Michael ist 18 Jahre alt, aufgewachsen in Waisenhäusern, auf der Straße und in Obdachlosenheimen. An seine Eltern kann er sich nicht erinnern. Wie so viele andere seien sie wahrscheinlich an Tuberkulose gestorben. Von HIV/Aids spricht man in Südafrika auch heute noch nicht offiziell. Vor zwei Jahren wurde Michael Vater. Die Mutter des Kleinen sitzt seit einem Unfall im Rollstuhl. Kontakt zu ihnen hat er im Moment keinen. „Zuerst möchte ich mein Leben ordnen, in den Griff bekommen.“ Und genau das hat das Salesian Street Youth Project in Kapstadt zum Ziel.
Im Salesian Institute lernt eine Gruppe männlicher Jugendlicher, mit Holz und Metall zu arbeiten. Sie werden handwerklich geschult, müssen sich an Regeln halten, Verantwortung übernehmen und Disziplin lernen. „No stealing, no fighting, no dealing“ sind die klaren Regeln auf dem Weg zur erfolgreichen Reintegration. Michael bekommt dafür ein Bett, ein Dach über dem Kopf, es gibt SozialarbeiterInnen und AusbildnerInnen, die sich für ihn einsetzen. „Das erste Mal in meinem Leben. Ein ganz neues Gefühl.“ Die Erfahrungswerte zeigen, dass nach 18 Monaten alle Jugendlichen des Projektes einen Arbeitsplatz haben. Michael ist seit knapp zwölf Monaten hier. „Ich versuche, das Beste zu geben, zu lernen, um dann zurückzugehen und ein guter Mensch, Partner und Vater zu sein.“ Er überlegt und fügt hinzu: „Und die Magie und das Zaubern helfen mir dabei.“ Sagt es, duckt sich, zieht das Schuhband aus dem Turnschuh, knotet es, faltet es zwischen den Fingern, zwinkert zwei Mal – und der Knoten ist verschwunden. Das Gegenüber staunt. Michael lacht zufrieden. Seine Begeisterung für Magie ist kein Zufall.
Sie ist das Produkt profunder Schulung. Seit 2007 nehmen die Jugendlichen im Salesian Institute jede Woche an einer Zauberlehrstunde teil, organisiert von einem Lehrerteam des College of Magic. Es handelt sich dabei um eine Nichtregierungsorganisation aus Kapstadt, die Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen das Zaubern lehrt. Rund 170 Kinder absolvieren im Moment die Zauberkurse. „Die Jugendlichen gewinnen durch das Zaubern Selbstvertrauen, lernen zu kommunizieren, schulen ihre Koordination, hinterfragen Prozesse, bekommen Selbstsicherheit und wachsen an jedem persönlichen Erfolgserlebnis“, erklärt David Gore, Gründer und Leiter des College of Magic. „Kurz gesagt, sie lernen fürs Leben.“ Michael und seine KollegInnen sind davon begeistert. „Du lernst Dinge, die du dir nie zugetraut hättest und merkst, dass du viel erreichen kannst, wenn du dich dafür einsetzt“, erzählt einer der Zauberlehrlinge.
Selbstverständlich ist die Teilnahme der Jugendlichen aus dem Salesian Institut am Magiekurs nicht. Möglich wurde sie dank finanzieller Hilfe aus Österreich. Jugend eine Welt – Don Bosco Aktion Österreich unterstützt seit zwei Jahren 25 Kinder und Jugendliche, damit sie den Zauberkurs des College of Magic absolvieren können. „Das Salesian Youth Project hat die Reintegration der Jugendlichen in die Gesellschaft als Ziel. Die Vermittlung von handwerklichen Fähigkeiten ist ein Teil ihrer Methode. Der wöchentliche Kurs des College of Magic ist dabei eine weitere wichtige Komponente, die ohne unsere Unterstützung verloren ginge“, erklärt Anita Leutgeb, Projektverantwortliche von Jugend eine Welt Österreich. Das College of Magic entspreche genau den Zielen ihrer Organisation, nämlich die Förderung von Jugendlichen und nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit. Doch wegen mangelnder Geldmittel wird Jugend eine Welt 2009 diesen Kurs wohl nicht mehr fördern können.
