Das Himalaya-Königreich Nepal erlebte im vergangenen Jahr starke Erschütterungen: Zuerst das Massaker im Königspalast und dann ein blutiges Ende des kurzlebigen Friedensprozesses mit der Rebellenbewegung.
Der Mord im Königspalast brachte Nepal zwar in die Newsrooms, doch glaubwürdige Informationen darüber, was in jener Nacht wirklich geschah, gibt es bis heute nicht. Stattdessen ging eine andere Nachricht in die Welt hinaus: Die von der Existenz maoistischer Aufständischer im Lande, die bald die Hälfte der 75 Verwaltungsdistrikte – oder ein Viertel des Territoriums – kontrollierten. Vor sechs Jahren haben die „Maos“ ihren „Volkskrieg“ ausgerufen. Bilanz: Rund 3.000 Tote.
In einigen Distrikten haben ihre Kader provisorische Regierungen gebildet, die Steuern einheben, Schnellgerichte abhalten, die kommunale Landwirtschaft organisieren und die öffentliche Sicherheit gewährleisten. Ihre Strategie leiten sie aus den Schriften Mao Tse Tung’s ab: Machtübernahme durch die Bauern auf dem Lande, um die städtischen Eliten einzukesseln und herauszufordern; selektiver Gewalteinsatz und Umerziehung der Menschen. Gegner behandeln die „Maos“ mit harter Hand, ja Brutalität; bei der Bevölkerung haben sie sich aber vielfach eine Art Robin-Hood-Image erworben. Am erfolgreichsten sind sie dort, wo die miserabelsten Lebensbedingungen herrschen: Im Rolpa-Distrikt, einer ihrer Hochburgen im Mittelwesten, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei 52 Jahren, das jährliche Prokopfeinkommen bei unter 100 US-Dollar. Schätzungen über die Zahl der Kämpfer sprechen von rund 2.500, plus vielleicht 10.000 als milizähnliche Bauernverbände. Sie finanzieren sich aus Banküberfällen und Schutzgelderpressung. Ihre Bewaffnung ist einfach und wurde zumeist bei Überfällen auf Polizeistationen erbeutet.
Premier Deuba hatte sofort nach seiner Amtsübernahme einen Gesprächsprozess mit den „Maos“ eingeleitet. Nach nur einer Woche erreichte er einen Waffenstillstand. Die „Maos“, die 1996 mit einem radikalen 40-Punkte-Forderungskatalog angetreten waren (u.a. weitreichende Landreform, Ende der engen Beziehungen mit Indien, Stopp der ausländischen Entwicklungshilfe), hatten seither viele ihrer Forderungen abgeschwächt und die nach Abschaffung der Monarchie zurückgezogen. Sogar eine Rückkehr der KP-Abspaltung ins parlamentarische System schien nicht ausgeschlossen. Dafür verlangten die „Maos“ Reformen im Rahmen einer verfassunggebenden Versammlung, was die Regierung ablehnte. Einziges substanzielles Zugeständnis war die Freilassung einiger inhaftierter Gesinnungsgenossen. Sowohl seitens der kommunistischen Opposition als auch innerhalb der Congress-Partei gab es starke Widerstände gegen Deubas Gesprächskurs.
Offenbar erwarteten die „Maos“ auch von der Regierung ein Entgegenkommen – und offenbar fühlten sie sich stark: Am Mittwoch, dem 21. November, nur acht Tage, nachdem sich die Delegationen zu einer Verhandlungspause vertagt hatten, veröffentlichten sie plötzlich ein Kommuniqué, wonach es keinen Sinn mehr mache, den Waffenstillstand einzuhalten. Weitere 48 Stunden später überfielen sie simultan mehr als zwei Dutzend Orte und griffen dabei erstmals direkt die Armee an. Eine friedliche Lösung scheint damit in weite Ferne gerückt.
