Nachhaltiger Tourismus – Hoffen auf die Krise

Von Anita Pleumarom · · 1999/07

Die Globalisierung gelangt im Tourismus zur Blüte, meint die Autorin Anita Pleumarom. Mit allen Nachteilen für Natur und bereiste Völker. Ansätze wie „Ökotourismus“ seien nicht mehr als Werbetricks. Bleibt nur, auf Wirtschschaftskrisen – wie jene in Ostas

Bevor ich mich den nackten Tatsachen der Weltwirtschaft zuwende, eine Geschichte zum Aufwärmen: Unlängst las ich in der Zeitung folgende Aussage des thailändischen Forstwirtschaftsministers: „Menschen können nicht im Wald leben, da Menschen keine Tiere sind. Im Unterschied zu uns können sich Tiere auf natürliche Weise an die Wildnis oder andere Umgebungen anpassen.“ Damit sollte der Regierungsplan legitimiert werden, Hunderttausende Menschen, darunter Angehörige von Bergvölkern, aus geschützten Gebieten abzusiedeln.

Dieser Mann, verantwortlich für die Erhaltung der Wälder, setzt gleichzeitig alles daran, die 81 Nationalparks des Landes für ausländische InvestorInnen und BesucherInnen zu öffnen – im Namen des „Ökotourismus“. Heißt das, daß der Forstminister InvestorInnen und TouristInnen als Tiere betrachtet, die sich an den Wald anpassen und in der Wildnis natürlich verhalten können?

Die Behörden sprechen also der lokalen, oft seit Generationen in der Region lebenden Bevölkerung die Fähigkeit ab, ihr Land und ihre natürlichen Ressourcen zu verwalten und zu bewahren. Andererseits glauben sie aber, daß sie das selbst sehr wohl können – in Kooperation mit der Tourismusbranche und gemäß einem nationalen Ökotourismusplan.

Was hat das alles mit Globalisierung zu tun? Einiges, denn die Vorstellung, Menschen könnten nicht im Wald leben, beschränkt sich keineswegs auf Thailand. Es handelt sich um ein Konstrukt der westlichen Naturschutzideologie, das sich im Rahmen der Globalisierung weltweit verbreitet hat – genauso wie die Idee, daß ein „gut gemanagter“ Ökotourismus der lokalen Bevölkerung und der Natur nützt. Kein Zweifel: Der Forstwirtschaftschef in Thailand denkt global und handelt lokal.

Genauso wie Thailand setzen heute viele Entwicklungsländer angesichts der Schuldenlast und sich verschlechternder Terms of Trade auf die Förderung des Tourismus, in der Hoffnung auf Deviseneinnahmen und Investitionen. Gleichzeitig wirken internationale Institutionen, darunter die Weltbank, UN-Organisationen und private Lobby-Gruppen wie der World Travel & Tourism Council (WTTC) wesentlich daran mit, den Tourismus in ein wirklich globales Geschäft zu verwandeln.

Und tatsächlich belegt kaum ein anderer Geschäftszweig die globale Handlungsfähigkeit transnationaler Unternehmen mit solcher Deutlichkeit. So hat die Branche in den letzten Jahren immer stärkeren Druck auf Regierungen in aller Welt ausgeübt, den Dienstleistungshandel zu liberalisieren, und sie dürfte in hohem Ausmaß vom Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) profitieren, das im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO abgeschlossen wurde.

Im Hotelsektor etwa begünstigt das GATS Franchising-, Management- und Lizenzabkommen, womit sich Hotelketten leichter Zugang zu neuen Märkten verschaffen können. Außerdem werden ausländische Tourismusunternehmen dieselben Vergünstigungen wie lokale Unternehmen beanspruchen, nach Belieben Personal über Staatsgrenzen hinweg verlagern und Niederlassungen im Ausland gründen können, während der internationale Zahlungsverkehr gleichzeitig von restriktiven Bestimmungen befreit wird.

Dem entspricht auch die „Millenium Vision“, die der WTTC für das Reise- und Tourismusgeschäft entwickelt hat. Zu den Hauptzielen gehören etwa:

– Regierungen davon zu überzeugen, den Sektor Reisen und Tourismus zu einer Priorität ihrer wirtschaftlichen Entwicklungsstrategie und Beschäftigungspolitik zu machen;

– weitere Öffnung der Märkte und stärkerer Wettbewerb durch Unterstützung der Umsetzung des GATS, Liberalisierung des Flugverkehrs und Deregulierung des Telekommunikationssektors;

– Beseitigung von Wachstumsschranken des Tourismus durch die Erweiterung und Modernisierung der Infrastruktur – das heißt Erweiterung der Kapazität von Flughäfen und die Errichtung und Modernisierung von Flughäfen, Straßen und touristischen Einrichtungen.

Daß in manchen Entwicklungsländern mehr als zwei Drittel der Tourismuseinnahmen aufgrund hoher Devisenabflüsse nie in die lokale Wirtschaft gelangen, ist jedoch seit langem erwiesen. Wenn nun die neue Freihandels- und Investitionspolitik umgesetzt wird, könnte sich die Tourismusbilanz dieser Länder noch verschlechtern: Die von ausländischen Firmen repatriierten Gewinne und andere Einnahmen werden wahrscheinlich stärker zunehmen als der Zufluß an Kapital.