„Magie als Entwicklungshilfe klingt für viele Leute unglaubwürdig“, meint David Gore. „Was wir dagegen tun können, ist Resultate zu präsentieren und die Menschen einzuladen, sich vom College of Magic ein eigenes Bild zu machen“, fügt der Südafrikaner hinzu. „Zaubern fördert das Selbstbewusstsein, die Selbstachtung und die Neugier zu lernen und zu hinterfragen. Genau das braucht die neue Generation in Südafrika“, unterstreicht der ausgebildete Magier. In seiner 1980 gegründeten Zauberschule unterrichtete er auch während des Apartheidregimes Kinder jeder Hautfarbe. Finanziert wird die Schule durch Spenden von Unternehmen, privaten Gönnern und Einnahmen aus Wohltätigkeitsveranstaltungen. Ein Jahreskurs für einen Jugendlichen kostet rund 400 US-Dollar. Die Resultate seiner Zauberlehrlinge geben David Brown, seiner Schule und seinen Grundsätzen recht. Bei Zauberwettbewerben im In- und Ausland gehören die College of Magic-StudentInnen zu den Neuentdeckungen. Darunter finden sich kaum Mädchen, weil diese nach wie vor sehr früh in der Familie Aufgaben und Arbeiten übernehmen müssen. Einige Absolventen haben den Sprung an Universitäten und ins Berufsleben geschafft. Der ehemalige Zauberlehrling Rob Sussman wurde 2008 in Südafrika zum Informatiker des Jahres gewählt. Viele der führender Magier und Comedians im Land sind Absolventen des Colleges. Stuart Lightbody, ein 24-jähriger Ex-Student, ist heute professioneller Magier. „Ich war scheu und introvertiert, als ich mit 13 Jahren zu zaubern begann“, sagt er grinsend und lässt die erhaltene Visitenkarte spurlos hinter seinem linken Ohr verschwinden. „Ich habe gelernt mich zu präsentieren, kreativ und kritisch zu sein und dabei Spaß zu haben.“ Und genau das möchte er weitergeben. Heute unterrichtet er mit rund 20 anderen Freiwilligen in seiner Freizeit in einem Vorort Kapstadts.
„Natürlich ist es schön, medienwirksame Erfolgsgeschichten zu präsentieren. Doch unser Ziel ist ein anderes“, hält Schulleiter David Gore fest. „Wir möchten die Gemeinschaft dieses Landes durch Magie transformieren. Das heißt Leute auszubilden, die unabhängig von Herkunft und Hautfarbe den Mut haben, etwas zu wagen, für ihre Träume zu leben und sich für ihre Ziele einzusetzen. Durch das Zaubern, das Zusammenarbeiten mit anderen Jugendlichen, durch den gegenseitigen Respekt lernen sie diese Grundwerte für ihre Gemeinschaft. Daraus ergeben sich kleine, individuelle Erfolgsgeschichten. Doch nur so bringen wir unser Land vorwärts und unsere Geschichte hinter uns“, betont er. Der 15-jährige Younger ist Teil einer solchen Erfolgsgeschichte. Seit vier Jahren besucht er am College of Magic Kurse und träumt von Las Vegas. In der Realität lebt der Vollwaise in einer Hütte in Khayelitsha, einem Township in Kapstadt, und schlägt sich alleine durchs Leben. Eine der wenigen Konstanten in seinem Leben ist der Zauberkurs. „Heute habe ich mit den Menschen Augenkontakt, zeige was ich kann. Sie staunen und sagen: ‚Wie kann ein so kleiner Junge so Großes tun?'“
Der Erfolg der Zauberschule bewegte die University of Capetown dazu, die Auswirkungen der Kurse auf Zauberlehrlinge und deren Gemeinschaft zu untersuchen. Die Studie, durchgeführt von Jean und Phyllis Baxter, zeigt auf, dass das Selbstwertgefühl und die Selbstwahrnehmung der Jugendlichen sich positiv entwickeln. Das Gefühl jemand zu sein, etwas zu leisten und seine Ziele erreichen zu können, beeinflusst auch die Familien der Jugendlichen. Wissenschaftlich ist nun bestätigt, dass „Magie sich vom schlichten Zeitvertreib zu einer wertvollen Fähigkeit wandeln kann. Jugendliche sind stolz auf ihre Tätigkeit und entwickeln ein zielstrebiges Lernverhalten“.
Christa Wüthrich arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Printmedien (www.wuethrich.eu). www.collegeofmagic.comwww.jugendeinewelt.at