurückzuliegen. Sie machen Witze darüber, dass man bei den seltenen Stopps nicht zu weit in die Wüste nördlich der Gleise gehen sollte. „Da gibt es Landminen“, sagen die Reisenden und nicken bedeutungsvoll in Richtung Fenster. Darunter steht: „Nicht hinauslehnen“ – auf deutsch, italienisch, französisch und niederländisch. Der Passagierwaggon war einst auf europäischen Schienen unterwegs, seither sind einige Jahrzehnte vergangen. Die Polstersessel der Sechserabteile sind abgewetzt, teilweise herausgerissen. Die Zuggäste sitzen auf blankem Holz. Die dreckverschmierten Scheiben bleiben so lange offen, bis die Nacht zu kalt wird. Dann werden sie mit vereinten Kräften nach oben geschoben und mit Holzpflöcken verriegelt. Von selbst halten sie nicht mehr. Spätestens beim nächsten harten Ruck des Zuges gehen sie mit lautem Knall wieder auf.

Aus dem Westsaharakonflikt hat sich Mauretanien zurückgezogen. Doch kämpft das Land jetzt an einer neuen Front. Die El Kaida des islamischen Maghreb (AQ-M) hat Fuß gefasst in dem spärlich besiedelten Land, das fast ausnahmslos muslimisch ist. In der islamischen Republik Mauretanien gilt das Recht der Scharia. MuslimInnen, die zu einer anderen Religion übertreten, können für diesen „Glaubensabfall“ nach dem Strafrecht mit dem Tod bestraft werden. Präsident Mohamed Ould Abdel Aziz hat sich stets um einen Anschluss an die arabische Welt bemüht. Mit Äußerungen gegen einen israelischen Staat heimste er Lob vom iranischen Staatsoberhaupt Mahmud Ahmadinedschad ein. Aber auch die AQ-M dürfte sich durch solche Äußerungen in ihrem Vorgehen bestätigt sehen.

Im vergangenen Jahr erfuhr der Tourismussektor in Mauretanien deswegen harte Rückschläge. Ein US-amerikanischer Lehrer wurde im Juni 2009 in der Hauptstadt Nouakchott erschossen. Das Terrornetzwerk bekannte sich in einem Schreiben zu der Tat. Ebenso zu dem Bombenangriff auf die französische Botschaft, kaum zwei Monate später. Zu Jahresende wurde ein italienisches Touristenpaar auf der Hauptreiseroute zwischen Nouadhibou und Nouakchott entführt. Ein paar Wochen zuvor drei Spanier, Mitarbeiter einer Hilfsorganisation.

Die MauretanierInnen wollen nicht so recht an Fundamentalisten in ihren Reihen glauben. „Die Gewalt kommt aus den Nachbarstaaten, aus Mali und Algerien, wo die El Kaida zuhause ist“, sagt die Schriftstellerin Leila Chigaly. Die terroristischen Übergriffe treffen ihren Geburtsort besonders hart. Chinguetti ist ein Touristenmagnet im Herzen der Wüste, unweit von Atar und ein paar Autostunden von Choume entfernt, wo die Gleise des Train au desért scharf nach Norden abbiegen.

Ein malerisches Städtchen, das sanft zwischen goldgelben Dünen eingebettet liegt. Im achten Jahrhundert zum ersten Mal errichtet, wurde Chinguetti bereits mehrmals vom Sand verschluckt und hatte sich hartnäckig wieder aufgerichtet. Nun aber schwächt die Touristenflaute das UNESCO-Weltkulturerbe.

„Alles die Schuld der El Kaida“, seufzt Hamid Ould El Khassem, Fremdenführer in der Adrar-Region. Ihre Aktivitäten sind auch der Grund dafür, dass die Ralley Paris-Dakar dem Land genommen wurde. Aus Sicherheitsgründen wurde das Autorennen vor zwei Jahren von seiner Originalroute durch Mauretanien weg nach Südamerika verlegt. „Es gibt Hoffnung“, meint El Khassem, wenn auch etwas zaghaft. Die Veranstalter hätten eine Delegation geschickt, um das Potenzial für eine eventuelle Rückkehr zu prüfen.

Im Falle der drei entführten Spanier jedenfalls sollte Leila Chigaly Recht behalten. Deren Fahrzeug fand man an der Grenze zu Mali, im März dieses Jahres wurden sie dort freigelassen. Die Terrorgruppe hatte von Mali aus operiert.

