Willkommen im Reich des „Turkmenbaschi“ – des Chefs aller Turkmenen, wie der vom Präsidenten Turkmenistans, Saparmurat Nijasow, für sich selbst erfundene Titel übersetzt heißt. Seitdem das zentralasiatische Land 1991 von der Sowjetunion unabhängig wurde, schaffte es Nijasow mit seinen grotesken Dekreten und seinem byzantinischen Personenkult immer wieder auf die vermischten Seiten der Weltpresse. Wenn er die Monatsnamen in seinem Land umbenannte – einen nannte er „Turkmenbaschi“, einen anderen nach seiner toten Mutter – oder wenn er in einer Kabinettssitzung junge Leute mit Goldzähnen kritisierte, und seine übereifrigen AnhängerInnen am nächsten Tag StudentInnen und SchülerInnen mit Goldzähnen nicht mehr in die Universitäten und die Schulen ließen, dann lachte die Welt über den schrulligen Despoten. Nijasow jedoch machte ungerührt weiter, schaffte einfach nur den Zugang seiner Landsleute zu den ausländischen Medien ab, damit die nicht hören, was die Welt über ihren Staatschef denkt. Und wenn etwas von den spärlichen Nachrichten aus Turkmenistan nach außen dringt, gibt es weiterhin viel zu Lachen über den auftrumpfenden Despoten. Für die Leute im Land selbst ist es jedoch nicht lustig.
Wie die heutigen Präsidenten der ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan und Usbekistan wurde Nijasow noch in den 1980er Jahren von Moskau zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Turkmenischen Teilrepublik ernannt. Nijasows Eltern waren bei einem Erdbeben in den 1940er Jahren ums Leben gekommen, das die turkmenische Hauptstadt Asschchabad dem Erdboden gleichmachte. Auch die Eltern des usbekischen Präsidenten Islam Karimow kamen früh ums Leben. Waisenkinder waren bei der Moskauer Führung als Spitzenfunktionäre beliebt, weil sie nicht so starke Familien- und Clanbindungen hatten und damit als weniger anfällig für Korruption und auch als leichter steuerbar galten.
Wenn man sich jedoch anschaut, was aus den KP-Führern der ehemaligen Sowjetrepubliken heute geworden ist, muss man am Urteilsvermögen der Moskauer Führung zweifeln. Denn, wie man im Tagebuch Gregori Resnitschenkos, des Chefs der so genannten Aral-88-Expedition, nachlesen kann, machte Nijasow eigentlich 1988 schon dasselbe, was er heute auch macht. Durch die Veröffentlichungen der Aral-88-Expedition, einer Gruppe von WissenschaftlerInnen und JournalistInnen, erfuhr die Welt erstmals vom wahren Ausmaß der Aral-See-Katastrophe. Als die Gruppe Nijasow in Aschchabad aufsuchte, „überschüttete er sie mit blumigen Phrasen“. Er hatte 80 seiner Funktionäre um sich versammelt und eine Menge JournalistInnen eingeladen. Fast die gesamten zwei Stunden, die für das Treffen angesetzt waren, sprach er selbst. Er betete Statistiken herunter, die zeigten, dass in Turkmenistan fast alles besser war als in den Nachbarrepubliken, erklärte völlig unrealistische Ziele – „1990 werden wir unabhängig von Kartoffelimporten …werden wir keine staatlichen Subventionen mehr für Milch brauchen“ – und log einfach das Blaue vom Himmel herunter: „In allen Schulen stehen bei uns Behälter mit sauberem Wasser in den Korridoren … In diesem Jahr haben wir keine Schüler und Studenten in der Baumwollernte eingesetzt“.
Kaum hatte die Expedition die Hauptstadt verlassen, sah sie schon Kinder bei der Baumwollernte. Und nur Kinder. Die tranken das Wasser aus den Kanälen am Rand der Straße. Noch heute verspricht der Turkmenbaschi, dass er Gesetze verabschieden lassen werde, die den Einsatz von Kindern bei der Baumwollernte verbieten. Und noch heute werden sie jedes Jahr aus den Schulen des ganzen Landes zur Baumwollernte gekarrt.
Mit den statistischen Angaben über das eigene Land geht die turkmenische Regierung auch heute noch kreativ um. Würde man den Zahlen glauben, wäre Turkmenistans Wirtschaft eine der am schnellsten wachsenden der Welt. Nach staatlichen Angaben verzeichnete das Land im Jahr 2003 ein Wachstum des Bruttosozialproduktes (BSP) von sage und schreibe 21 Prozent. Die Jahre zuvor waren es kaum weniger. Allerdings wuchs nach staatlichen Angaben im Jahr 2003 die Gasförderung, die nach Schätzungen 50 Prozent des BSP ausmacht, nur um drei Prozent. Alle diese Zahlen sind nicht nachprüfbar, denn Turkmenistan kooperiert nicht mit internationalen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF).
