Mehr Parfüm als Substanz

Von Robert Poth · · 2002/11

„Ethisches Investieren“ an den Wertpapiermärkten hat sich in den letzten Jahren zu einer Mainstream-Idee gemausert. Doch der Nutzen wird übertrieben, und die volkswirtschaftlich negative Rolle der Finanzmärkte großteils ausgeblendet.

Was ist ein Name? Was uns Renditen (ver)heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften“, könnte man mit Shakespeares Julia das traditionell eher anrüchige Geschäft auf den Finanzmärkten beschreiben. Doch der scheinbar unaufhaltsame Höhenflug der Aktienkurse in den 90er Jahren hat, gepaart mit wachsendem Umweltbewusstsein, einer neuen Art der Geldanlage zu Prominenz verholfen: dem „ethischen“, „gesellschaftlich veranwortlichen“ oder „grünen“ Investment. Glaubt man eifrigen ProponentInnen der Idee, handelt es sich um eine Art Stein der Weisen. „Konkurrenzfähige“ Renditen sind möglich, ohne auf die Verfolgung ethischer und ökologischer Ziele zu verzichten. Kurz: Es gibt eine „Rendite ohne Reue“.
Was als „ethische“ oder „grüne“ Investments auf dem Finanzmarkt angeboten wird, ist eine breite Palette sehr unterschiedlichee Produkte (siehe Kasten). Zweifellos sind Aktieninvestments aber weltweit der größte Brocken und das wesentliche Wachstumssegment, wenn man von Investitionen in erneuerbare Energiequellen wie die Windkraft absieht. Ende 1999, am Höhepunkt der Aktienhausse, waren in den USA nach Branchenangaben rund 2000 Mrd. US-Dollar in diversen ethischen oder Nachhaltigkeitsfonds veranlagt. Im Vergleich dazu nimmt sich das Volumen in Deutschland bescheiden aus: Im November 2000 wurde der Markt auf drei Mrd. Mark geschätzt, bei einem allerdings zumindest bis vor der Baisse an den Börsen rasanten Wachstum: eine Versechsfachung innerhalb von bloß zwei Jahren.

Worauf beruht die Versöhnung zwischen Moral und Rendite? Im Wesentlichen auf der Erkenntnis einer nachweislich positiven Korrelation zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens und seiner Verantwortlichkeit gegenüber der Umwelt und seinen „Stakeholders“ (Anspruchsgruppen), also etwa gegenüber seinen Kunden und Beschäftigten. Umwelt und Gewinn, wird gefolgert, ist kein Widerspruch – oder umgesetzt in das Unternehmensmotto einer einschlägigen österreichischen Vermögensberatung: „Der Glaube an eine lebenswerte Zukunft lässt auch Geld wachsen.“
Die Attraktivität einer grünen/ethischen Geldanlage beruht auf dem „psychologischen Nutzen“ für AnlegerInnen, die wissen wollen, was sie mit ihrem Geld finanzieren. Darüber hinaus nennt etwa eine offizielle Publikation (siehe Literatur) vier weitere Vorteile: Es werde Geld für Umweltinvestitionen bereitgestellt, umweltorientierte Unternehmen würden gestärkt (u.a. durch einen höheren Aktienkurs belohnt), über die ökologisch-ethische Bewertung der Unternehmen entstehe Transparenz bei Umweltleistungen, und schließlich könne insbesondere über Öko-Fonds Einfluss auf ökologisch bedenkliche Unternehmensaktivitäten genommen werden.

Einem Vergleich mit der Realität halten diese Argumente jedoch nur zu einem geringen Teil stand. Dies liegt an einigen Fakten, die bei der Bewerbung ethischer Investments unterbelichtet, wenn nicht überhaupt unterschlagen werden. An erster Stelle ist anzuführen, dass ein Großteil der Investments Aktien betrifft, die bereits am Markt gehandelt werden. Das Volumen von Neuemissionen, also Unternehmensanteile, die frisch an die Börse gebracht werden und deren Verkaufserlös den Unternehmen direkt zugute kommt, ist vergleichsweise gering. Tatsächlich finanzieren erfolgreiche Unternehmen ihre Investitionen großteils aus selbst erwirtschafteten Mitteln oder über Fremdkapital (Anleihen und Darlehen). Nicht nur das, sie kaufen sogar ihre eigenen Aktien zurück, etwa um den Gewinn je Aktie zu steigern – ein weltweites Phänomen.
Das hat Konsequenzen. Werden bereits gehandelte Aktien erworben, wird damit keine Realinvestition finanziert, sondern das Geld fließt bloß in den Finanzmarkt. Und entgegen dem Versprechen, AnlegerInnen würden bei Investitionen in ethisch-ökologische Anlagen „erfahren, was mit ihrem Geld geschieht“, ist das Gegenteil der Fall. Das Geld erhält, wer das Wertpapier verkauft hat – und kann damit nach Belieben verfahren, also etwa auch Rüstungsaktien kaufen. Auch das Argument, ein höherer Aktienkurs erleichtere den Unternehmen eine zukünftige Eigenkapitalerhöhung, relativiert sich vor diesem Hintergrund erheblich.

