Südwind: Zur Jahrtausendwende haben die Vereinten Nationen ambitionierte Millennium Development Goals (MDGs) präsentiert. Jetzt nach der Halbzeit ist klar, dass diese Ziele vielfach nicht erreicht werden. Wie realistisch war ihre Formulierung?
Elmar Altvater: Die Ziele zu formulieren war realistisch, nur, die Mittel sie zu erreichen, machten die Ziele unrealistisch. Man kann beispielsweise Armut nicht reduzieren, wenn man auf Wachstum setzt. Damit setzt man auf Investitionen und deren Finanzierung, und das heißt Verschuldung. So provoziert man einen permanenten Finanzstrom vom Süden in den Norden, also von den Ökonomien, die wachsen sollen, weg. Man hätte vielmehr auf Umverteilung setzen müssen. Das kann man sich auf verschiedene Weise vorstellen, z.B. in den Gesellschaften selbst, indem man Reformkräfte stärkt, und auch auf globaler Ebene.
Warum hat man das Ihrer Meinung nach nicht gemacht?Weil man dann an die politischen Machtverhältnisse hätte rühren müssen. Man hätte beispielsweise diese unglaublich ungleiche Vermögensverteilung, die man etwa in den Reichtumsreports findet, anpacken müssen. Man hätte auch die Finanzmärkte regulieren müssen. Bestimmte Finanzierungsmodi hätte man sogar verbieten müssen.
Wer ist man? Diese Ziele hat ja nicht eine Vereinigung der multilateralen Konzerne beschlossen, sondern die UNO. Da sind wohl honorige Menschen guten Willens drin.Die multinationalen Konzerne sind wichtige Akteure, die mit ihrer Marktmacht vieles verhindern können. Und an der Macht der Konzerne rüttelt auch die UNO nicht, und zwar weil die Mitgliedsstaaten das gar nicht wollen. Nehmen wir die USA, nehmen wir Deutschland, da sind konservative Kräfte am Werk, und mit solchen kann man Umverteilung nicht machen. Konservativ heißt in diesem Fall Bewahrung der Machtverhältnisse. Die MDGs zu realisieren heißt, diese Machtverhältnisse zu verändern.
Welche Rolle spielt bei der Nichterreichung der MDGs die derzeitige dramatische Erhöhung von Preisen bei Erdöl, bei Grundnahrungsmitteln etc.?Die Preiserhöhungen verstärken eine Tendenz, die weiter als zum Beginn der jüngsten Preissteigerungen zurück verfolgt werden kann. Die Nahrungsmittelkrise und die Preissteigerung bei Öl sind zwar erst seit ein paar Monaten so dramatisch. Es war aber schon seit langem klar, dass die Millenniumsziele nicht erreichbar sind. Besonders beim ersten Ziel – der Halbierung der Anzahl absolut armer Menschen – wusste man dies schon zum Jahrtausendwechsel, als die Ziele beschlossen wurden.
Vielfach wird die weitere Öffnung der Ökonomien des Südens für die globale Wirtschaft als Heilmittel gefordert. Welche Auswirkungen wären zu erwarten?Vielfache. Ein Beispiel: Ich habe erst kürzlich in einem OECD-Report über die Hungerkrise gelesen, diese könnte auch ein Glück im Unglück sein, weil jetzt die Landwirtschaft geöffnet werden muss und effizientere Methoden eingeführt werden könnten. Autonome landwirtschaftliche Systeme sollen also aufgegeben werden zugunsten einer größeren Abhängigkeit von Konzernen. Da können Kleinbauern wettbewerbsmäßig nicht mithalten und Ernährungssouveränität wäre unmöglich. Wenn dann etwa Devisen knapp werden, weil sie für den Import von Erdöl verwendet werden, gibt es eine Hungerkrise. Da sind wir eigentlich schon mitten drin, solche Entwicklungen werden sich verstärken, wenn wir auf diesem Weg weiter fortfahren wie es die OECD und die Weltbank vorschlagen.
Welchen Anteil haben Kriege und Bürgerkriege an der weltweiten Armut?90 Prozent aller bewaffneten Konflikte sind Bürgerkriege. In fast allen Fällen sind daran die großen Weltmächte beteiligt. Arme Länder wären gar nicht in der Lage, die eingesetzten Waffen selbst zu produzieren. Sie kaufen sie mit den Schätzen, die das Land hergibt, das sind meist Rohstoffe. Dazu muss man die Territorien beherrschen, wo sie vorkommen. Es entsteht dadurch ein Zwang zur Kriegsökonomie mit ihrem tödlichen Kreislauf. Es bleibt nichts übrig für menschliche Entwicklung. Daran verdienen nicht zuletzt die internationalen Waffenfirmen. Nicht zu vergessen die Geldwaschanlagen in den Industrieländern und in den Offshore-Zentren der Karibik. Die schließt man nicht, weil sie ja praktisch sind. Dort sitzen auch die ganzen Fonds und die Waffenhändler und die Schiffsregister für die Billigflaggen, auch die Söldnerfirmen und dergleichen mehr.
