Peresh will Ärztin werden, Irena Krankenschwester und Mary träumt davon, als Musikerin im Studio zu arbeiten. Die Mädchen vom Pangani Lutheran Children Center haben wieder Träume. Sie träumen von einer Zukunft, die ihnen lange versperrt war. Alle drei Mädchen lebten auf den Straßen von Nairobi, genauer denen der Slums von Mathare und Kariobangi. Bis Josephine Munini sie von der Straße holte. Die Sozialarbeiterin des lutherischen Kinderzentrums hat fast alle der 70 Mädchen, die im Zentrum betreut werden, auf den schlaglochübersäten Straßen der heruntergekommenen Stadtteile von Nairobi angetroffen.
„Einige hatten keine Eltern mehr, um andere haben die sich nicht mehr gekümmert“, erzählt die junge Frau. Ruhe und Zuversicht strahlt die Sozialarbeiterin aus und man gewinnt schnell den Eindruck, dass ihr Optimismus nur schwer zu erschüttern ist.
Ruhe und Zuversicht sind auch nötig, um den Mädchen zwischen fünf und 19 Jahren helfen zu können, und der Schulbesuch ist zentraler Baustein für deren Zukunft. Vor allem für die Mädchen war der Schulbesuch in Kenia jahrelang keine Selbstverständlichkeit. „Jungen haben Priorität in den Familien“, erzählt Frau Munini und legt missbilligend die Stirn in Falten. Wenn das Familieneinkommen nicht reicht, um allen Kindern den Unterricht zu ermöglichen, wird der Schulbesuch der Mädchen als erstes gestrichen. „Für Hausarbeit braucht man nicht lesen und schreiben zu können, das habe ich mir von den Eltern oft anhören müssen“, erinnert sich die Frau. Doch damit ist es nun vorbei – auch die „Chokara“, die Straßenkinder, können in Kenia seit einem Jahr in die Schule gehen. Die Schulgebühren wurden im Jänner 2003 von der neuen Regierung ersatzlos gestrichen.
Seitdem gehen etwa 1,8 Millionen Kinder mehr in die Schule. Die Schulen konnten sich des Ansturms erst kaum erwehren und der Bildungsetat musste mehrfach aufgestockt werden – zuletzt im September. Mehr als ein Drittel des Staatshaushaltes entfällt auf die Bildung und doch stehen pro Kind jährlich nur 1020 kenianische Schilling (zwölf Euro) zur Verfügung, so ein Mitarbeiter des Ministeriums beim Besuch der Mathare 4 A Primary School, die auch einige der Mädchen vom Pangani Kinderzentrum besuchen. Aber das Geld kommt heute im Gegensatz zu früher in den Schulen an, wie die LehrerInnen bestätigen.
Früher sind beträchtliche Teile des nationalen Haushalts in schwarzen Löchern versickert. Heute hat das Folgen. So entließ das Forstministerium im Herbst 800 BeamtInnen, die ihre Augen zudrückten und illegale Abholzung duldeten. Zahlreiche korrupte Polizisten sind seit der Amtsübernahme der neuen Regierung am 30. Dezember 2002 entlassen oder versetzt worden.
In Kenia weht ein anderer Wind und einer der Verantwortlichen dafür ist John Githongo. Der 38-jährige ist der oberste Korruptionsbekämpfer des Landes und macht seinem Ruf als „Mister Clean“ alle Ehre. Unter seiner Regie wurde Anfang Oktober letzten Jahres der sogenannte Ringera-Bericht über die systematische Korruption im Justizsektor veröffentlicht, der landauf landab für ordentlich Wirbel gesorgt hat. Preislisten, wie viel ein Mörder oder Gewaltverbrecher zu zahlen habe, damit sich der Richter auf die Seite der Verteidigung stellt, wurden in mehreren Printmedien veröffentlicht. Der Freikauf von einer Mordanklage kostete zwischen 509 und 17.723 US-Dollar – je nach Gewichtsklasse des Delinquenten. Der Report bezichtigt 23 der 53 höchsten Richter der Korruption, und in den unteren Chargen sehe es noch schlimmer aus.
