Nach Nahrungsmittelkrise und Militärputsch wollen die Tuareg-Rebellen das Land nun sogar teilen. Im Norden sind neue blutige Kämpfe nicht ausgeschlossen, während sich der Süden schon einmal auf demokratische Wahlen freut.
Moctar Bâ lässt sich nicht unterbrechen, wenn er von seiner Heimat spricht. Der Direktor der staatlichen Tourismusbehörde im Verwaltungsbezirk Mopti schwärmt von der alten Moschee in Djenné, die als weltweit größtes Lehmgebäude gilt, und erklärt, wie faszinierend das Dogon-Land ist. Höhepunkt sei selbstverständlich der Besuch der Falaise, jener in Fels gebauten Häuser, die seit 1989 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehören. „Wundervoll“, sagt Moctar Bâ. Einfach wundervoll sei es dort. Stundenlang könnte er weitere Tipps für BesucherInnen geben.
Doch dann schaut er aus dem Fenster seines Büros auf den Bani, einen Nebenfluss des Niger, an dessen Ufer ein paar Fischerboote in der der Mittagssonne liegen. Moctar Bâ wird still, denn er weiß: TouristInnen sind zu einer Seltenheit geworden. „Ich will nicht sagen, dass niemand mehr kommt. Doch von den guten Zahlen von früher, wo mehr als 120.000 Urlauberinnen und Urlauber pro Jahr kamen, sind wir meilenweit entfernt.“
Spätestens seit November vergangenen Jahres, als in einem Restaurant in der sagenumwobenen Stadt Timbuktu mehrere Europäer gekidnappt und einer erschossen wurde, geht die Angst um. Seitdem gilt Mali als unsicheres Pflaster, das nur noch für verwegene AbenteurerInnen seine Reize hat. Schlimmer, so glaubte man damals, könne es nicht werden. Doch dann begann im Jänner der blutige Tuareg-Aufstand im Norden, durch den mittlerweile knapp 200.000 Menschen auf der Flucht sind. Und einige Wochen später passierte das, womit niemand gerechnet hatte. Soldaten und Unteroffiziere stürzten Präsident Amadou Toumani Touré, der gerne ATT genannt wird.
Tourismus klingt seitdem wie ein Wort aus der Vergangenheit. „Dabei hängen viele tausend Menschen davon ab“, erklärt Moctar Bâ und reißt seine Augen ein bisschen auf, „Hotelbesitzer, Putzfrauen, Köche, Künstler, Fremdenführer und Fischer.“ Dann schweigt er wieder und schüttelt traurig den Kopf.
All das passiert in einer Zeit, in der das Land mit den 14 Mio. EinwohnerInnen mehr denn je vom Schickdal gebeutelt wird. Durch die schwachen Regenfälle im vergangenen Jahr sind die Ernten weit unter den Erwartungen geblieben, weshalb schon jetzt rund 1,8 Millionen Menschen nicht mehr genügend Nahrungsmittel haben. Bis zur nächsten Ernte im Herbst könnte sich die Zahl mehr als verdoppeln. „Die Lage ist ernst“, betont Willi Kohlmus, Leiter des Büros der Welthungerhilfe in Bamako. Auf den Märkten gibt es zwar nach wie vor Hirse, Fisch und Gemüse zu kaufen. Doch für viele Menschen in der Sahelzone sind die Preise zu rasant gestiegen und selbst die Grundnahrungsmittel unerschwinglich geworden.
Doch diese Katastrophe wurde durch den Putsch in den Hintergrund gedrängt. Immerhin ist das große Chaos ausgeblieben. Zwei Tage nach der Machtübernahme plünderten Soldaten zwar einige Geschäfte in Bamako und schossen in die Luft. Trotzdem hätte ein Staatsstreich kaum friedlicher verlaufen können – und auch kaum unbeholfener.
„Sind wir jetzt live auf Sendung?“, fragte einer der Soldaten des eilig gegründeten „Nationalkomitees zur Aufrechterhaltung der Demokratie und zur Wiederherstellung des Staates“ (CNRDRE) bei der ersten Fernsehübertragung am 22. März. Sie waren es und haben deutlich gemacht, dass sie nicht in der Lage sind, einen Staat längerfristig zu regieren.
Als Auslöser für die Machtübernahme bezeichnet Henner Papendieck, der das Programm Mali-Nord der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) aufgebaut und 17 Jahre geleitet hat, einen Besuch des Verteidigungsministers in der Kaserne von Kati, die am Stadtrand Bamakos liegt. Am Morgen des Putschtages wollte er die Soldaten wieder in den Norden schicken und gegen die Tuareg-Rebellen kämpfen lassen. „Viele von ihnen hatten das aber gerade erst erlebt und sagten: Genug ist genug. Wir haben keine Waffen und keine Munition. Wir haben überhaupt keine Lust, Kanonenfutter zu werden“, so Papendieck.
Wenn in Bamako das Wort „Norden“ fällt, braucht man keine langatmigen Erklärungen. Seit Mitte Jänner ist es zum Synonym für einen Krieg geworden, mit dem niemand gerechnet hatte. Zum ersten Mal zeigt die MNLA (Bewegung zur Befreiung von Azawad), die Armee der Tuareg, wie sehr sie den Regierungstruppen im bewaffneten Kampf überlegen ist. So hat sie Stadt für Stadt die komplette Region erobert. Woher die MNLA das Geld für die bessere Ausrüstung hat, ist Spekulation. Möglicherweise stammt es aus dem Drogenhandel. Vielleicht unterstützt auch AQMI, Al Kaida im Islamischen Maghreb, die mittlerweile als reales Sicherheitsrisiko in der Sahara wahrgenommen wird, die Tuareg-Rebellen.