Schon ein Jahr vor der formellen Unabhängigkeit Turkmenistans 1991 ließ sich der Turkmenbaschi mit über 98 Prozent der Stimmen zum Präsidenten des Landes wählen. Weil jedoch die Wirtschaft des Landes von den Subventionen aus Moskau abhängig war, stimmte die Bevölkerung mit großer Mehrheit in einem Referendum gegen die Unabhängigkeit. Nach dem Putsch in Moskau und Jelzins Auflösung der Sowjetunion gab es aber im wahrsten Sinne des Wortes keine Wahl mehr. Seitdem herrscht der Turkmenbaschi über das Land wie über seinen Privatbesitz. Die KP benannte er in Demokratische Partei um. Sie ist die einzige legale politische Organisation des Landes. 1992 wurde er mit 99,5 Prozent der abgegeben Stimmen bei den Präsidentschaftswahlen wieder gewählt, um sich später von seinem handzahmen, zweimal im Jahr zusammentretenden Parlament zum Landesoberhaupt auf Lebenszeit erklären lassen.
Seine Kabinettssitzungen, die live im Fernsehen übertragen werden, leitet der Turkmenbaschi wie ein strenger Schullehrer. Er maßregelt seine Minister wie Schulbuben. Sie müssen aufspringen, bevor sie Rechenschaft ablegen, und manchmal werden sie auch live im Fernsehen gefeuert.
Die Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen Turkmenistan und Usbekistan im November 2004 in Buchara war eine der ganz wenigen Gelegenheiten für ausländische JournalistInnen, den Turkmenbaschi aus der Nähe zu sehen. Für sie ist es inzwischen fast unmöglich geworden, ein Visum für Turkmenistan zu bekommen. Nachdem die Verträge unterschrieben waren und beide Präsidenten mit einem Glas Sekt anstießen, lachte der Turkmenbaschi laut und überdreht. Als dann sein Amtskollege Karimow eine kurze Rede hielt, fiel dem Turkmenbaschi seine joviale Maske aus dem Gesicht. Regungslos starrte er ein Loch vor sich in den Teppich. Wohl wegen solcher Auftritte hält sich hartnäckig das Gerücht, dass er schwerer Trinker sei. Das aufgeschwemmte Gesicht eines Alkoholikers hat er auf jeden Fall. Als der Turkmenbaschi dann letztendlich selbst sprach, brachen völlig unvermittelt die mitgereisten turkmenischen Honoratioren, Offiziere, Minister und Beamte in Beifall aus und unterbrachen regelmäßig die kurze Rede ihres Chefs.
Es gibt auch noch einen anderen Verdacht gegen den Turkmenbaschi, der immer wieder durch Medienberichte genährt wird. Nämlich dass er persönlich in den Drogenhandel verwickelt sei. Westliche Medien zitierten schon öfter geflohene hochrangige Funktionäre aus Turkmenistan, die berichteten, der Turkmenbaschi habe persönlich befohlen, beschlagnahmte Drogen wieder herauszugeben. Und die UN-Organisation zur Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zeigt sich seit Jahren besorgt darüber, dass Turkmenistan nie bekannt gibt, Drogen an seiner Grenze beschlagnahmt zu haben, während die anderen Nachbarländer Afghanistans dies in Tonnenangaben tun.
Der Turkmenbaschi liebt es auch, seine Hauptstadt mit wuchtigen Bauten vollzustellen. Im Winter 2004 kündigte er an, einen großen Eislaufpalast und einen Schihang am Rande seiner Hauptstadt bauen zu lassen. Sie ist jedoch völlig von Wüste umgeben. Wegen seiner Bauwut und seiner Gier wird der Turkmenbaschi in den Kreisen der türkischen Baufirmen, denen er die meisten der Aufträge gibt, „Mister 33“ genannt. Diesen Namen habe er bekommen, schreibt IWPR, ein angesehener Internet-Nachrichtendienst, weil die Firmen ermutigt würden, völlig überteuerte Preise zu verlangen, und der Turkmenbaschi und sein Kreis 33 Prozent davon als Bestechungsgeld einstreichen. Die Londoner „Times“ meldete, der Turkmenbaschi habe drei Milliarden US-Dollar auf einem Nummernkonto der Deutschen Bank in Frankfurt am Main deponiert.
Dass die turkmenische Wirtschaft noch nicht zusammengebrochen ist, liegt wohl allein daran, dass das Land so reich an Rohstoffen ist. Die Gasvorkommen des Landes gelten als die viertgrößten der Welt. Zwar ist der größte Teil Turkmenistans Wüste, aber in dem Land leben nur rund fünf Millionen Menschen, sodass das Einkommen aus dem Gasexport eigentlich für ein angemessenes Leben für alle BewohnerInnen reichen könnte.