Beispiel Kuba: Wie kann ein Land, das alles andere als wohlhabend ist, eine universelle Gesundheitsversorgung verwirklichen – und dann ÄrztInnen zu Solidaritätseinsätzen rund um die Welt entsenden? NI-Autor John M. Kirk sucht die Antwort. Mit Beiträgen von Chris Walker.
Es ist eines der bestgehüteten Geheimnisse der Welt: Eine Inselnation, deren BürgerInnen im Schnitt weniger als 50 US-Dollar im Monat verdienen, hat weltweit mehr medizinische Unterstützung in Notsituationen geleistet als die reichsten Länder dieser Erde. Die Rede ist natürlich von Kuba. Das Land hat derzeit mehr medizinische Fachkräfte im Auslandseinsatz als alle G-8-Länder zusammen. Im April 2012 waren es 38.868, davon 15.047 Ärztinnen und Ärzte – rund 22 Prozent aller MedizinerInnen des Karibikstaats. Bisher haben rund 135.000 kubanische Gesundheitsfachleute an Auslandseinsätzen teilgenommen.
Der Begriff „Hilfe“ wird in Kuba nicht verwendet – er gilt als extrem paternalistisch. Stattdessen wird von Kooperation gesprochen. Medizinische Teams aus Kuba betreiben keinen Katastrophentourismus. Ihr Einsatz dauert in der Regel zwei Jahre; sollte der Bedarf weiter bestehen, werden sie durch andere KubanerInnen ersetzt. Ihre Vision ist klar: Die Einführung eines tragfähigen Gesundheitssystems, das die Bevölkerung dazu befähigt, eine aktive Rolle zu spielen.
In vielerlei Hinsicht entspricht der auf den zahlreichen Auslandseinsätzen gewählte Zugang den Grundsätzen, auf denen auch das Gesundheitssystem in Kuba selbst beruht. Zuallererst: PatientInnen müssen nichts bezahlen, denn der Zugang zur Gesundheitsversorgung wird als grundlegendstes Menschenrecht betrachtet, das auch in der kubanischen Verfassung verankert ist. In der Ausbildung wird auf fundierte diagnostische Fähigkeiten Wert gelegt, denn im Ausland kann die Verfügbarkeit technischer Ausrüstungen – angefangen von Röntgengeräten bis hin zu Computertomographen – äußerst beschränkt sein. Darüber hinaus wird an Krankheiten nicht so herangegangen, als ob es sich um isolierte Phänomene handeln würde, für die Patentlösungen existieren; stets wird auch das breitere psychosoziale Umfeld der PatientInnen berücksichtigt.
Während der Schwerpunkt in reichen Ländern auf kurativer Medizin liegt, steht in Kuba die Vorbeugung im Mittelpunkt, was natürlich weit kosteneffektiver ist. Sofern Medikamente erforderlich sind, werden oft kubanische Pharmazeutika eingesetzt – Kuba stellt rund 80 Prozent der benötigten medizinischen Produkte selbst her, und sie werden zu einem Bruchteil dessen verkauft, was anderswo dafür bezahlt werden müsste.
Auf ihren Auslandseinsätzen verwenden die kubanischen Teams viel Zeit für Informationskampagnen zu Gesundheitsproblemen. Davon konnte ich mich selbst überzeugen, als ich 2010 zwei Monate mit kubanischen Fachkräften in El Salvador und Guatemala verbrachte. Sie waren im November 2009 eingetroffen, nachdem der Wirbelsturm Ida El Salvador heimgesucht hatte. Nachdem sie zwei Monate lang in einem zentralen Feldkrankenhaus Notfallversorgung geleistet hatten, widmeten sie sich der Verbesserung der Katastrophenvorsorge und zeigten den Menschen in El Salvador, wie sie mithelfen können, die Verbreitung von Krankheiten wie Denguefieber zu stoppen.
