Die jüngste Geiselnahme von 21 TouristInnen auf den Südphilippinen durch die fundamentalistische Abu Sayaff-Bewegung rückt eine Region in den Brennpunkt, die oberflächlich als befriedet galt. Eine Reise zu den Wurzeln des Konflikts
Die Islamisierung des südphilippinischen Archipels (Mindanao, Sulu, Palawan, Basilan) begann mit einer ersten Ansiedlung moslemischer Kaufleute auf der Insel Jolo. Sie breitete sich nordwärts bis Manila aus, bis die massiven Hispanisierungs- und Christianisierungsbestrebungen der Spanier die Muslime – in Anlehnung an die Mauren ‚Moros‘ genannt – in jahrhundertelangen Auseinandersetzungen in den Süden des Landes abdrängen konnten.
1903 wurde die Moro-Provinz geschaffen, eine Mischung aus direkter und indirekter Verwaltung eingeführt und traditionelle Moslemautoritäten unter Supervision der US-amerikanischen Regierung in die Administration eingebunden.
Die Ungleichheiten zwischen christlichen Siedlern und Muslimen, denen der Zugang zu Regierungsämtern bis 1957 verwehrt war, wuchsen stetig und prägten zunehmend moslemische Identität und Solidarität: Angesichts der Privatarmeen christlicher Großgrundbesitzer und Politiker nimmt die Radikalisierung der Moslemgemeinde nicht weiter wunder. ‚Bangsa Moro‘, eine eigene Moslemnation, wurde zur Vision der 1969 gegründeten MNLF.
Die Zusammenstöße zwischen Moslems und Christen nahmen zu. Neben regulären Militärs sorgten längst auch paramilitärische Gruppierungen für Gemetzel unter der Zivilbevölkerung. Die Auseinandersetzungen zwischen christlichen ‚Ilagas‘ (Ratten) gegen ‚Barracudas‘ (Schwarzhemden), die sich ihrerseits aus Moslems und meuternden Regierungssoldaten rekrutierten, zwangen Präsident Marcos 1972 zur Verhängung des Kriegsrechts.
Die Uneinigkeit über die Zukunft der Region führte zu einer Spaltung der MNLF.
Trotz zunehmendem Fraktionalismus umstritten, blieb die MNLF weiterhin der Ansprechpartner der Regierung Aquino, die keine Lösung des Konflikts zustandebrachte.
Nur Misuari, charismatischer Führer der MNLF, steckte seine Unabhängigkeitsbestrebungen hinter die Forderung nach regionaler Autonomie zurück – sein offenkundiges Buhlen um die Gunst von Präsident Ramos (1992-1998) verschärfte die internen Konflikte und erhöhte die Intensität der Auseinandersetzung: Neue fundamentalistische Organisationen wie das ‚Islamic Command Council‘ oder ‚Abu Sayaff‘ entstanden, die dem Friedensabkommen 1996 wenig abgewinnen konnten, das nebenbei Nur Maisuri zum Gouverneur der autonomen Provinz Mindanao machte.
Rund 200.000 Menschen wurden durch die Konflikte heimatlos gemacht. Die Frage der lang geforderten Volksabstimmung ist derzeit genauso wenig gelöst wie die Repatriierung der regionalen Guerillabewegungen. Die Abu Sayaff-Bewegung will im Gegenzug für ihre am Ostermontag gekidnappten Geiseln einmal einen eigenen Staat, dann wieder ein paar Millionen Dollar – Ziel und Ausgang sind ungewiss, genauso wie das Schicksal philippinischer Geiseln aus vergangenen Coups.
Die Föderalisierung der mehrheitlich moslemischen Provinzen allein wird für dauerhafte Ruhe wohl zu wenig sein, solange politischer Opportunismus aller Beteiligten keine klare Linie erkennen lässt. Die ‚Millenium Celebrations 2000‘ der kolonial-katholischen Kirchen Jolos sind vorerst abgesagt. Das nächste Kidnapping kommt bestimmt.
Der Autor ist Geograph in Wien und bereiste kürzlich die Philippinen.
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