Issa Dicko denkt mit Sorge an ein solches Szenario. Seine Heimatstadt Timbuktu ist längst an die MNLA und die bisher recht unbekannte Gruppe „Ansar Dine“ gefallen. „Ansar Dine“, so wird spekuliert, könnte ebenfalls Verbindungen zum Terrornetzwerk Al Kaida haben und in den eroberten Gebieten die Scharia einführen und besonders scharf auslegen wollen. Für Dicko, der sich selbst am liebsten als Kulturvermittler bezeichnet, ist das ein Widerspruch zur Tuareg-Kultur. „Unser Volk hat niemals versucht, andere zu islamisieren.“ Viele Tuareg-Frauen verschleiern sich nicht einmal.
Issa Dicko ist zu Gast im privaten Kunstzentrum La Médina in Bamako und hat es sich auf einem Stuhl im Ausstellungsraum bequem gemacht. Seine Blicke gleiten über die großen Fotos, die teilweise aus seiner Heimat, der Sahara, stammen. Heute verteilt sich diese über fünf Länder – neben Mali auch Algerien, Libyen, Niger und Burkina Faso. Schuld daran ist die willkürliche Grenzziehung zu Beginn der Kolonialzeit. Die Unabhängigkeit im Jahre 1960 machte es nicht besser – im Gegenteil. Mali übernahm das französische Modell des starken Zentralstaates, in dem ein Nomadenvolk keinen Platz hat.
„Die Tuareg fühlten sich marginalisiert und haben seitdem mehr Autonomie und häufig sogar ihre Unabhängigkeit gefordert“, erklärt Dicko, der sein Volk gut verstehen kann. Nach den beiden Tuareg-Aufständen in den Jahren 1990 und 2006/2007 gab es zwar Versprechungen seitens der Regierung, etwa die bessere Einbindung der Tuareg in Gesellschaft und Militär. Doch nach einer langfristig akzeptablen Lösung gesucht haben weder ATT noch dessen Vorgänger. Wie fatal dieses Desinteresse war, zeigt sich nun.
Eine Woche nach dem Putsch in Bamako. Rund um das Denkmal der Unabhängigkeit, das inmitten eines belebten Kreisverkehrs steht und wie eine futuristische Rakete aussieht, haben sich mehrere hundert Demonstranten versammelt. Neben dem Denkmal steht ein alter, grüner Minibus, auf dessen Dach ein paar Boxen montiert sind. Aus ihnen dröhnt Musik und übertönt das, was die Redner sagen wollen. Zur Kundgebung aufgerufen haben mehrere Gruppen aus der Zivilgesellschaft. An der Seite stehen ein paar Soldaten und beobachten fast ein bisschen gelangweilt das, was sich vor ihren Augen abspielt. Überall werden Plakate, auf denen ganz schlicht „Vielen Dank CNRDRE“ steht, hochgehalten.
Militärputsch klingt zwar dramatisch. „Doch das war die einzige Möglichkeit“, sagt ein Demonstrant. „Jetzt sind wir endlich ATT los.“ „Er war ein Diktator und die Marionette Frankreichs“, brüllt ein anderer. Er hält sein selbst beschriebenes Blatt Papier vor die Kamera, auf dem er der einstigen Kolonialmacht Mitschuld an der Misere Malis gibt. Ein Ausweg daraus könnten nun freie Wahlen sein: „Wir brauchen sie und müssen so zurück zur Demokratie“, sagt der Mann im blauen T-Shirt.
Schon zehn Tage später stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Ganze zwei Wochen haben sich Juntachef Amadou Sanogo und seine Leute an der Macht gehalten, bis er – wieder einmal live und dieses Mal mit etwas mehr Routine – im Staatsfernsehen erklärt, die Macht solle nun an die zivile Übergangsregierung abgegeben werden. Verantwortlich für die Bildung dieser ist der bisherige Parlamentspräsident Dioncounda Traoré, der bis Mitte Mai demokratische Wahlen organisieren soll.
Eins haben die Putschisten damit immerhin bewiesen: Sie stehen zu ihrem Wort. Von Anfang an betonten sie, nicht selbst an der Macht bleiben und stattdessen den Weg für freie Wahlen ebnen zu wollen. Kräftig nachgeholfen haben dürfte allerdings der massive Druck der westafrikanischen Regionalorganisation ECOWAS, die wie die internationale Gemeinschaft den Putsch von Anfang an massiv kritisierte und drastische Sanktionen wie dauerhaft geschlossene Grenzen zu den Nachbarländern ankündigte. ECOWAS wurde deshalb wie ein Feind von außen wahrgenommen. Mit der Bildung der Übergangsregierung könnte die Organisation der westafrikanischen Staaten nun jedoch zum größten Verbündeten werden und die Soldaten im Kampf gegen die Tuareg unterstützen. Diese haben nämlich am 6. April ihren eigenen Staat Azawad ausgerufen. Und den will weder Bamako noch die übrige Welt anerkennen.
Katrin Gänsler ist Korrespondentin mehrerer deutschsprachiger Medien. Sie lebt in Lagos, Nigeria und Cotonou, Benin. Ihre Recherchen führen sie regelmäßig nach Mali.
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