MigrantInnen in der EZA

Von Herbert Langthaler · · 2009/02

Migration und Entwicklung ist in vielen EU-Staaten seit Jahren nicht nur ein öffentlich rege diskutiertes Thema. Es gibt auch vermehrt konkrete Programme und Projekte, die MigrantInnen und ihre Organisationen in die staatliche Entwicklungszusammenarbeit (EZA) einbinden. In Österreich kommt dieser Prozess erst recht langsam in Gang.

Unter dem Titel „Migration und Entwicklung“ wird heute je nach Interessenlage etwas anderes diskutiert. Einerseits gibt es bei manchen PolitikerInnen in Europa die Vorstellung, Entwicklung könne Migration verhindern, nach dem Prinzip: Wenn „wir“ Maßnahmen setzen, damit es „ihnen“ besser geht, dann bleiben „sie“ dort wo sie sind. In ihrem Sinne müsste es eher heißen „Entwicklung statt Migration“. Ein anderes viel besprochenes Thema sind die so genannten Remittances – die Rücküberweisungen von MigrantInnen in ihre Heimatländer. Hier wachsen auf Seiten staatlicher Stellen in den Aufnahme- und den Herkunftsländern alle möglichen Begehrlichkeiten, seit die Weltbank und andere Organisationen durch Studien das Ausmaß dieser Remittances offen gelegt haben.
Entwicklung und Migration wird auch angesichts der europäischen Abschottungspolitik in Zusammenhang gebracht. „Freiwillige“ Rückkehr soll den Flüchtlingen durch begleitende Entwicklungsprogramme schmackhaft gemacht werden. Gelder dafür könnten aus dem EU-Rückkehrfonds ebenso kommen wie aus den Töpfen der EZA. Kein Wunder, dass hier Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus beiden Bereichen hellhörig geworden sind und sich passende Projekte ausdenken. Und schließlich verfolgen die „Betroffenen“ – die MigrantInnen, die seit Jahren in transnationalen Familien und Communities leben – die aktuellen Diskussionen teils mit vagen Hoffnungen, teils mit Misstrauen.

Dass die Idee, Migration mit Entwicklung eindämmen zu können, nicht aufgeht, zeigt ein Blick zurück in die Geschichte Europas, als im Zuge der Entwicklung des industriellen Kapitalismus Hunderttausende nach „Übersee“ auswanderten. Auswanderung als Massenphänomen setzte erst zu einem Zeitpunkt ein, als es in Europa zu starken Entwicklungsschüben gekommen war. In Folge des Bevölkerungswachstums und steigender Produktivität war es zu einem Arbeitskräfteüberschuss gekommen. Gleichzeitig hatten sich traditionelle Bindungen an Land und Familie gelockert. Ähnliche Phänomene kann man auch heute beobachten. Entwicklung fördert also ab einem bestimmten Grad Migration (siehe auch SWM 7-8/2007, S. 32-33).
Umgekehrt fördert Migration auch Entwicklung. Geldüberweisungen von MigrantInnen in ihre Herkunftsländer sind laut Weltbank – nach den ausländischen Direktinvestitionen – inzwischen die zweitgrößte Quelle von Auslandskapital für Entwicklungsländer. In manchen Ländern übertreffen sie diese sogar und machen bis zu einem Drittel des Bruttosozialprodukts aus. Inzwischen spricht man von einer Remittances-Industrie. So übertreffen in Sri Lanka die Rücküberweisungen die Erlöse aus dem Teeexport oder in Marokko die des Tourismus.

In der Entwicklungszusammenarbeit gibt es inzwischen Ansätze, die positiven Effekte dieses Geldtransfers zu verstärken. Das niederländische Projekt Netherlands Financial Sector Development Exchange (NFX) zum Beispiel verfolgt das Ziel, den Finanzsektor in den Herkunftsländern zu entwickeln. Einerseits sollen mehr Transparenz einziehen und bessere wie auch billigere Finanzdienstleistungen angeboten werden. Andererseits soll ermöglicht werden, private Rücküberweisungen zu bündeln und damit die Wirtschaft anzukurbeln. In Großbritannien hat das Department for International Development (DfID) die Website www.sendmoneyhome.org eingerichtet. Sie informiert MigrantInnen über die günstigsten Möglichkeiten, Geld zu überweisen, wie auch über andere Finanzdienstleistungen und Investitionsmöglichkeiten.
Rücküberweisungen sind aber nicht der einzige positive Beitrag, den MigrantInnen zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer leisten. Sie gründen zum Beispiel auch eigene Firmen oder unterstützen Verwandte dabei. Hier spielt nicht nur Geld eine Rolle, sondern auch der Transfer von Wissen und Erfahrung, der so genannte „Brain Gain“. Auf gesellschaftlicher Ebene können sie Veränderungsprozesse anregen und unterstützen, indem sie die Zivilgesellschaft stärken oder zur Emanzipation von Frauen und Minderheiten in ihren Herkunftsländern beitragen.
Verstärken lassen sich diese positiven Effekte, indem Investitionsmöglichkeiten vor Ort geschaffen werden. Andererseits ist es förderlich, wenn sich Kollektive – seien es nun so genannte „Hometown Associations“ oder MigrantInnenvereine – zusammentun, um in ihren Herkunftsregionen Infrastruktur-, Gesundheits- oder Bildungsprojekte zu unterstützen. Solche Projekte verringern auch soziale Ungleichheiten, da so nicht nur einzelne Familienangehörige profitieren, sondern die ganze Gemeinschaft Nutzen aus den Rücküberweisungen und dem Erfahrungs- und Wissenstransfer zieht.

