In ganz Afrika häufen sich die Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch schwer bewaffnete Wildhüter und Parkranger. Auch im Nationalpark Virunga läuft etwas schief.
Von Simone Schlindwein
Mit schmerzverzerrtem Gesicht hebt Maurice Matembela seine verbundene Hand. Eine Kugel hat dem Fischer die Daumensehne durchtrennt, jetzt kann er nicht mehr arbeiten. „Meine vier Kinder sind hungrig“, sagt er.
Als Einziger, so Matembela, habe er einen Zwischenfall auf dem Edwardsee im Osten der Demokratischen Republik Kongo am 23. Mai überlebt. Er habe mit seinen Kameraden gerade die Netze ausgeworfen, als sich ein Motorboot näherte, mit zwei bewaffneten Milizionären an Bord. „Sie haben uns als Geiseln genommen“, berichtet er.
Doch dann keimte bei ihm Hoffnung auf: Ein Patrouillenboot der staatlichen Naturschutzbehörde ICCN näherte sich. An Bord seien Ranger des Nationalparks Virunga gewesen. „Ich dachte, die Ranger würden uns helfen“, sagt Matembela. „Sie eröffneten direkt das Feuer.“ Seine Kameraden sind im Kugelhagel gestorben. Er selbst habe sich aber am Bootsrand festhalten können. Da traf die Kugel seine Hand. „Ich kann von Glück reden, dass sie mich gerettet haben.“
Parkranger als Gefahr. Was an jenem Tag genau geschehen ist, bleibt ungeklärt. Die Parkbehörde erklärt auf Anfrage, die Ranger hätten sich gegen eine Miliz durchgesetzt.
Für Natalus Makuta ist klar, dass so ein Vorgehen der falsche Weg ist, Naturschutz zu betreiben. Makuta ist Vertreter der lokalen Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Creddho (Centre de Recherche sur l’Environment, la Démocratie et les Droits de l’Homme) und dokumentiert die Verbrechen der Wildhüter.
Dabei scheinen die Naturschützer selbst zur Gefahr geworden zu sein: In jedem Dorf rund um den Nationalpark Virunga finden sich Menschen, die sagen, sie seien von Parkrangern drangsaliert, verhaftet, geschlagen, angeschossen oder vergewaltigt worden.
Virunga ist Afrikas ältestes Naturschutzgebiet und ein Unesco-Weltkulturerbe. In ihm leben auch die vom Aussterben bedrohten Berggorillas. Aber für viele Kongolesinnen und Kongolesen ist der Park ein bedrohlicher Staat im Staat. Sie nennen ihn „die unabhängige Republik Virunga“.
In der Savanne um das Dorf Vitshumbi mit seinen 700 EinwohnerInnen tummeln sich wilde Tiere, und Milizen. Auf dem Friedhof sind frische Gräber – für Menschen, die von Wildhütern getötet wurden. Umweltaktivist Makuta ist vor Ort und schaut auf die Kreuze: „Die Tiere im Kongo sind besser geschützt als wir Menschen.“
Im Ort Mugunga am südlichen Rande des Parks erzählt Esperance Kabekatyo, sie sei von den Rangern fast vergewaltigt worden, als sie ihre Bohnenernte einholen wollte. „Von allen Milizen sind die Ranger meine größten Feinde“, betont sie.
Botschaft an EU. Dann bittet sie darum, eine Botschaft an die Europäische Union richten zu dürfen: „Mithilfe der EU-Gelder ist der Park sehr mächtig geworden. Doch wenn die Ranger uns weiter so behandeln, werde ich zur Waffe greifen und gegen sie rebellieren!“
Die EU hat seit 1988 rund 30 Millionen Euro in den Nationalpark Virunga gesteckt. Er ist ein Vorzeigeprojekt des internationalen Naturschutzes in einer Bürgerkriegsregion. Bislang ging die Armee der DR Kongo gegen die Milizen vor. Mittlerweile hat aber der Nationalpark besser ausgebildete Wildhüter, die 300 Mann der Schnellen Eingreiftruppe QRU.
Sie wurden von belgischen und französischen Militärausbildern mit EU-Mitteln trainiert. Mit Scharfschützengewehren, Raketenwerfern und Infrarot-Nachtsichtgeräten ziehen diese Ranger in den Krieg. „Ich wollte Naturschützer werden wie mein Großvater und mein Vater“, erzählt einer von ihnen. „Doch stattdessen bin ich jetzt eine Kampfmaschine.“
Koloniales Erbe. Virunga ist kein Einzelfall: Die Tendenz zur Militarisierung des Naturschutzes zeichnet sich in den vergangenen Jahren überall in Afrika ab. Dass der Naturschutz wehrhafter werden müsse, ist ein sich selbst bestätigendes Mantra geworden und damit wesentlicher Bestandteil des Diskurses um die Bewahrung der Biodiversität.
Und diese wird immer mehr zu einer Priorität internationaler Entwicklungszusammenarbeit: Laut UN soll bis 2030 ein Drittel der Erdoberfläche Naturschutzgebiet werden. Das sei nötig, um das globale Artensterben zu bremsen. Kaum ein anderer Schwerpunkt der Entwicklungshilfe wurde so aufgewertet, mit budgetären Zuwächsen von mehreren hundert Prozent in den vergangenen Jahren.
Schon die Gründung vieler Schutzgebiete zu Kolonialzeiten ging dabei einher mit Vertreibung von indigenen Bevölkerungsgruppen.
Durch internationale Vereinbarungen sollen in den nächsten Jahrzehnten die bestehenden Schutzgebiete in Afrika ausgeweitet werden, einige werden gar neu gegründet.
Dies führt unweigerlich zu lokalen Land- und Ressourcenkonflikten. Der rasche Bevölkerungszuwachs auf dem afrikanischen Kontinent wird im Zuge dessen zur Bedrohung erklärt, und die Naturschutzgebiete zunehmend mit Waffengewalt verteidigt.
Selbst wenn NaturschützerInnen Fortschritte beim Schutz bedrohter Arten vermelden, ist Skepsis angebracht: Denn der wehrhafte Artenschutz kommt zu einem Preis, den wie im Fall vom Nationalpark Virunga nicht selten die lokale Bevölkerung zahlen muss.
Simone Schlindwein ist freie Journalistin in der Region der Großen Seen in Afrika und lebt in Kampala, Uganda und Deutschland.
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