Auf eine Milliarde US-Dollar schätzt Githongo den jährlichen Schaden durch die Korruption, die für den gelernten Wirtschaftswissenschaftler die größte Entwicklungshürde des Landes ist. Githongo ist direkt Präsident Mwai Kibaki unterstellt, der die Richter suspendierte und durch junge Juristen ersetzte. Ein deutliches Signal zur Reformierung des Justizsystems und darüber hinaus. Schnelle Erfolge sind jedoch nicht zu erwarten, warnt der groß gewachsene Mann mit der Statur eines Zehnkämpfers. Seine Arbeit ist in den letzten Monaten schwerer geworden, denn „die Korruptionsnetzwerke haben sich reorganisiert und schlagen zurück“. Einige Leute hätten ihren Mut nach einigen Telefonanrufen eingebüßt, so Githongo. Ein Grund, weshalb die Regierungsleitlinie der „Null Toleranz“ gegenüber der Korruption allein nicht ausreicht.
„Wir müssen uns um systematische Reformen kümmern und das braucht Zeit“, sagt Githongo. Und auch Personal, denn die anstehenden Umbesetzungen in Justizsystem und Verwaltung sind nicht so einfach zu bewerkstelligen. Zudem ist der Rechtsweg zeitaufwändig. Dafür hat die Bevölkerung nicht immer Verständnis, denn lieber heute als morgen würden viele EinwohnerInnen Nairobis nicht nur die korrupten Richter auf die Straße setzen. Die Stimmung in der Bevölkerung hat sich gewandelt. Viele sind es leid, für jede Dienstleistung zur Kasse gebeten zu werden, so Gladwell Otieno, Direktorin von Transparency International. „Die Korruption war endemisch in Kenia und wir brauchen Unterstützung von unten, von Seiten der Medien und der Privatwirtschaft, um voranzukommen.“
Erste kleinere Erfolge hat Githongo bereits vorzuweisen. So ist das Zoll- und Steueraufkommen in den ersten sechs Monaten der neuen Regierung bereits gestiegen und hat für zusätzlichen finanziellen Spielraum gesorgt. Ein weiterer Erfolg der Regierung ist die Entscheidung des Internationalen Währungsfonds, die im Dezember 2000 wegen der unübersehbaren Korruption eingefrorene Unterstützung für Kenia freizugeben.
Ende November 2003 erhielt Kenia einen Kredit über 252,8 Millionen US-Dollar, wovon 36 Millionen direkt abgerufen werden können. Zusätzliche Mittel kommen von der Europäischen Union, die Mitte letzten Jahres bereits ein Kooperationsabkommen mit Kenia schloss und für den Zeitraum bis 2007 225 Millionen Euro zugesagt hat. Allerdings drängt die EU die Regierung Kibaki auch auf die Einlösung eines weiteren Wahlversprechens – der Verabschiedung einer neuen Verfassung.
Die, so hatte es die Regierung Anfang 2003 angekündigt, sollte binnen eines halben Jahres dem Parlament vorgelegt werden. Doch im State House, dem Sitz des Präsidenten, heißt es nun, dass vor April damit nicht zu rechnen sei. Der Grund dafür ist die Fraktionierung in der Regierungskoalition. Dem Flügel um Präsident Kibaki steht ein anderer unter Straßenbauminister Raila Odinga gegenüber, der sich für die Position eines starken, mit Exekutivrechten ausgestatteten Premierministers ausspricht, während der Kibaki-Flügel keinen zweiten Machtpol im Staat wünscht.
Exekutivrechte müsste nämlich der Präsident selbst abgeben, der daran anscheinend wenig Interesse hat. Gleichwohl hatte sich Kibaki im Wahlkampf für die Verfassungsreform ausgesprochen und steht nun in der Pflicht. Das Gerangel um die Ausgestaltung der Verfassung bremst auch die Reformierung des Systems, was nicht nur einigen schwarzen Schafen auf der Regierungsbank gut zu Pass kommen dürfte.
So steht Bildungsminister George Saitoti im Verdacht, in einen der größten Korruptionsfälle Kenias, den so genannten Goldenberg-Skandal, verwickelt zu sein. Eine Untersuchungskommission beschäftigt sich mit dem Fall, in dem eine Exportfirma über dubiose Ausfuhrsubventionen für Gold und Diamanten den Staat um etwa eine Milliarde US-Dollar prellte. Kenia besitzt jedoch weder große Gold- noch Diamantenvorkommen, und eine ganze Reihe hoher Regierungsbeamter sowie Ex-Präsident Daniel arap Moi sind in den Schwindel involviert. Der soll unter der Ägide von John Githongo aufgeklärt werden und zumindest ein Teil der Gelder zurück in die Regierungskasse fließen. Ein hoch gestecktes Ziel, wofür Githongo den ungeteilten Rückhalt der Regierungskoalition braucht. Wohin das Geld fließen soll, ist für Mister Clean allerdings klar: in die Zukunft des Landes und damit auch in die Ausbildung von Kindern wie Mary, Irena und Paresh.