Schließlich wird in der Ausbildung ethischen Gesichtspunkten und der Verantwortung des medizinischen Personals weit höherer Stellenwert beigemessen als auf medizinischen Universitäten der reichen Länder. Kubanische Fachkräfte auf Auslandseinsatz arbeiten dort, wo der Bedarf am dringendsten ist und in Bereichen, für die ihnen von der Gastregierung die Verantwortung übertragen wird. Kuba hat für sich ein kosteneffektives, pragmatisches, von hohen ethischen Grundsätzen getragenes System der Gesundheitsversorgung entwickelt, und dieses System wird dann auch im Gastland umgesetzt, und das nun bereits seit Jahrzehnten mit bemerkenswertem Erfolg.
Am stärksten engagierte sich Kuba bisher in Haiti. Welche Rolle Kuba nach dem Erdbeben im Jänner 2010 gespielt hat, wird den meisten noch in Erinnerung sein, etwa die maßgebliche Mitwirkung beim Stopp der landesweiten Cholera-Epidemie. Vielen ist aber unbekannt, dass medizinisches Personal aus Kuba bereits seit 1998 in Haiti stationiert war. Sofort nach dem Hurrikan George hatte Kuba 500 Fachkräfte entsandt, und beim Erdbeben zwölf Jahre später waren noch immer 340 KubanerInnen im ganzen Land im Einsatz. Auch wurden haitische MedizinstudentInnen in Kuba ausgebildet, 2011 hatten 625 ihr Studium abgeschlossen. Mit Unterstützung von Venezuela und Brasilien ist Kuba nun dabei, ein nationales Gesundheitssystem in Haiti aufzubauen.
Eine bedeutende Initiative in Zusammenhang mit dem Engagement Kubas in Zentralamerika war die Gründung der Escuela Latinoamericana de Medicina (ELAM) in Havanna 1999, der inzwischen vielleicht größten medizinischen Universität der Welt, in Einrichtungen der Marineakademie des Landes. Sie war in erster Linie für StudentInnen aus den vom Hurrikan Mitch verwüsteten Regionen gedacht. Im Allgemeinen wurden die StudentInnen aus armen Bevölkerungsschichten rekrutiert, ausgehend von der Vorstellung, dass sie mehr Solidarität mit der lokalen Bevölkerung an den Tag legen würden als junge Menschen aus bessergestellten Schichten. Das Ziel war, medizinische Versorgung dort zu ermöglichen, wo der Bedarf nicht gedeckt war – unter der armen Landbevölkerung.
Rund 1.500 StudentInnen inskribieren jedes Jahr an der ELAM, und bisher haben mehr als 10.000 die sechsjährige Ausbildung mit Erfolg abgeschlossen. Es gibt keine Studiengebühren, Lehrbücher sind gratis, und StudentInnen erhalten eine kleine Beihilfe. Allerdings gibt es eine grundlegende Bedingung: ein moralisches Bekenntnis, nach der Graduierung für benachteiligte und besonders bedürftige Bevölkerungsschichten tätig zu sein.
Unterdessen wurden weitere medizinische Ausbildungseinrichtungen gegründet, die größte davon in Venezuela, wo über 25.000 StudentInnen von kubanischen ProfessorInnen zu ÄrztInnen ausgebildet werden. Kubanische ProfessorInnen haben auch am Aufbau medizinischer Universitäten in Jemen, Guyana, Äthiopien, Uganda, Gambia, Äquatorialguinea, Haiti, Guinea Bissao und Osttimor mitgewirkt.
Die internationalen Aktivitäten Kubas im Bereich der Gesundheit sind ein Aushängeschild der Verpflichtung des Landes auf eine nachhaltige Gesundheitsversorgung, die allen (insbesondere den Ärmsten) kostenlos zur Verfügung steht. Jede der hier vorgestellten Initiativen wäre allein schon bemerkenswert – zusammen sind sie eine wirklich außergewöhnliche Leistung.
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John M. Kirk ist Professor für Lateinamerika-Studien an der Dalhousie University in Kanada. Er ist Autor/Ko-Autor von 13 Büchern über Kuba und hat sich in den letzten sieben Jahren mit der Bedeutung der internationalen medizinischen Kooperation Kubas befasst.
Chris Walker ist Postgraduate-Student der Internationalen Entwicklung an der Dalhousie University.
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