Myanmar: Dichten für Demokratie

Von Christine Tragler · · 2022/Mar-Apr
© Judith Nicolussi

Dichter*innen aus Myanmar lassen in die offenen Wunden eines Landes blicken, das seit dem Militärputsch im Februar 2021 von politischer Willkür, Gewalt und Angst regiert wird. Ein Jahr nach dem Staatsstreich und der Entmachtung der demokratisch gewählten Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kommt es nach wie vor zu Protesten.

Während die Militärjunta unter Führung von Min Aung Hlaing brutal gegen die De-monstrant*innen vorgeht, lässt sich der Widerstand nicht brechen. Laut der Gefangenenhilfsorganisation AAPP wurden seither mehr als 1.500 Menschen getötet, fast 12.000 festgenommen und zahlreiche wurden ins Exil getrieben – darunter auch viele Schriftsteller*innen, die der Demokratiebewegung ihre Stimme verliehen. chrit

Frühling

Frühling, beschlagnahmt,
in Schwalben verwandelt.

Schwalben, eingesperrt,
in Geschrei verwandelt.

Geschrei, zum Schweigen gebracht,
in Bilder verwandelt.

Bilder, verborgen,
in Augen verwandelt.

Augen, gewaltsam geschlossen,
in Träume verwandelt.

Träume, verleugnet,
in Landkarten verwandelt.

Landkarten, zerstört,
in Erinnerung verwandelt.

Erinnerungen, gelöscht,
in Straßen verwandelt.

Straßen, blockiert,
in laufende Beine verwandelt.

Beine, zertrümmert,
in Flügel verwandelt.

Flügel, angeschnitten,
in Wind verwandelt.

Wind, inhaftiert,
in Sturm verwandelt.

Sturm, eingekerkert,
schafft eine Million Nachkommen.

Die Nachkommen sind unser.
Das Ein- und Ausatmen –

Der Atem fließt durch unsere Nase
rein und raus –

unser Frühling.

Aung Khin Myint, Radiologe, ist bekannt für seine Kunst- und Literaturkritik, die er seit 2000 regelmäßig in myanmarischen Zeitschriften veröffentlicht.

Ich bin der CDM, Maung*

Für Mütter im Kampf

Ich bin der CDM, Maung.
Natürlich weiß ich, dass der Reisbehälter leer ist.
Und doch
für unsere Tochter morgen
müssen wir heute handeln.

Ich möchte nicht von wütenden Hunden angegriffen werden, Maung.

Ich bin draußen, um die Hunde zu verjagen.

Ich weiß, Maung,
die Armee schießt nicht in die Luft.
Lieber würde ich im Tod leben,
als tot zu sein, während ich noch lebe.

Auch ich habe Angst vor dem Tod, Maung.
Mehr als ich meinen eigenen Untergang fürchte,
fürchte ich die Dunkelheit, die sich
über der Zukunft unserer Tochter abzeichnet.

In diesem Spiel gibt es kein Patt, Maung.
Ich für meinen Teil glaube fest daran,
unser Anliegen wird sich durchsetzen.

Wenn du dich nicht traust, mitzukommen,
dann lass einfach meine Hand los, Maung.
Mit der Hand meiner Tochter in der meinen
werde ich den CDM feiern.

*Der Titel parodiert einen populären Roman „I am a Rose, Maung“. CDM bezieht sich auf die Bewegung des zivilen Ungehorsams (Civil Disobedience Movement) gegen den Militärputsch in Myanmar 2021.

Khaing Mar Kyaw Zaw ist Frauenrechtsaktivistin und war in Myanmar am Widerstand gegen die Militärdiktatur beteiligt. Sie lebt heute in den USA.

Burmas Sibirien

Für K Za Win

Kein einziges Mal
ist die Welt auf unserer Seite.

Wir entrollen unsere eigene Flagge,
wir setzen unser eigenes Segel
– stets gegen den Wind.

Die Hand, welche die Erklärung unterschreibt,
ist jene Hand,
welche die Welt zerstören wird.
Irgendwo habe ich das gelesen.

Halte keine Ausschau nach
einem Thronanwärter.
Rechne auch nicht mit einem Retter.
Sie leben ihr Leben.
Wir haben das unsere.

Auf Kugeln
steht keine Anschrift
geschrieben.

Ein Messer muss
im Ofen gehärtet werden.

Der Dharma beginnt
in einem selbst.

Wer seine Hausaufgaben erledigt,
macht weniger Fehler.

Die Tragödie ist,
Muttererde hat einen Dichter verloren.
Wer wird ihre Geschichte schreiben.

Und doch, wer wagt zu behaupten,
er würde nicht zurückkommen
wie Latwe Tundra oder Alexander Solschenizyn.

Kyi Zaw Aye ist ein Lyriker aus Monywa. Der Dichter K Za Win, dem er dieses Gedicht widmete, wurde am 3. März bei Protesten getötet.

Ein echtes Gedicht

Nur diejenigen,
die durch Sicherheitsmaßnahmen geschützt sind,
machen Liebe nach Liebe nach Liebe.
Was mich betrifft,
ich hab‘ ein Andenken an meine Freundin.

Das Leben ertragen zu müssen,
das ist schon eine Herausforderung.
Keine Ahnung, warum
ich immer wieder Charlie Chaplinette bin.

Damit einer nicht zum Dieb wird,
ist der Plastikbecher angekettet
am Trinkwasserhahn der Organisation für Wohltätigkeit,
genau die Art von Installationskunst,
welche diese Zeit braucht.

Auch dieses Jahr
werden wir wieder
Asiens Preis des echten Sozialismus gewinnen.

Jedes Mal, wenn ich mich für ein Gedicht hinsetze,
muss ich aufstehen, um das Jaulen eines Hundes zu hören.

Maung Yu Py wurde am 8. März 2021 bei einem Protest in seiner Heimatstadt Myeik im äußersten Süden Myanmars festgenommen.

Die Gedichte sind aus:
Ko Ko Thett und Brian Haman (Hg.)
Die Armee schießt nicht in die Luft

Gedichte nach dem Militärputsch in Myanmar

Übersetzung Helmuth A. Niederle
Edition Pen Löcker, Wien 2021, 102 Seiten, € 19,80

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