In der Hauptstadt der Philippinen, einer wild wuchernde Metropole, treffen das koloniale Erbe und die Auswüchse der Globalisierung aufeinander.
Manila ist nicht zufällig geworden, wie es ist. Da waren die Spanier, die die Hafenstadt an der Manila Bay von 1571 bis 1898 als Umschlagplatz forcierten, bis die USA die Philippinen auf fünf weitere Jahrzehnte kontrollierten – der Inselstaat im südchinesischen Meer hat die längste koloniale Geschichte der Welt.
Die Unabhängigkeit 1946 brachte bloß eine postfeudale Verfestigung des zentralistischen Herrschaftssystems unter einigen spanischstämmigen Familienclans, die den Archipel seit Jahrhunderten dominiert hatten. Die Hauptstadt wucherte unkontrolliert, ein Spielball autokratischer Interessen im Dunstkreis nepotistischer Korruption, die einige US-Konzerne zur Erweiterung ihrer Pfründe zu nutzen verstanden.
Präsident Ferdinand Marcos (1965-1986) erklärte Manila 1977 zur Hauptstadt und machte Gattin Imelda zum ‚General Manager‘ der neu gegründeten Metropolitan Manila Commission (MMC), die die Modernisierung auf Kosten der ansässigen Bevölkerung vorantrieb.
Während der Vorbereitungen zur Miss-Universum-Schönheitskonkurrenz verloren Zehntausende ihre Häuser, weil diese an der vorgesehenen Paraderoute lagen. Die Bodenpreise verdoppelten sich und illegale Siedlungen schossen aus dem Boden, während die Migrationsströme aus dem Hinterland in die National Capital Region (NCR) nicht abrissen: eine Folge zunehmender Guerillatätigkeit und ausbleibender Landreformen.
Corazón Aquino (1986-1992) brachte Demokratie, aber nicht mehr: Die Landreformen blieben auf dem Papier, und Naturkatastrophen (Erdbeben Luzon 1990, Vulkanausbruch Pinatubo 1991, zahlreiche Taifune) trieben Hunderttausende in die Hauptstadtregion. Über die Hälfte der staatlichen Zuwendungen floss in Wohnanlagen für die lokale Mittel- und Oberschicht, meist aus Geldern, die für Billigwohnbau bestimmt waren:
Die Bliss-Wohnprojekte in Quezon City etwa kamen – mit Mietpreisen unter den tatsächlichen Kosten, aber immer noch zu teuer für das Zielpublikum – vorwiegend Beamten und Universitätsangestellten zugute.
Dass nur 635 ha der 3000 ha Stadtfläche in staatlichem Besitz sind, macht den Bau von Wohnraum nicht einfacher. So wachsen die Stelzenbauten weiter in den trägen Pasig Fluss, wo die Minarette von Quiapo in den bleiernen Himmel ragen. Die Liegeplätze aus Karton unter den brüchigen Arkaden verschimmelter Kolonialruinen sind bereits am frühen Abend belegt. Globalisierung in Manila, das heißt Aussicht auf die paar halb fertigen Betonklötze am Rizal Park und den Styropormüll vor Burger King und Pizza Hut, den die Straßenkinder nächtens übernehmen.
Erst 1995, unter Fidel Ramos (1992-1998), erhielten zehn internationale Banken die Option auf Beteiligung an nationalen Bankhäusern. Bald fanden sich 68 Prozent der Telefonanschlüsse und 90 Prozent der größten Wirtschaftsbetriebe in der Hauptstadtregion, die 90 Prozent des gesamten Steueraufkommens der Philippinen erbrachte. Die südostasiatische Wirtschaftskrise beendete die kurze Euphorie abrupt – die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich dramatisch, was den Wahlerfolg (1998) von Präsident Joseph Estrada, einem ehemaligen Filmschauspieler und mehrjährigen Bürgermeister von Metro Manila (populäres Motto: Kampf der Armut), begünstigte.
Die NCR beherbergt fast ein Drittel der urbanen Gesamtbevölkerung der Philippinen, statistisch gesehen jedoch nur 15% der städtischen Armen. Ein Blick von den überfüllten Bahnsteigen der Hochbahn auf die Wellblechdächer von Blumentritt und Quiapo weckt jedoch Zweifel an der Statistik: Zugespitzte Waggondächer auf den Vorortezügen, die das Trainsurfing erschweren. Nächtliche Kochfeuer hinter den Stacheldrahtzäunen von Jollybee, der nationalen Fast-Food-Kette. Wohlstand sieht anders aus.
Die Infrastruktur der Stadt ist auf dem Stand der frühen siebziger Jahre geblieben. Bis 1992 waren zehnstündige Stromausfälle genauso an der Tagesordnung wie mehrstündige Wartezeiten auf internationale Telefonverbindungen. Warten ist Leben: Es staut in Metro-Manila, Tag und Nacht. 40% (1,10 Millionen) aller landesweit registrierten Fahrzeuge bewegen sich auf nur 2% (4820 km) des philippinischen Straßennetzes.
Wasser wird knapp. Etwa 30% der Hauptstadtbevölkerung verfügen über keinen Wasseranschluss, sondern sind auf mobile Wasserhändler angewiesen.
Staudammprojekte an Kaliwa, Kanan und Umiray, drei Flüssen im Norden der NCR, bieten einer japanischen Studie zufolge die einzige Möglichkeit, den Wasserbedarf der Metropole zu decken. Eine Entspannung der Situation scheint nicht in Sicht, sieht doch selbst der ‚Metropolitan Manila Physical Framework Plan‘ (1996-2026) eine physische Ausweitung der Stadtregion vor.
Die Besitzer von suburbanen Reisanbaugebieten zeigen höchstes Interesse, das Land entweder brach liegen zu lassen oder in profitable Wohn- und Industrieparks umzuwandeln, um nicht in die Mühlen der Agrarreform zu geraten. Bereits heute werden im Umkreis der NCR jährlich 9700 ha Agrarland in Bauland umgewandelt.
US-Amerikanisierung vor Internationalisierung? Die USA und (vermehrt) Japan bestimmen die philippinische Handels- und Investitionslandschaft. Die Auflösung der US-Truppenstützpunkte 1992 in unmittelbarer Nachbarschaft der NCR bewirkte den Verlust von 70.000 Arbeitsplätzen und den Abzug von Zigtausenden (kaufkräftigen) US-Marines – Coke, Elvis und Baseball sind geblieben. Metro Manilas Rolle als Spielball neokolonialer Interessen scheint jedenfalls verfestigt. Deweys Erben haben die Hauptstadtregion im Griff.
Die National Capital Region (NCR) existiert als statistische Planungsregion erst seit November 1975 und besteht derzeit aus siebzehn Verwaltungseinheiten, die 1995 eine durchschnittliche Bevölkerungsdichte von 14.865 Personen/km2 (1970: 6237) aufwiesen. Mit (offiziell) 9,45 Millionen (Zensus 1995) leben 13,8% der philippinischen Gesamtbevölkerung in der Hauptstadtregion. Unter der Annahme einer gleich bleibenden Entwicklung wird sich die junge Bevölkerung (Durchschnittsalter: 22,9 Jahre, Singleanteil: 46,1%) der NCR bis 2025 auf 18 Millionen verdoppeln.
Günter Spreitzhofer ist Geograph in Wien (Schwerpunkt Megastädte). Zuletzt erschien sein Buch ‚Metro-Jakarta: Zwischen Nasi und Nike‘ (Peter Lang, Frankfurt & New York).
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