Die globalisierungskritische Bewegung in den USA machte erstmals 1999 in Seattle von sich reden. Viele Demos und Aktionen später wird deutlich, dass ein „Nein“ nicht genügt. Gefragt sind gehaltvolle Gegenentwürfe zur derzeit herrschenden Globalisierung.
Die egoistischen Gewerkschaften und die weltfremden UmweltschützerInnen würden von nun an gemeinsam agieren. Dies war die Hoffnung der ersten großen nordamerikanischen Demonstration gegen die neoliberale Globalisierung 1999 in Seattle. Bereits die nächste große Demonstration anlässlich der IWF/Weltbank-Frühjahrstagung im April 2000 zeigte die Grenzen dieser Allianz auf. Die Gewerkschaften konzentrierten sich darauf, die Mitgliedschaft Chinas in der Welthandelsorganisation (WTO) zu verhindern, anstatt wie das Gros der Bewegung auf veränderte entwicklungspolitische Prioritäten zu drängen. Beides blieb bekanntlich erfolglos.
Von ihren Vorläufern (Proteste gegen Weltbank/IWF im Norden und Süden, Fairtrade-Bewegung etc.) unterschieden sich die nordamerikanischen Demonstrationen durch ihre per Internet koordinierten Aktionen. Das Internet reflektiert und ermöglicht den Netzwerkcharakter der globalisierungskritischen Bewegung und die Ad-hoc-Organisation von kreativen Aktionen. Doch es stößt an die Grenzen der „digital divide“ (digitale Kluft) zwischen Norden und Süden, Reichen und Armen und bei der Entwicklung von gehaltvollen Alternativen zur neoliberalen Globalisierung.
Wie in Europa stammen in Nordamerika die meisten GlobalisierungskritikerInnen aus der (weißen) Mittelklasse, aber im Unterschied zu den „neuen sozialen Bewegungen“ sind materielle Fragen wieder ins Zentrum gerückt, unter anderem deshalb, weil auch HochschulabgängerInnen schlechte Arbeitsbedingungen und Arbeitsplatzunsicherheit vorfinden. Die Bewegung, deren Größe davon abhängt, ob man die Millionen von Gewerkschafts- und Umweltverbandsmitgliedern mitzählt, ist ungemein facettenreich. Im Unterschied zu Europa sind die meisten Kampagnen eher auf die unmittelbare Veränderung von Unternehmenspraktiken als auf staatliche Lösungen ausgerichtet. Das herausragende Beispiel ist die Anti-Sweatshop-Bewegung (siehe auch Seite 34), die es in Europa fast nicht gibt. Diese von den Gewerkschaften angestoßene und von vielen studentischen Initiativen aufgegriffene und eigenständig weiter entwickelte Praxis setzt an der Komplizenschaft der KäuferInnen an, zum Beispiel von Kleidung mit Logos von Universitäten. Diese haben mit der Lizenzvergabe ein Druckmittel, um bessere Arbeitsbedingungen zu verlangen.
Bisher hat die globalisierungskritische Bewegung nur wenig Greifbares erreicht. Naomi Klein, eine ihrer herausragenden Persönlichkeiten, erkannte früh die Grenzen des „summit hopping“ – die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit ist auf das Zerschlagen von Fensterscheiben fixiert und die Treffen der KritikerInnen auf die Organisation von Protest. Allerdings mag das Scheitern der WTO-Konferenz in Cancún im September d. J. andeuten, dass durch die Blockade neoliberaler Projekte nun Raum für Verhandlungen gewonnen wurde.
Die vielleicht wichtigste Entwicklung resultiert aus der studentischen Beteiligung in Kampagnen wie der Anti-Sweatshop-Bewegung. Aus dem Engagement für Menschen- und Arbeitsrechte in Entwicklungsländern entsteht Engagement für die Sache von ImmigrantInnen und anderen Menschen mit schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen im eigenen Land. Engagement in der eigenen Gemeinde und sogar eine Karriere in der Gewerkschaftsbewegung sind nicht länger anrüchig. Dies ist wichtig, denn wie soll eine globalisierungskritische Bewegung Erfolg haben, wenn sie nicht in der Lage ist, die politischen und sozialen Bedingungen im jeweils eigenen Land zu verändern? Die Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Globalisierung wird nicht zwischen DemonstrantInnen und der Welthandelsorganisation WTO entschieden.
www.globalizethis.org
Thomas Greven ist Wissenschaftlicher Assistent der Abteilung Politik des John F. Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin.