Mikrokosmos Hammam

Von Ina Ivanceanu · · 2007/12

In den dampfenden Bädern Kairos wurden Schwiegertöchter erwählt und Feste gefeiert. Heute schwindet die traditionelle islamische Badekultur und mit ihr ein Raum, wo Frauen sich entspannen und unter sich sein können. Ein Forschungsprojekt will die alten Hammams als lebendiges Kulturerbe revitalisieren.

Bab Al-Shariyah ist ein altes Viertel von Kairo im Zentrum der Stadt. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zieht ein Strom von HändlerInnen durch die enge Hauptstraße, vorbei an den Straßenständen und kleinen Geschäften. Staub liegt in der Luft. In den Werkstätten wird gehämmert und verkauft, geschweißt und gehobelt. Aus ganz Kairo kommen die Leute hierher, sie nutzen die billigen HandwerkerInnen und sie kaufen mishabek, Süßigkeiten, für die das Viertel seit Jahrhunderten bekannt ist. Kaum AusländerInnen und schon gar keine TouristInnen verirren sich nach Bab Al-Shariyah. Es gilt als Armenviertel der ägyptischen Hauptstadt und hat unter Außenstehenden einen schlechten Ruf. Hier, in der Saban-Straße, versteckt sich ein Stück kulturelles Erbe, das es so in Ägypten kaum mehr gibt: das Hammam Bab-el Bahr, ein traditionelles arabisches Dampfbad.
Abgetretene Stufen führen hinunter zum Eingang, der unter Straßenniveau liegt. Im düsteren Vorraum hängen die karierten Hammam-Tücher unter der Decke zum Trocknen. Acht Ägyptische Pfund kostet ein Besuch in der dampfenden, heißen Unterwelt, ungefähr ein Tageseinkommen von einem der fliegenden Händler. Wer hierher kommt, bringt den eigenen keze mit, einen Massagehandschuh, der traditionell aus Wildseide oder Ziegenhaar gefertigt war. Heute wird er in der Saban-Straße in einer bunten Polyesterversion verkauft. Im vernebelten Hauptraum des Hammams fallen Lichtstrahlen durch die Löcher im Kuppeldach. Es ist „Frauenzeit“, wie jeden Tag zwischen acht Uhr früh und 15 Uhr. Frauen jedes Alters lassen sich auf Marmorbänken schrubben oder sitzen im maghtass, dem heißen Becken. Die jüngeren tragen Badeanzüge, die älteren haben ein Hammam-Tuch um die Hüften geschlungen. Von den Wänden blättert Farbe, das Kuppeldach ist nur notdürftig repariert und wird von Betonpfeilern gestützt. Sauberer könnte es auch sein. Doch die Stimmung macht die baulichen Mängel wett und wischt die hygienischen Bedenken fort: Frauen unter sich an einem Ort zum Entspannen, zum Netzwerken, zum Geschichten erzählen oder auch nur zum Zigarettenrauchen, ein Raum außerhalb männlicher Kontrolle.
Nur wenige Straßen weiter findet sich ein ähnlicher Eingang, doch die Tür ist versperrt, das Dach eingestürzt. Das Hammam Tambali war 300 Jahre lang in der Hand einer Managerfamilie und wurde vor drei Jahren aus baulichen und hygienischen Gründen geschlossen. Das Bad war in der Nachbarschaft sehr beliebt wegen der guten Massagen, der familienfreundlichen Stimmung und der langen Tradition des Managements. Begraben unter Schutt und Müll liegt hier ein Schmuckstück traditioneller arabischer Architektur und schläft im Dämmerlicht.

Als sozialen Mikrokosmos, als lebendiges Kulturerbe in arabischen Städten – so nimmt das EU-Forschungsprojekt HAMMAM das traditionelle Dampfbad wahr. Und als einen der wenigen öffentlichen oder halb-öffentlichen Räume, wo Frauen einander außerhalb der eigenen vier Wände treffen können und unter sich sind. Über 80 WissenschaftlerInnen, u.a. aus Syrien, Frankreich, Türkei, Österreich, Marokko, England, Gaza und Algerien forschen derzeit unter österreichischer Leitung über Hammams im mediterranen Raum. Ihre Arbeit zeigt, dass in der traditionellen Badekultur eine integrative gesellschaftliche Kraft liegt. Wer die Kleider ablegt, wird gleicher. Das unterstützt auch die Recherchen. Allen Sprachbarrieren und soziokulturellen Unterschieden zum Trotz kann eine Sozialwissenschaftlerin aus Wien beim gemeinsamen Bad leicht mit einer ägyptischen Straßenverkäuferin ins Gespräch kommen.
Was bedeutet das Hammam für die, die es nutzen? Betonen Männer mehr den positiven Effekt des Bades auf die Gesundheit, steht für Frauen eher der soziale Aspekt im Vordergrund. Witwen und andere allein stehende Frauen können im Hammam etwa als Schrubberin oder Kassierin Arbeit finden und ihr soziales Netzwerk erweitern. Nicht zufällig galt das Bad lange Zeit als idealer Ort für Mütter auf der Suche nach einer „guten“ Schwiegertochter.
Das kulturelle Erbe dieses Orts ist auch immateriell, nicht vordergründig sichtbar. Viele Rituale sind mit dem Besuch eines Hammams verbunden. In Ägypten etwa eine besondere Massage für Mütter 40 Tage nach der Geburt eines Kindes oder ein Fest für Frauen, das sie am Tag vor einer Hochzeit im Hammam feiern. Im Mittelpunkt steht die Reinigung von Körper und Seele – ganzheitliches Wohlfühlen mit zugleich therapeutischer Funktion.