Wie gewichten Sie globale versus nationale Verantwortlichkeiten für Armut?Man muss, glaube ich, eher die politische und die ökonomische Verantwortung in Gegensatz zu einander stellen. Es gibt politische Verantwortung auf der nationalen und der internationalen Ebene, und es gibt ökonomische Mechanismen, die von den betreffenden Akteuren genutzt werden. Wie ist da die Gewichtung?
Die ökonomischen Mechanismen sind von größter Bedeutung, aber man hat sie durch die Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen seit den 1970er Jahren freigesetzt. Die G8-Gipfel haben gezeigt, dass man nicht bereit ist, trotz der derzeitigen Nahrungsmittelkrise, Korrekturen anzubringen, das heißt, da ist die Politik verantwortlich. Aber die Mechanismen sind ökonomischer Natur, und diese haben sehr schlimme Auswirkungen auf arme Länder.
Sie sprechen vor allem die Politik des reichen Nordens an?Es gibt auch politische Verantwortung in den Ländern des Südens, deren politische Klassen zum Teil in hohem Maße korrupt und unfähig sind. Aber die Hauptprobleme entstehen schon durch die internationale Politik, denn keine Regierung im Süden wird sich über längere Zeit halten können, ohne zumindest klammheimliche Zustimmung aus dem Norden.
Sie haben am Beginn von der Umverteilung als wichtiger Maßnahme der Armutsbekämpfung gesprochen. Wie soll sie bewerkstelligt werden?Gute Frage, aber schwer zu beantworten. Der britische Sozialhistoriker Eric Hobsbawm hat gesagt, das 20. war ein Jahrhundert des Wachstums, das 21. muss eines der Umverteilung werden – und der Nachhaltigkeit, hätte er hinzufügen müssen. Wenn es das nicht wird, werden wir sein Ende nicht in Frieden erleben. Das drückt die Dramatik aus. Ich wage nicht, einfache Lösungen vorzuschlagen, weil Umverteilung nicht nur global passieren muss, auch national, regional und lokal.
Das hat auch Konsequenzen für die Machtverteilung. Denn es geht nicht zuletzt um die Umverteilung von Ressourcen und von Zugang zu ihnen. Das ist die große Aufgabe. Man kann nur sagen, auf globaler Ebene müssen wir die den Reichtum konzentrierenden Mechanismen verändern. Man müsste etwa die Offshore-Zentren schließen. Man redet dauernd über „bad governance“, Schurkenstaaten usw. und meint immer Länder der Dritten Welt. Dabei haben wir unregulierte Ökonomien hier in Europa – in Liechtenstein, Luxemburg, der Schweiz, auf den Kanalinseln, auch in der Karibik und anderswo. Diese Reichen müssten gezwungen werden, ihren Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwesen wieder nachzukommen, entsprechend ihren großen Möglichkeiten.
Doch das allein wird nicht genügen.Nein. Wir wissen einiges über die Armut. Die entsprechende Statistik zu führen, das machen etwa die Weltbank und Regierungen im Norden. Aber es gibt keine Statistiken über den Reichtum, es sei denn von Firmen und Fonds für ihre Klientel, damit die besser wissen, wo Geld zu holen ist. Das ist eine Angelegenheit von Privaten, während die Armut die Sache des Staates ist. Das ist wie im Mittelalter. Es hat sich nur globalisiert, nicht aber im Prinzip verändert. Mehr Transparenz wäre eine Voraussetzung, damit man im Sinne von Umverteilung etwas verändern könnte.
Auch in Form von Steuern und Abgaben?Ja, aber was passiert? In Deutschland ist die Vermögenssteuer von der letzten, der rot-grünen Regierung abgeschafft worden, ein Geschenk von etwa 40 Milliarden € für die sowieso schon Reichen. Und der Staat holt es sich von den weniger begüterten Schichten, von Armen kann man ja bei uns schwer reden. So etwas kann man umkehren, das ist eine politische Aufgabe.
Vieles klingt sehr düster, wenn man sich mit globaler Armut beschäftigt. Worin liegt für Sie dennoch Hoffnung?Hoffnung liegt in den Bewegungen, die sich gegen diese Verhältnisse zur Wehr setzen. Die globalisierungskritische Organisation Attac ist eine davon. Für die Armutsbekämpfung direkt ist wohl Via Campesina wichtiger, die eine andere Politik für die ländliche Bevölkerung in armen Ländern anstrebt. Das sind positive Beispiele.
Die neuesten Bücher von Elmar Altvater:
„Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen.“ Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2007, 5.Aufl., 1 15,40
„Konkurrenz für das Empire: Die Zukunft der Europäischen Union in der globalisierten Welt.“ Co-Autorin Birgit Mahnkopf, Verlag s.o., 2007, 1 25,60.
„Ablasshandel gegen Klimawandel? Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik.“ Co-Hrsg. Achim Brunnengräber,
VSA Verlag, Hamburg Juli 2008, 1 15,30
Elmar Altvater hat im Juli als Referent an der 25. Internationalen Sommerakademie zum Thema „Globale Armutsbekämpfung – ein Trojanisches Pferd?“, des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung, Burg Schlaining, teilgenommen. Im Jänner 2009 wird ein Tagungsband zum Preis von 1 9,80 publiziert.
Subskriptionen unter:
www.aspr.ac.at/sak.htm