Wenig stichhaltig ist auch das Argument, über eine Bündelung von Aktieninvestments in einem Öko-Fonds Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen zu können. Einerseits widerspricht es bis zu einem gewissen Grad der Anlagestrategie – es sollen ja bereits „gute“ Unternehmen belohnt werden. Andererseits zeigt sich die überwiegende Mehrheit der „grünen“ AnlegerInnen daran nicht interessiert. In einer Ende 2000 von der Online-Gazette Ecoreporter durchgeführten Internet-Umfrage erklärten nur 13,7 Prozent, Wert auf Mitbestimmungsrechte wie die Teilnahme an Hauptversammlungen zu legen.
Kein Zweifel besteht allerdings an einem potenziell positiven Effekt: Durch die Entwicklung neuer ethisch-ökologischer Bewertungskriterien für börsenotierte Unternehmen können bisher „unsichtbare“ Faktoren des Unternehmenserfolgs sichtbar gemacht werden (Öko-Effizienz, Beziehungen zu Mitarbeitern und Kunden, „immaterielles Kapital“). Setzt sich diese Bewertung durch, könnten Aktienkurse in Zukunft den Wert des Unternehmens für den Eigentümer besser widerspiegeln, natürlich vorbehaltlich weiterer spekulativer Höhenflüge.
Alles in allem wird der Beitrag, den „grüne“ Investoren zu einer Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit leisten können, ziemlich überschätzt. Ein Nachholbedarf etwa im Bereich der „Öko-Effizienz“ ist sicher bei zahlreichen Unternehmen gegeben. Doch tatsächlich scheint der Markt für Umweltinvestitionen in den reichen Ländern bereits ausgereizt: Die realen Wachstumsraten der Öko-Industrie dürften dort in den kommenden fünf Jahren auf ein bis drei Prozent fallen, so eine im Auftrag der EU-Kommission erstellte aktuelle Studie.

Weitere Potenziale erschließen sich nur über eine Änderung der Anreize, denen sich Unternehmen gegenübersehen, und das erfordert politische Regulierung, Ökosteuern oder staatliche Förderungen. Was der treibende Faktor ist, konnte man auch dem plötzlichen Kursanstieg von Umweltaktien in Deutschland nach dem jüngsten Wahlsieg der rot-grünen Koalition entnehmen.
Die Harmonie zwischen Umwelt und Wirtschaft ist auch anderweitig begrenzt. Unternehmen müssen bei Investitionsentscheidungen die Rentabilität berücksichtigen. Ein wichtiger Faktor dabei ist die so genannte „risikolose Rendite“, üblicherweise die Rendite von als sicher geltenden Staatsanleihen. Liegt die Rendite einer Umweltinvestition unter diesem „Fußboden“, müsste sie unterbleiben. Je höher dieser Zinssatz, desto weniger langfristig sinnvolle Umweltinvestitionen werden getätigt. Solange Kapital auf deregulierte Finanzmärkte strömen und sich dort ohne reale Wertschöpfung „vermehren“ kann, wird dieser Zinssatz künstlich hoch gehalten.
Ebenso sind es die Finanzmärkte, die den Realsektor unter permanenten Gewinnsteigerungs- und Kostensenkungsdruck setzen und alles bedrohen, was keine Mindestrendite erwirtschaftet. Unternehmen setzen darauf meist den Hobel bei den Personalkosten an. Nicht nur das. Erwirtschaftet ein Unternehmensbereich zu wenig Gewinn, senkt das die Ertragskraft des Gesamtunternehmens – Zusperren ist eine Antwort, wie das Schicksal von Semperit in Österreich veranschaulicht.
Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass die Versöhnung von hohen Renditen und moralischem Anspruch doch so leicht nicht ist wie behauptet. „Ethisches Investieren“ ist kein eierlegendes Wollmilchschwein, das alle „Stakeholder“ befriedigt, sondern oft nur ein Kompromiss zwischen Eigennutz und Gewissen. Das Dilemma ist altbekannt. Wie beklagt sich Shen Te im Guten Mensch von Sezuan: „Ach, eure Welt ist schwierig“.

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