Nichts Neues, würden viele Kritiker anmerken. Noch dazu führt die Globalisierung zu einem Machtverlust der Regierungen, warnen sie: Lokale und nationale Institutionen, so die Argumentation, werden nicht mehr fähig sein, ihre Aufgaben in angemessener Weise zu erfüllen – etwa im Bereich der sozialen Sicherheit, der Erhaltung der Umwelt und der Umsetzung von Programmen nachhaltiger Entwicklung.

Gleichzeitig werden auf multilateraler Ebene soziale und ökologische Probleme kaum oder überhaupt nicht berücksichtigt. Zwar wurde in der WTO etwa die Einführung von „Umweltstandards“ und „Öko-Labels“ diskutiert, die von internationalen Gremien entwickelt werden könnten, während die UN-Generalversammlung in einer Resolution zum „Nachhaltigen Tourismus“ betonte, daß die Entwicklung des Tourismus einer demokratischen Regulierung bedarf.

Dies steht jedoch in klarem Widerspruch zu den Zielen der Agenten der Globalisierung des Tourismus, nämlich Deregulierung und Selbstregulierung der Branche. Und der Einfluß des Privatsektors in internationalen Umweltforen nimmt stetig zu – dies könnte ernsthafte Bemühungen um striktere Richtlinien für die Tourismusbranche torpedieren. Kritiker befürchten jedenfalls, daß globale Richtlinien von den Interessen der transnationalen Unternehmen dominiert werden dürften, die sich das Thema Umwelt zu eigen machen wollen.

Dieser Konflikt kam besonders stark auf einer Konferenz der Vertragsparteien der Biodiversitäts-Konvention im slowakischen Bratislava im Mai 1998 zum Ausdruck. Ein Thema dabei: die Integration des Schutzes der Biodiversität in den Tourismus. Viele Regierungsdelegationen wehrten sich gegen Versuche Deutschlands, das Ministertreffen zur Annahme eines Programms zur Entwicklung weltweiter Richtlinien zur Biodiversität und zum nachhaltigem Tourismus zu bewegen. BeobachterInnen meinen, daß die deutsche Regierung in den letzten Jahren auf UN-Ebene die Interessen der mächtigen deutschen Tourismusbranche in auffälliger Weise immer stärker unterstützt hat. „Wir können einige der Top-down-Ansätze, die hier diskutiert wurden, nicht befürworten“, gab etwa der Delegierte von Samoa zu bedenken.

Gleichzeitig bestehen auch berechtigte Befürchtungen, daß ein „nachhaltiger“ oder „Öko“-Tourismus im Rahmen der wirtschaftlichen Globalisierung es Multis weiter erleichtern würde, sich Zugang zu ökologisch sensiblen Gebieten zu verschaffen. Oder, wie es der österreichische Umweltminister in Bratislava ausdrückte: „Nachhaltiger Tourismus eröffnet neue Marktchancen.“

Eine andere Sorge betrifft den Umstand, daß Richtlinien und Programme, die von Verfechtern eines nachhaltigen Tourismus auf internationaler Ebene diskutiert und beschlossen werden, notwendigerweise sehr unbestimmt bleiben müssen. Üblicherweise sind sie auch übertrieben schönfärberisch und mit modischen Schlagwörtern gespickt: „Empowerment“ lokaler Gemeinschaften; lokale Beteiligung und Kontrolle; gerechte Einkommensverteilung; Nutzen für den Naturschutz und den Schutz der biologischen Vielfalt, um nur einige anzuführen.

Nach Ansicht des kanadischen Tourismusexperten, Nick Kontogeorgopoulos, sind Versuche, Tourismusprojekte auf Basis solcher Richtlinien umzusetzen, zum Scheitern verurteilt. Es sei einfach unmöglich, sie auf höchst unterschiedliche und heterogene Destinationen anzuwenden: „Diese altruistischen Prinzipien mögen theoretisch durchaus lobenswert sein. Das Fehlen eines lokalen Kontexts entzieht ihnen jedoch jede praktische Relevanz.“ Fazit: Nicht Bemühungen auf globaler Ebene, sondern lokale Verhältnisse und Bedingungen entscheiden letzlich über den Erfolg einer nachhaltigen Entwicklung.

Gerade in Asien hätte die im Kontext der Globalisierung erfolgte rasche Expansion des Tourismus in großem Ausmaß zur jetzigen Wirtschaftskrise beigetragen, versichern Sozial- und Umweltaktivisten. In der Ära der sogenannten „Bubble Economy“ verwandelten wahllose und ohne Überprüfung ihrer Nachhaltigkeit vorgenommene Investitionen ganze Landstriche in riesige Tourismus-Komplexe mit Luxushotels, Golfplätzen und Casinos, inklusive der nötigen Infrastruktur wie etwa Flughäfen, Autobahnen und Staudämme zwecks Stromerzeugung. Die wirtschaftliche Liberalisierung führte zu einem Boom des Tourismus, der Bauwirtschaft und der Immobilienbranche, gefördert von lokalen Banken und ausländischem Spekulationskapital.