Die Einbeziehung von Community-Organisationen und ihren Projekten in die Strategien der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit läuft in vielen EU-Staaten schon sehr gut. In den Niederlanden, Frankreich oder Großbritannien pflegen die Entwicklungsagenturen schon seit Ende der 1990er Jahre den Austausch und die Zusammenarbeit mit MigrantInnen- und Flüchtlingsvereinen.
In den Niederlanden spielen dabei die „Front-Offices“ der vier großen Entwicklungsagenturen eine wichtige Rolle. Diese Einrichtungen unterstützen kleine EZA-Projekte von MigrantInnenvereinen mit Know-how, Ausbildung und Finanzierungshilfen. Dazu gehört zum Beispiel ein äthiopisches Kaffeehaus in Amsterdam, das Jobs für ÄthiopierInnen in Amsterdam bietet und gleichzeitig mit äthiopischen Öko-Kaffeebauern und -bäuerinnen kooperiert. Ein anderes Beispiel sind Schulprojekte der Somalischen MigrantInnenorganisation Hirda in somalischen Dörfern. Dem Dialog zwischen entwicklungspolitischen Organisationen und Selbstorganisationen von MigrantInnen und Flüchtlingen widmet sich seit 1998 das Bündnis Arc Mundi (Awareness Rising for Change – Multicultural Networks and Development Initiatives). Es organisiert öffentliche Debatten, Seminare und Trainings, um so einen dauerhaften und gleichberechtigten Austausch zu garantieren.

Am fortschrittlichsten ist Frankreich in der Einbindung von MigrantInnenorganisationen in die staatliche EZA. Entwicklungsprojekte von MigrantInnen in ihren Herkunftsländern werden in Frankreich durch eine spezielle staatliche Förderpolitik unterstützt. Dieses so genannte „Co-développement“ begann 1996 mit Pilotprogrammen in Marokko, Mali und Senegal. In den letzten Jahren hat die französische Regierung durch Förderprogramme u.a. MigrantInnenorganisationen dabei unterstützt, Entwicklungsprojekte durchzuführen, sowie kurzzeitige technische Einsätze oder universitäre Lehre von hochqualifizierten MigrantInnen in ihren Herkunftsländern finanziert. 2006 wurde ein spezielles „Sparkonto Co-développement“ eingeführt. Diese Konten bringen MigrantInnen Steuerbegünstigungen. Bedingung ist allerdings, dass sie die Ersparnisse für bestimmte Investitionen wie Firmengründungen, Mikrofinanz-Aktivitäten, Kauf von Geschäftsimmobilien oder die Finanzierung von Entwicklungsfonds verwenden.
Als Teil des Co-développement wurde 2002 der Dachverband FORIM gegründet, als Schnittstelle zwischen öffentlichen Institutionen und MigrantInnen-Organisationen. Er unterstützt zum einen deren Aktivitäten und Entwicklungsprojekte in den Herkunftsländern, aber auch die Integration von MigrantInnen im Aufnahmeland Frankreich. Der Verband ist mittlerweile auch in die Vergabe von Projektförderungen eingebunden. FORIM repräsentiert heute rund 700 MigrantInnenvereine bzw. -verbände, die in Ländern Afrikas, der Karibik, Südostasiens und des Nahen Ostens aktiv sind.

Auch auf internationaler Ebene ist man nun aktiv geworden. In Zusammenarbeit mit der EU-Kommission haben verschiedene UN-Organisationen unter Federführung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) die „Joint Migration and Development Initiative“ (JMDI) ins Leben gerufen. Ein erster Projektaufruf wurde am 1. Dezember 2008 gestartet und läuft bis Ende März (siehe SWM 12/2008, S. 7).
In Österreich allerdings wird das Thema von staatlicher Seite bisher völlig ignoriert. Erste Impulse kamen Ende 2007 vom damaligen Dachverband entwicklungspolitischer Organisationen (AGEZ), der ein Positionspapier zu Migration und Entwicklung vorlegte (veröffentlicht auf www.oneworld.at/AGEZ/Migration-und-Entwicklung.pdf). 2008 veranstalteten die Österreichische Forschungsgemeinschaft (ÖFSE) und der Verein asylkoordination Tagungen zum Thema. Vielleicht bringt ja die Aussicht auf internationale Projektgelder das Thema auch in Österreich auf die entwicklungspolitische Tagesordnung.

Herbert Langthaler ist Sozialanthropologe und Publizist mit Schwerpunkt Flucht- und Migrationsthemen. Er ist Mitautor einer Studie über die politische Partizipation von Flüchtlingen und AsylwerberInnen in der EU, die im November im Südwind Magazin vorgestellt wurde (Studie auf www.asyl.at/projekte/node.htm).

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