Miteinander reden

Von Redaktion · · 2016/02

Zeiten der Veränderung bringen Verunsicherung, die es ernst zu nehmen gilt.

Kürzlich war ich bei einer Bekannten zu Besuch, mit der ich schon eine Weile nicht gesprochen hatte. In meiner Erinnerung war sie eine weltoffene Frau mit Empathie für Benachteiligte und pointierten Stellungnahmen dann, wenn sie Ungerechtigkeit wahrnahm. Nun traute ich meinen Ohren nicht, als sie begann, die derzeitige Flüchtlingssituation zu kommentieren. Wir alle kennen die Argumente aus jenen in Österreich weit verbreiteten Zeitungen, die uns überall und meist gratis aufgedrängt werden. Der Tenor: Bedrohung durch Fremde und Überfremdung, Überforderung, Angriff auf unsere Sicherheit, den Wohlstand und unser Sozialsystem, erdrückendes Gewaltpotenzial usw.

Was mich überrascht: Plötzlich werden diese Meinungen sehr offen, rasch und massiv geäußert im Supermarkt, in der U-Bahn, beim Friseur, im Wartezimmer des Arztes usw. Kein Herumdrucksen hinter vorgehaltener Hand, sofortige lautstarke Konfrontation.

Ich muss gestehen, dass ich nicht immer die Diskussion suche. Ich brauche Zeit, um meine Meinung darzulegen. Meine Argumente scheinen mir oft zu kompliziert, um rasch und effektiv „Stammtisch-Sager“ zu entkräften.

Alle sind gefordert. Ich lerne derzeit, dass jede und jeder von uns gefordert ist, das Gespräch vielleicht nicht immer und überall zu suchen, aber zu führen, wenn wir konfrontiert werden. Die meisten Menschen wollen reden, weil sie verunsichert sind. Ich behaupte, wenige sind hartgesottene Fremdenhasser und hartherzige Nationalisten. Die negative Meinung vieler über Flüchtlinge, über Migration und Asylgründe ist nicht gefestigt. Sie entspringt häufig einfachen Antworten, die man aufgeschnappt oder irgendwo gelesen hat und die die eigene Unsicherheit in diesen Zeiten der Veränderung rasch zu beheben versprechen.

Natürlich gibt es auch Leute, die tatsächlich Angst haben. Die Kassiererin im Supermarkt erlebt es konkret, dass ihr Job und ihr Einkommen von einem Tag auf den anderen weg sein können. Dass die Ursachen in unserem neoliberalen Wirtschaftssystem zu suchen sind und nicht bei den Flüchtlingen an unseren Grenzen, erfordert weiter reichende Informationen.

Ich lerne ein Zweites: Es gibt Fakten, die man parat haben muss. Es gibt auch kurze prägnante Argumente, wenn die Zeit für das lange Gespräch fehlt. Man kann sich im Hinblick darauf selber schulen. Und wenn es sich mal gar nicht ausgeht, dann sage ich als Entgegnung jetzt (zumindest für die eigene Psychohygiene): Ich kann das jetzt nicht diskutieren. Ich möchte aber betonen, dass ich ganz anderer Meinung bin.

Aufgabe Kommunikation. Miteinander reden ersetzt nicht konkrete Maßnahmen der Politik, um die Integration einer steigenden Zahl von MigrantInnen zu meistern. Ich glaube auch, dass gleichzeitig jene, die in unserer Gesellschaft bereits jetzt zu den VerliererInnen des Wirtschaftssystem gehören, besondere Förderung benötigen. Ich bin aber davon überzeugt, dass Kommunikation neben der Lösung praktischer Probleme die große Aufgabe ist: Es gilt, jene zu überzeugen, die unsicher sind und die Angst haben.

Brigitte Pilz ist Herausgebervertreterin des Südwind-Magazins.

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