Mit aller Kühnheit

Von Laura Pannasch · · 2011/02

Die libanesische Journalistin May Chidiac kämpft für Presse- und Meinungsfreiheit in ihrem Land. Doch musste sie dafür einen hohen Preis zahlen.

Bikull Jura’a, das ist der arabische Titel einer politischen Talkshow der „Lebanese Broadcasting Corporation“ (LBC), einem Fernsehsender in Libanon. Übersetzt heißt dies: „Mit aller Kühnheit“. Dieser Titel könnte als Lebensmotto von May Chidiac gelten, der libanesischen Journalistin, die die Show bis 2009 moderierte.

Im September 2005 wurde sie Opfer eines Bombenanschlags, bei dem sie ihren linken Unterarm und ihr linkes Bein verlor. Doch sie überlebte und ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Im Gegenteil: Sie gründete die May Chidiac Foundation (MCF) und kämpft als deren Vorsitzende für Pressefreiheit, eine Verbesserung der Medienlandschaft und Qualitätsjournalismus in Libanon.

Für ihren Kampf wurde sie bereits durch mehrere Preise geehrt, zuletzt wurde ihr der Titel „World Press Freedom Hero“ vom in Wien ansässigen „International Press Institute“ (IPI) verliehen. Diese Auszeichnung ist für Chidiac Bestätigung und Hoffnungsschimmer. In ihrer eigenen Heimat fühlt sie sich noch immer nicht respektiert.

Chidiac spricht gerne von Engeln als Unterstützern, Gott als Richter und sich selbst als lebendiger Märtyrerin. So meinte sie in der letzten von ihr moderierten Sendung von Bikull Jura’a 2009: „Ich bin überzeugt, dass Entscheidungen von Gott getroffen werden, nicht von der Hand des Verrats.“ In der Eröffnungsrede ihrer Stiftung meinte sie: „Die Mörder wollten aus mir ein Beispiel machen, doch was sie mir gaben, war die Ehre, eine überlebende Märtyrerin zu sein, die einen Fall verteidigt, gegen den sie kämpfen und den sie fürchten.“ Mit dem „Fall“ meint sie die Untersuchungen der Vereinten Nationen zum Bombenattentat im Jahr 2005, das auf den damaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri verübt wurde. Der Fall Hariri war Teil extremer politischer Spannungen, die seit Jahrzehnten in Libanon vorherrschen.

Während des Bürgerkriegs zwischen 1970 und 1990 teilte sich Libanon in verschiedene politische Lager, die u.a. die konfessionellen Unterschiede verantwortlich für die Probleme im Land machten. Chidiac, die selbst der Religionsgemeinschaft der maronitischen ChristInnen angehört, sieht die Vielfalt der Religionen als Chance: „Weil wir 17 verschiedene Religionsgemeinschaften haben, die Seite an Seite leben, sollte dies nicht nur als Problem, sondern als eine Art Vorbild für die gesamte Welt gesehen werden.“

Neben den konfessionellen Unterschieden wird häufig der Einfluss Syriens als Ursache des Konflikts gesehen, in weiterer Folge die Ausweitung des Israel-Palästina-Konflikts auf Libanon. Seit 1976, als syrische Truppen in Libanon einmarschierten (anfangs auf Seiten der christlichen Fraktion), beteiligte sich Syrien immer mehr an der Politik in Libanon und wurde schließlich im Jahr 1991 dessen Besatzungsmacht. Rafiq Hariri, der unter dem syrienfreundlichen Präsidenten Émile Lahoud Premierminister war, forderte den Abzug der syrischen Truppen aus Libanon. Da seine Forderungen nicht erfüllt wurden, trat er von seinem Amt zurück. Kurz darauf, am 15. Februar 2005, wurde er durch ein Bombenattentat getötet.

Chidiac bekennt sich zum antisyrischen Lager. Ihre antisyrische Haltung zeigte Chidiac auch am 25. September 2005 in ihrer Talkshow, in der sie die UN-Untersuchungen zum immer noch ungeklärten Mord an Hariri erwähnte. Als sie danach in ihr Auto stieg, explodierte eine Bombe unter ihrem Sitz. Dies war einer von mehreren Anschlägen auf syrienkritische Personen, darunter auch auf andere Journalisten wie Samir Kassir und Gebran Tueni.

May Chidiac ist die einzige Frau in Libanon, die Opfer eines personenzentrierten Anschlags wurde. Auf die Frage, ob sie sich als Feministin betrachte, meint sie jedoch: „Ich bevorzuge es, als Mensch zu arbeiten, und wenn ich etwas sehe oder fühle, wo Frauenrechte verteidigt werden müssen, dann bin ich mit an der Front und mache meinen Job.“ Ob nun Frauenrechte oder allgemein Menschenrechte, Chidiac kämpft weiter dafür – mit aller Kühnheit.

Laura Pannasch studiert Germanistik und Islamwissenschaften an der Universität Wien. Sie sprach mit May Chidiac auf dem „IPI World Congress“, der letztes Jahr in Wien und Bratislava stattfand.

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