Roman. Aus dem Spanischen von Hanna Grzimek. Zürich, Rotpunktverlag 2009, 197 Seiten, € 20,10
Vor zehn Jahren erschien in Medellín in Kolumbien, wo der Autor in einer sephardischen Familie aufwuchs, sein Roman Mesa de judíos, in deutscher Übersetzung 2005 beim Rotpunktverlag herausgekommen. Das Hauptelement in dieser Erzählung ist eben der „Judentisch“, der Esstisch, um den sich die vielköpfige Familie und häufig auch Gäste versammeln. Der dreizehnjährige Ich-Erzähler erlebt rund um diesen Tisch herum den chaotischen Mikrokosmos der Familie und, über die Geschichten der Anwesenden, auch die große weite Welt. Eben ist nun der Nachfolgeroman erschienen, „Mindeles Liebe“.
Bei der Lektüre von „Mindeles Liebe“ schließt man sofort an den ersten Roman an, sitzt am selben Esstisch, mit denselben Personen und taucht in die gleiche etwas verschrobene Welt ein. Und derselbe Erzähler wie im ersten Band fungiert als Chronist des Geschehens, das für ihn jedoch aus den Fugen gerät, als sich ein verwirrendes, bislang unbekanntes Element in die Handlung einschleust: die Liebe. Dieses seltsame Wort war bisher im Hause der sephardischen Familie nur als ein Rätsel präsent, und eine Liebesheirat war ein poetischer Wahnsinn.
Mindele, das „Püppchen“, eine nahe Verwandte der Familie, kehrt nach Jahren der Abwesenheit aus New York nach Medellín zurück und heiratet sogleich einen ihr kaum bekannten sephardischen Juden, einen Spieler und Tunichtgut. Doch im Lauf der Handlung stellt sich heraus, dass seit Jahren die große Liebe ihres Lebens ihr Schwager Chaim ist, der Mann ihrer Schwester Rivka, die beide mit der Familie des jugendlichen Chronisten zusammenleben. Diese abgrundtiefe, unerfüllbare Liebe, die sich vor allem in Schweigen, in stiller Gestik manifestiert, steht nunmehr im Mittelpunkt des Romans. „Diese Liebe wird nicht enden, so wenig wie Diamanten enden“, sagt Chaim zu Mindele.
Memo Anjel zeichnet seine Figuren wie immer mit Liebe und humorvoller Ironie, mit Sinn für Komik und Tiefsinn, all das eingebettet in die Traditionen des jüdischen Lebens. Die nichtjüdische Außenwelt ist im Geschehen so gut wie nicht präsent, wodurch das Leben in der kleinen sephardischen Gemeinde im Kolumbien Mitte des vergangenen Jahrhunderts etwas Unwirkliches, längst Vergangenes ausstrahlt.
Eine vergnügliche Lektüre, glücklicherweise gut und einfühlsam übersetzt.