Das neuerliche Kräftemessen begann für die „Maos“ zunächst erfolgreich: So erbeuteten sie bei ihren Angriffen von der Armee auch automatische Waffen und Munition. In Surkhet zerstörten sie drei Hubschrauber, die privaten Fluglinien gehörten. Die Not leidenden Sicherheitskräfte des Himalayakönigreichs sind für ihre Einsätze darauf angewiesen, sich fallweise auch Fluggerät auszuleihen. Die Regierung hat ihrerseits den Einsatz der Streitkräfte bei der Aufstandsbekämpfung beschlossen, den Notstand ausgerufen und die „Maos“ zur „terroristischen Organisation“ erklärt. Beide Nachbarn, Indien und China, unterstützen die Maßnahmen der nepalesischen Regierung. Im Rahmen einer Gegenoffensive dauern Gefechte an, bei denen die Armee klar die Oberhand zu haben scheint.
Drei Religionen gebe es in Nepal, sagen Spötter: Hinduismus, Buddhismus, Tourismus. Der Tourismus ist Nepals wichtigster Devisenbringer. Im Jahr 1999 lagen die Einnahmen bei 168,1 Mio. US-Dollar, Tendenz steigend. Doch der Boom im Fremdenverkehr bringt es auch mit sich, dass ganze Regionen in der Trekkingsaison regelrecht verwaisen und viele Menschen – vor allem die Männer – irgendwann ganz abwandern. Und der Tourismus ist krisenanfällig: Nach der Entführung eines Jets der Air India am 24.12.1999 von Kathmandu aus nach Kandahar (Afghanistan) durch Kaschmir-Separatisten gab es einen ersten schmerzlichen Einbruch beim Pilgertourismus zu den Hindu-Heiligtümern Nepals.
Der mysteriöse Mord im Königshaus, damit verbundene Unruhen sowie die Medienaufmerksamkeit für den Maoistenaufstand sind weitere Faktoren, die zu einem Besucherschwund führten: Nach Angaben des Nepal Tourism Board ist die Zahl in den ersten elf Monaten des Jahres 2001 um 14% gesunken. Der große Einbruch erfolgte jedoch erst nach den Terroranschlägen in den USA. Der touristische Spitzenmonat Oktober erlebte gegenüber dem Vorjahr einen Rückgang von 34%, der November einen von 42%. „Besucher aus den Vereinigten Staaten sind fast völlig weggeblieben“, klagen Hoteliers. Wie sich die Eskalation des Bürgerkriegs und die Ausrufung des Notstands auf die Besucherzahlen auswirken werden, kann man erst im Frühjahr sehen, wenn die Saison wieder beginnt. Es besteht durchaus die Gefahr, dass es zu einem Kollaps der ohnehin schon labilen Volkswirtschaft kommt.
Wenn die „Maos“ geglaubt hatten, nach erfolgreichem militärischen Muskelspiel gestärkt an den Verhandlungstisch zurückkehren zu können, haben sie sich verspekuliert. Doch ein Waffengang bis zum Endsieg ist ein Horror, besonders für die Zivilbevölkerung. Die Brutalität der Kämpfer auf beiden Seiten ist sprichwörtlich. Mit dem Ausnahmerecht sind auch Informations-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt. Budgetumschichtungen zur Stärkung der Sicherheitskräfte auf Kosten der Entwicklungsausgaben werden diskutiert.
Ob eine militärische „Lösung“ überhaupt realistisch ist, scheint schon aufgrund der schwierigen Geografie des Himalayakönigreichs zweifelhaft. Doch die Hürden für eine Rückkehr an den Verhandlungstisch sind derzeit so hoch wie nie zuvor. Premier Deuba hatte die Gespräche nur gegen starke Widerstände der parlamentarischen Opposition und aus seiner eigenen Congress-Partei geführt; auch der neue König Gyanendra hat sich als Befürworter einer harten Linie zu erkennen gegeben. In einem Interview nannte Bahadur Deuba die „Maos“ nun „Verräter“, mit denen keine Verhandlungen möglich seien. Vor irgendwelchen Gesprächen müssten sie sich ergeben und die Waffen abliefern. Seine Enttäuschung ist verständlich. Doch Nullsummenspiele haben in der Politik meist hohe Kosten und sind selten erfolgreich.
Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins, Lateinamerika-Experte und Autor mehrerer Bücher zu Drogenhandel und politik. Er kennt Nepal von zahlreichen Reisen, zuletzt im November/Dezember des Vorjahres, und hat dort als Consultant im Kurzzeit
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