Im Gegensatz etwa zu Damaskus in Syrien oder Fez in Marokko, wo eine moderne urbane Gesellschaft die Bäder nutzt und erhält, sind die Hammams in Ägypten aber fast verschwunden. Von den ursprünglich 47 Hammams in Kairo sind heute nur noch vier in Betrieb. Auch Bab-el Bahr ist in Gefahr, demnächst geschlossen zu werden, und das liegt nicht nur am fortschreitenden Verfall des Gebäudes. Die Forschung zeigt, dass sich im Stadtviertel Bab Al-Shariyah negative Bilder durchsetzen. Das Hammam gilt heute bei vielen als Ort für „arme Leute“, wo sich Prostituierte waschen, Kriminelle die Nacht verbringen können, ohne einen Ausweis zeigen zu müssen, und wo man als BenutzerIn riskiert, von der Polizei befragt zu werden. „Menschen, die ins Hammam gehen, sind moralisch verdorben, mit denen will ich nichts zu tun haben“, entrüstet sich ein alter Mann im Viertel während eines Interviews. Er spricht vielen aus der Seele, für die das Hammam inzwischen verpönt ist, weil sich dort Frauen wenig bis gar nicht bekleidet unter sich bewegen. Paradoxerweise richtet sich hier ein zunehmend konservativ interpretierter Islam gegen sich selbst. Die Hammams dienten ursprünglich vor allem der religiösen Reinigung und sind traditionell immer in der Nähe einer Moschee und einer Madrassa, der Koranschule, gebaut worden.

Verliererinnen beim Bädersterben sind vor allem Frauen. Sperrt nach dem Hammam Tambali nun auch Bab el Bahr in der Saban Straße zu, gibt es im ganzen Viertel nur noch die Moschee als öffentlichen Treffpunkt für die Bewohnerinnen – die Cafés sind den Männern vorbehalten.
Dem will das Forschungsprojekt gegensteuern, indem es sich um die Revitalisierung von bereits geschlossenen oder stark herunter gekommenen Hammams bemüht. Die beteiligten WissenschafterInnen arbeiten an Vorschlägen für die Renovierung und Weiterführung von Bab el Bahr – von der Nutzung von Alternativenergie über Hygienemaßnahmen bis hin zu Fragen des Managements reicht das Spektrum. Die Bevölkerung vor Ort ist in alle Phasen der Forschung aktiv einbezogen. In Kairo haben junge Frauen und Männer aus dem Viertel im Rahmen des Projekts Kurzfilme über ihre Gegend und die Hammams gedreht. Im sabil, dem alten Wasserturm von Bab Al-Shariyah, trifft sich regelmäßig eine Gruppe von etwa 20 BewohnerInnen mit den ägyptischen Projektpartnern. Hammam-BenutzerInnen, Geschäftsleute, AnrainerInnen, LehrerInnen diskutieren mit ArchitektInnen, KulturanthropologInnen und SozialwissenschafterInnen über die Zukunft des Hammams und des ganzen Stadtviertels. Wie kann das Management den Ruf des Hammams verbessern? Was wäre für die Renovierung notwendig? Wie kann das Hammam dem Viertel nutzen? Ein inter- und transdisziplinäres Abenteuer, das nach Abschluss der dreijährigen Projektzeit in nachhaltige Zukunftsszenarien für die erforschten Hammams münden soll.

Gelebtes kulturelles Erbe zu unterstützen, anstatt historische Gebäude in Museen zu verwandeln: Diesem Ansatz sind die ägyptischen Behörden anfangs mit Misstrauen begegnet. Jetzt ist eine gute Nachricht von Kairo nach Wien gedrungen. Der Supreme Council of Antiquities, der über Erhaltung und Restauration von kulturellem Erbe in Ägypten entscheidet, erwägt die Renovierung des geschlossenen Hammams Tambali. Und er würde dann erlauben, dass das Gebäude wieder als traditionelles Bad geführt wird. Ein Durchbruch. Damit erkennt die ägyptische Behörde erstmals an, dass der Erhalt von immateriellem Erbe wichtig ist. Das Hammam als Geschenk der Vergangenheit an die Zukunft.

Ina Ivanceanu ist Filmemmacherin, Radio- und Printjournalistin und hat die Hammam-Forschung in Kairo, Ankara und Damaskus auch filmisch begleitet.

Das EU-Forschungsprojekt HAMMAM wird vom Wiener Forschungsinstitut Oikodrom – Forum für Nachhaltige Stadt geleitet. Weitere Fallstudien neben Kairo: Fez/Marokko, Ankara/Türkei, Constantine/Algerien, Damaskus/Syrien, Gaza.
www.hammams.org
„HAMMAM“, FP6-2003-INCO-MPC-2, Contract Number: 517704.

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