Krankheit ist global eines der größten Verarmungsrisiken. 1,3 Milliarden Menschen weltweit haben keinen ausreichenden Zugang zu Basisgesundheitsdiensten. Neben dem schlechten Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, etwa in ländlichen Gebieten, und der unzureichenden Qualität des Angebots sind dabei die verhältnismäßig hohen Kosten für die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen entscheidend. Kosten, die durch Behandlung von Krankheiten entstehen, können ganze Familien in Armut stürzen: Jedes Jahr werden auf diese Weise mehr als 100 Millionen Menschen in Armut getrieben, weil sie anfallende Behandlungskosten nicht tragen können.
Benachteiligte Gruppen sind hiervon besonders hart getroffen. Soziale Sicherung im Krankheitsfall ist deshalb eine wesentliche Bedingung für die Verringerung extremer Armut. Und das Ausbrechen aus der Armutsfalle wiederum ist Voraussetzung dafür, dass arme Menschen sich produktiv in eine Volkswirtschaft einbringen können. Wirtschaftswachstum allein führt keineswegs zu besserer Gesundheit. Vielmehr gilt umgekehrt, dass ohne Gesundheit kein stabiles Wachstum möglich ist.
Familie Mwangunga lebt im Muheza-Distrikt im Nordwesten Tansanias. Obwohl die Familienmitglieder regelmäßig an Malaria erkrankten, konnten sie selbst in Notfällen nur selten medizinische Hilfe in Anspruch nehmen: „Im Krankenhaus wurden wir nach Geld für die Behandlung gefragt, doch weil wir nicht zahlen konnten, wurden wir wieder nach Hause geschickt“, erzählt die Mutter der Familie. Diese Situation hat sich seit 2005 grundlegend geändert. Das von der GTZ im Auftrag der deutschen Bundesregierung unterstützte „Tanzanian Network of Community Health Funds (TNCHF)“ half in der Region beim Aufbau einer gemeindebasierten Krankenversicherung. Diese stützt sich auf geringe Beiträge, welche Familie Mwangunga regelmäßig aufbringen kann. „Heute gehen wir ins Krankenhaus, ohne uns Geld leihen zu müssen. Wir verschulden uns nicht bei den Verwandten und Freunden. Das ist ein großes Glück.“
Tansania hat in den letzten Jahren im Bereich Krankenversicherung drei umfassende Gesetze erlassen, die die soziale Absicherung im Krankheitsfall regeln. Die Herausforderungen sind enorm: Ein übergeordnetes regulierendes Rahmenwerk existiert noch nicht; der Zugang der Armen zur Gesundheitsversorgung ist durch Nutzergebühren erschwert, es existieren noch erhebliche Schwächen in Management und Organisation. Die nun implementierten nationalen Politiken zielen darauf, bis zum Jahre 2015 40% der Bevölkerung über soziale Krankenversicherungen zu erreichen.
Eine soziale Krankenversicherung ermöglicht für alle einen solidarisch finanzierten und gerechten Zugang zu Gesundheitsdiensten. Jeder und jede zahlt dabei nach seinen/ihren Möglichkeiten; es kommt zu einer Umverteilung von Gesunden zu Kranken, von Jüngeren zu Älteren, von Beschäftigten zu Erwerbslosen und von Bessergestellten zu sozial Schwächeren. Eine staatliche Subventionierung für die ärmsten Bevölkerungsschichten ergänzt die einkommensabhängigen Beiträge der sozialen Krankenversicherung.
In vielen afrikanischen Ländern erreichen Sozialversicherungen aber nur die wenigen Beschäftigten im formellen Sektor. Daher ist es wichtig, weitere Formen sozialer Absicherung gegen das Risiko Krankheit zu etablieren. Eine umfassende soziale Sicherung ist in den meisten Entwicklungsländern nur durch die Kombination verschiedener Ansätze möglich. Als wichtig hat sich hierfür die Integration von staatlichen, privaten und gemeindebasierten Ansätzen zu einem umfassenden inklusiven Sicherungssystem für die gesamte Bevölkerung erwiesen. Staatliche, private und gemeindebasierte Ansätze schließen einander nicht aus, sondern ergänzen sich.
Die GTZ greift dies in Tansania auf, indem sie auf verschiedenen Ebenen Unterstützund bietet. Einerseits durch fachliche Beratung und Kapazitätsaufbau im Gesundheitsministerium: Hier wird die Einführung eines gesetzlichen Rahmenwerks für eine umfassende soziale Krankenversicherung vorbereitet und die Gesundheitssektorreform fachlich begleitet. Andererseits werden gemeindebasierte Krankenversicherungen und deren Dachverbände beraten und in ihrer Leistungsfähigkeit gestärkt.
In den ländlichen Gebieten Tansanias ist Absicherung gegen Krankheit nämlich oftmals etwas Unbekanntes. Viele Menschen dort wissen nicht, was eine Krankenversicherung überhaupt ist. Sie tun sich schwer, im Voraus für etwas zu bezahlen, was sie vielleicht irgendwann einmal in Anspruch nehmen. Krankheit wird mit Schicksal gleichgesetzt, und gegen Schicksal könne man sich nicht versichern, so eine landläufige Meinung. Im Gegenteil, eine Versicherung könne das Unglück sogar anziehen.
Das seit Oktober 2003 bestehende „Tanzania Network of Community Health Funds (TNCHF)“ versucht hier anzusetzen, Aufklärung zu betreiben und Mitgliedsversicherungen fachlich, organisatorisch und kaufmännisch zu beraten. Die GTZ unterstützt mit ihrem CHIC-Konzept (Centre for Health Insurance Competence): Danach schließen sich kleinere private oder öffentliche Krankenkassen zu einem Netzwerk zusammen und gründen ein Kompetenzzentrum, das Versicherungsprodukte und Qualitätsstandards entwickelt, Seminare und Fortbildungen durchführt sowie ihre Interessen auf politischer Ebene vertritt. Durch die Bündelung von Aufgaben und Aktivitäten sind die angeschlossenen Krankenversicherungen in der Lage, professioneller zu arbeiten. Während die eher technischen Fragen sowie die Managementaufgaben das CHIC wahrnimmt, können sich die Kleinstversicherungen auf Mitgliederwerbung sowie kundennahe Dienstleistungen konzentrieren.
Milliarden von Menschen sind weltweit Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Altersarmut schutzlos ausgeliefert. Dabei ist soziale Sicherung nicht nur ein Menschenrecht, sondern ein strukturpolitischer Ansatz: Soziale Sicherungssysteme – dazu gehören etwa auch Modelle eines Grundeinkommens für die Bedürftigsten – können Armut vermeiden und reduzieren, sie können Voraussetzungen für breitenwirksames Wachstum schaffen und sind ein Schlüssel für das Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele.
Dies erkennen auch mehr und mehr afrikanische Regierungen. So moderiert zur Zeit die Afrikanische Union (AU) den „Livingstone 2“-Prozess, bei dem Länder- und Regionalkonsultationen durchgeführt und in einer AU-Ministerkonferenz zu sozialer Sicherung im Oktober 2008 zusammengeführt werden.
Matthias Rompel ist Soziologe und leitet das Sektorvorhaben „Systeme der Sozialen Sicherheit“ der GTZ. Diese führt im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) momentan rund 50 Vorhaben für Beratung und Kapazitätsentwicklung zu sozialer Sicherung in etwa 30 Entwicklungs- und Schwellenländern durch.Weitere Informationen:
www.gtz.de/social-protection-systems