Durch den Tod ihres Sohnes seien ihr die Augen geöffnet worden, sagt Luz Marina Porras Bernal. Jonas Brander hat die Frau getroffen, die für viele Menschen Kolumbiens zum Symbol des Kampfes für Gerechtigkeit geworden ist.
Noch vor wenigen Jahren war Luz Marina Porras Bernal eine einfache Frau aus einem Armenviertel vor Bogotá. Bis der kolumbianische Staat ihren geistig behinderten Sohn Leonardo ermordet und als Kommandanten der FARC ausgegeben hat. Ab dann war nichts wie vorher, und Luz stellte ihr ganzes Leben in den Dienst des kompromisslosen Kampfes gegen die systematische Verletzung von Menschenrechten in Kolumbien.
Heute ist sie Symbol des Widerstandes der Zivilgesellschaft, vergangenes Jahr wurde sie als eine von 60 StellvertreterInnen der über sechs Millionen Opfer des Konfliktes zu den Friedensverhandlungen nach Havanna eingeladen. Doch eine offizielle Entschuldigung für die Staatsverbrechen durch RegierungsvertreterInnen blieb auch dort aus.
Leben in Gefahr. Für Luz tragen Ex-Präsident Álvaro Uribe und sein damaliger Verteidigungsminister und heutiger Präsident, Juan Manuel Santos, die direkte Verantwortung für die Fälle der so genannten „Falsos Positivos“ (s. Info rechts) und für etliche weitere Menschenrechtsverletzungen. Bei jeder Gelegenheit prangert sie die Taten an, fordert Prozesse und Urteile. Luz und ihre Familie erhalten seit acht Jahren Morddrohungen. Die Tochter lebt deshalb schon nicht mehr mit der Familie in deren Heimatstadt Soacha.
Töten unter Vorwand
Als „Falsos Positivos“ werden in Kolumbien Mordfälle bezeichnet, bei denen das Militär ZivilistInnen ermordet und im Nachhinein als FARC-KämpferInnen ausgibt, um Erfolgsprämien wie etwa Beförderungen oder Sonderurlaub zu bekommen. Während der Präsidentschaft von Álvaro Uribe soll es über 5.800 Opfer gegeben haben, und auch heute werden immer wieder Fälle bekannt. Im Juli prangerte Human Rights Watch die vorherrschende Straflosigkeit an, vor allem wurde noch kein einziger höherer Befehlsgeber belangt. Seit drei Jahren finden Friedensverhandlungen zwischen FARC und Regierung statt. Im September einigte man sich auf ein Abkommen für einen Friedensplan. Bis März soll es unterzeichnet werden.
In Leonardos Zimmer ist alles immer noch so wie vor seinem Tod: Seine alten Spielsachen und Stofftiere stehen noch am selben Platz. Nur Luz ist kaum mehr da. Sie stöhnt, wenn sie in ihren Terminkalender schaut: Toronto, Mexiko-Stadt, Brüssel, Bogotá, New York, Medellín, Madrid. Sie gibt Interviews, spricht bei Seminaren an Unis und in Schulen, spielt in einem Theaterstück über Staatsverbrechen. Ihre freie Zeit nutzt sie, um sich weiterzubilden, liest Bücher und Artikel und diskutiert mit anderen AktivistInnen über Möglichkeiten, die Menschen aufzurütteln. „Ich hätte manchmal gerne wieder einen Alltag mit meiner Familie“, sagt sie, „aber ich bin die Stimme von Millionen von Opfern. Der Kampf ist größer als meine persönlichen Interessen.“
Unangenehme Fragen. Wenn die 56-jährige bei Seminaren wie im September in Cali vor ProfessorInnen und JournalistInnen auftritt, spricht sie ruhig und deutlich, wählt ihre Worte bedacht, argumentiert mit fundierten Statistiken. „Früher war ich ignorant“, sagt Luz, „ich habe mein Leben gelebt, ohne mich dafür zu interessieren, was wirklich im Land passiert. Trotz meiner Trauer bin ich dankbar, dass mir durch den Tod meines Sohnes die Augen geöffnet wurden.“ Bei allen öffentlichen Auftritten hängt ein Bild Leonardos um ihren Hals. Doch Luz geht es längst nicht mehr um ihr Einzelschicksal. Sie spricht von systematischen Staatsverbrechen, von Vertreibungen, von sozialer Ungerechtigkeit. Sie stellt dem Publikum unangenehme Fragen: „Wann wird der Staat seine systematischen Verbrechen eingestehen? Wann werden jene verurteilt, die wirklich die Verantwortung tragen? Wann sehen wir Álvaro Uribe vor Gericht?“ Die Zuhörer werden unruhig. „Das wird nie passieren“, tuscheln sie. Luz gibt die in ihren Augen einzig mögliche Antwort: „Wenn wir einen wirklichen Frieden in unserem Land wollen, müssen wir jeden Tag gemeinsam für die Menschenrechte und gegen das Vergessen kämpfen, solange, bis die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen sind“.
Jonas Brander ist Journalist, Filmemacher und Fotograf. Über Luz Marina Porras Bernal hat er einen Dokumentarfilm gedreht.
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