In Ägypten ist mit dem „Arabischen Frühling“ die Straßenkunst der Graffiti aufgeblüht. Sie ist auch heute wichtiger Teil der Protestbewegung in einem Land, das noch lange nicht den Sieg im Kampf um Freiheit und Demokratie errungen hat.
"Wir sind Kairoer Ultras“, erklärt Raid. Er steht auf einer wackeligen Leiter und pinselt gemeinsam mit Kollegen ein Graffito auf eine Mauer direkt beim Tahrir-Platz. Ultras, wie extreme Fußballfans genannt werden, waren von Anfang an dabei, als es darum ging, Hosni Mubarak aus seinem Amt zu vertreiben. Hier auf dem Tahrir-Platz begann vor zwei Jahren die ägyptische Revolution, und nach wie vor wird hier am liebsten gesprayt und gepinselt.
Nach der Abdankung des damaligen Diktators hatte Ägyptens Armee eine Übergangsregierung gebildet. Doch bald galten Soldaten als brutale Folterer, was wieder Protest auch der Graffiti-Maler auslöste. Aus jener Zeit stammt ein Graffito der Ultras, welches „Das Mädchen mit dem blauen BH“ heißt. Mia Gröndahl, eine Kennerin ägyptischer Graffiti, kommentiert: „Die Verprügelung des Mädchens durch Soldaten auf offener Straße hat sich genauso abgespielt.“ Etliche Graffiti mit dem gleichen Sujet tauchten auf. Darin kam das zum Ausdruck, was viele im ägyptischen Volk kritisierten.
Ein paar Jahre zuvor, das heißt vor der Revolution, hatte es kaum arabische Graffiti-Kunst gegeben, denn Farbe auf Wänden war streng verboten. Doch bald nach Beginn der Aufstände tauchten immer neue Zeichnungen an den Häuserwänden auf. Kairo wurde zum Zentrum der Graffiti-Kunst. Viele Wände wurden von den Behörden weiß gestrichen und in der Folge oft über Nacht mit neuen Zeichnungen geschmückt. Ein Wettlauf zwischen Verbot und Protest. Wichtig war und ist die Wandmalerei bis heute, weil Medien nach wie vor zensuriert werden und sich die AktivistInnen so direkt an die Bevölkerung wenden können. Dabei wird nicht nur klassisch mit Spray gearbeitet. Häufig kommen einfach Farben und Pinsel zum Einsatz, weil das billiger ist.
2012 wurde immer deutlicher, dass die Parlamentswahlen nicht die erhofften Veränderungen gebracht hatten und die Muslimbrüder die Versprechen von Demokratie und Freiheit nicht einlösen würden. Dies versetzte das Land erneut in Aufruhr. Auch die Proteste mit Pinsel und Spray setzten wieder vehement ein. Selbst das Konterfei Präsident Muhammad Mursis ist nicht tabu.
Die Graffiti wurden weniger optimistisch und patriotisch. Sie wurden jedoch künstlerisch anspruchsvoller. Die neuen KünstlerInnen begannen, ihre Ideen indirekter darzustellen. Die Naivität verschwand aus den Graffiti. Es entstand ein sogenannter „post-revolutionärer“ Stil. Manche KünstlerInnen wurden berühmt, zum Beispiel al-Tenin, Sad Panda oder Ganzir. Deren Bilder gibt es inzwischen in Galerien zu kaufen.
Unter den heutigen Graffiti nehmen jene von Frauen zu. Die Schablonen der Frauengruppe Nun al Neswa (NaN) nehmen vornehmlich die virulenten sexuellen Übergriffe aufs Korn. Berühmt geworden sind die Verteidigungs-Graffiti von NaN. „Wir wollen den Frauen zeigen, dass sie stark sind und sich sehr wohl zur Wehr setzen können“, sagt eine der Künstlerinnen.
Unter einem anderen Graffito von NaN steht: „Mädchen sind wie Buben“. Das ist natürlich ironisch gemeint, was überdeutlich wurde, als politische Islamisten kürzlich öffentlich erklärten, Frauen seien selbst schuld, würden sie auf dem Tahrir-Platz vergewaltigt werden. Schließlich gehe eine anständige Frau dort gar nicht hin. Zu den Vergewaltigern äußerten sich die Islamisten hingegen gar nicht.
Viele KünstlerInnen sind der Meinung, dass die neue Regierung nichts verstanden habe. Deshalb sind sie entschlossen, ihren Kampf mit Pinsel und Spray so lang wie nötig weiterzuführen.
Kristina Bergmann lebt in Kairo und arbeitet als Übersetzerin und freie Journalistin.
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