Angesichts der Krise in Asien, einer Katastrophe für die betroffenen Menschen, erscheinen alle Debatten und Arbeitsprogramme für die Umsetzung der globalen und lokalen „Agendas 21“ und für eine nachhaltige Entwicklung wirklichkeitsfremder denn je. Nach UN-Angaben gerieten in der Region mehr als 100 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze, und es wird befürchtet, daß die Machenschaften des unregulierten globalen Spekulationskapitals nicht nur die Wirtschaften in Asien, sondern auch den Rest der Welt ruinieren könnten.

Ich möchte Sie nun mit einer provokanten Ansicht konfrontieren: Nicht die Bemühungen der vielen ExpertInnen, die seit langer Zeit die Umsetzung globaler und lokaler Arbeitsprogramme vorantreiben, werden uns einem nachhaltigen Tourismus näherbringen. Ironischerweise ist es eher die aktuelle umfassende Krise, die letzlich für mehr Nachhaltigkeit im Tourismus sorgen wird – zumindest was die Umwelt betrifft. Warum?

Erstens war die rasche Zunahme der Zahl der Fernreisenden ein grundlegendes Problem für den nachhaltigen Tourismus. Die Krise hat aber das Wachstum der Branche gestoppt. Der WTTC, der noch Anfang 1998 ein jährliches Wachstum von 7% bis zum Jahr 2008 vorhersagte, geht nun von einer Stagnation des Tourismusgeschäfts in den nächsten Jahren aus. Das mag schlecht für die Wirtschaft sein, doch die Umwelt wird zweifellos von stagnierenden oder sogar sinkenden Touristenzahlen profitieren.

In erster Linie jedoch beginnen die Gesellschaften in Asien zu begreifen, daß es dem globalen kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht gelungen ist, Fortschritt in einem umfassenden Sinn zu gewährleisten. Die Menschen verlieren ihr Vertrauen in eine globalisierte Wirtschaft. Sie müssen nicht nur für die Aktivitäten skrupelloser Spekulanten bezahlen, sondern leiden zusätzlich unter den vom Internationalen Währungsfonds auferlegten strukturellen Anpassungsprogrammen.

Manche ExpertInnen gehen sogar so weit, Freihandel und ein liberales Investitionsregime als „Schnee von gestern“ zu bezeichnen. Besonders Malaysia hat zuletzt maßgebliche Schritte gesetzt, um sich von den globalen Märkten abzuschotten, und grenzüberschreitende Kapitalflüsse einer strikten Kontrolle unterworfen.

Die Regierungen in Asien werden sich in Zukunft wahrscheinlich eher auf die eigenen Kräfte stützen, denn sie werden von allen Bevölkerungsschichten unter Druck gesetzt, wirtschaftliche Strategien zu entwickeln, die in erster Linie auf inländischem Kapital und dem Inlandsmarkt beruhen. Dazu gehört die Stärkung der Landwirtschaft und der lokalen Industrie, um zuallererst die Lebensgrundlagen der Bevölkerung zu schützen.

Jene Kräfte, die sich für eine weitere Förderung wirtschaftlich riskanter Dienstleistungsbranchen wie des Tourismus einsetzen, dürften an Einfluß verlieren.

Außerdem hat die Krise eine breite öffentliche Debatte über die Auswirkungen einer globalisierten Kultur und Lebensweise ausgelöst, etwa über den Konsumterror und den verschwenderischen und unproduktiven Umgang mit Ressourcen. Auch Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten werden in der Region immer lauter. Der zunehmende Widerstand von UmweltschützerInnen und DorfbewohnerInnen in Thailand gegen die offiziell betriebene Öffnung geschützter Gebiete für einen „Ökotourismus“ im großen Stil ist dabei nur ein Beispiel.

Angesichts der Ereignisse in Asien könnten wir zur Einsicht gelangen, daß es besser ist, den Tourismus etwa durch eine stärkere Begrenzung der Touristenzahlen und einen Stopp seiner räumlichen Ausdehnung strikt zu regulieren, als das Wachstum der Branche weiter zu fördern – in der Hoffnung, daß dieses Wachstum mit „gutem Management“, Erziehung der Touristen usw. in den Griff gebracht werden kann. Die aktuelle Krise scheint zu bestätigen, was viele Tourismuskritiker schon seit jeher behauptet haben: Die globale Tourismusbranche kann unter den gegebenen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen nicht in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt werden. Das bedeutet, daß Bemühungen um die Umsetzung von Sozial- und Umweltprogrammen und um einen nachhaltigen Tourismus wahrscheinlich kaum vorankommen werden, solange sich die Strukturen des globalen Systems nicht tiefgreifend verändern.

Anita Pleumarom koordiniert das Tourism Investigation & Monitoring Team (t.i.m.-team) in Bangkok und publiziert – mit Unterstützung des Third World Network – New Frontiers, ein zweimonatlich erscheinendes Newsletter über Tourismus, Entwicklung und Umwelt

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