Vor zwei Jahren hat Abdelmalek Droukdel, Leiter der AQ-M in Mauretanien, zum Dschihad aufgerufen. Die nordafrikanische Zelle des Terrornetzwerks will sich die instabile politische Situation Mauretaniens zu Nutze machen: 21 Jahre lang hatte Maaouya Sid’Ahmed Ould Taya das Land mit eiserner Hand regiert. Ethnische Spannungen gab es seit jeher in dem strengen Kastensystem des Landes. Ganz oben in der Hierarchie stehen die arabisch-berberstämmigen Mauren, die Bidhan. Ihnen untergeordnet sind die „Mischlinge“ und die „freien Schwarzen“, gefolgt von den Haratin, den „schwarzen Mauren“, der Sklavenkaste. Sklaverei hat Tradition im Vielvölkerstaat Mauretanien. Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass bis heute etwa jeder fünfte bis sechste Mauretanier, Männer und Frauen, ein Sklavendasein fristet. Taya verstärkte die Diskriminierung der AfromauretanierInnen noch. Wichtige Posten wurden ihnen verwehrt, von Misshandlungen und Morden durch die Armee wird berichtet. Unter seiner Herrschaft kam es zu blutigen Straßenschlachten, zehntausende Schwarze flohen nach Senegal.

2005 endete seine umstrittene Herrschaft mit einem Coup, zwei Jahre später folgte, was als die ersten „wirklich“ freien Wahlen seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1960 in die Landesgeschichte eingehen sollte. Erstmals gab es eine Auswahl an Kandidaten, aus der Stichwahl ging Sidi Ould Cheikh Abdallahi als Sieger hervor.

„In dieser Zeit hat es gute Entwicklungen gegeben“, meint Boubacar Ould Mohammed. Er ist Generalsekretär von S.O.S Esclave, einer in Nouakchott ansässigen Menschenrechtsorganisation, die sich gegen die Sklaverei einsetzt. Mauretanien setzte 2007 einen überfälligen Schritt: Als letztes Land der Welt stellte es die Sklaverei unter Strafe. Diese wurde 1981 zwar auf dem Papier abgeschafft, jedoch niemals wirklich kriminalisiert. „Bis heute gab es jedoch keine Verurteilung aufgrund des neuen Gesetzes“, so Ould Mohammed.

Nicht zuletzt, weil Abdallahis Regierung nicht lange währte. 2008 gab es erneut einen Militärcoup. General Mohammed Ould Abdel Aziz gelang eine unblutige Machtübernahme, die von der internationalen Gemeinschaft missbilligt wurde. Erst als Aziz sein Generalsamt ablegte und sich im Juli 2009 durch eine Wahl im Amt bestätigen ließ, glätteten sich die Wogen, die diplomatischen Beziehungen normalisierten sich. Ould Mohammed von S.O.S Esclave treibt dies zur Verzweiflung: „Was diese Regierung betreibt, ist Augenauswischerei!“ Von der Europäischen Union wünscht er sich eine härtere Reaktion, sie lasse sich zu leicht blenden.

Über Politik wird im Train au désert nur sehr zaghaft diskutiert. Das Militär ist auch hier präsent. Man glaubt nicht an das Recht der freien Meinungsäußerung. Im Schein von Taschenlampen flüstern einzelne verschwörerisch, dass es nicht nur die Malier sind. Auch mauretanische Exekutivbeamte würden mit der El Kaida zusammenarbeiten. Es locke das Geld.

Spät in der Nacht sitzen im Train au désért „schwarze“ und „weiße“ Mauren gemeinsam beim Tee. Auf einem Gaskocher am Boden brodelt Wasser in einer kleinen Kanne. Minzeblätter werden aufgekocht, mit sehr viel Zucker zu einem sirupartigen Gebräu verdickt. Mittels eines komplizierten Um- und Einschenkverfahrens kreiert der Teemeister kunstvoll Schaum in den winzigen Gläsern, ein Balanceakt. Die Gläser gehen reihum, vorsichtig nippt man an dem zuckersüßen Getränk, immer auf den nächsten Ruck gefasst.

Anna Mayumi Kerber ist freie Journalistin, u.a. für die Presse und fm4.

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