Machtkampf um den Nil

Von Tyma Kraitt und Stefan Brocza · · 2019/Nov-Dez

Der längste Fluss der Erde droht auszutrocknen – und mit ihm die Lebensgrundlage von Hunderten Millionen von Menschen. Von Tyma Kraitt und Stefan Brocza

Der Nil ist das Lebenselixier Ägyptens. Seit Jahrtausenden ist das Schicksal des Landes eng mit dem Lauf des Flusses verwoben. Rund 90 Prozent seines Wasserbedarfs deckt das niederschlagsarme Land aus dem 6.650 Kilometer langen Strom. Auch für die anderen zehn Länder im Einzugsgebiet des Nils ist der Fluss die Lebensader. Doch die Prognosen sehen düster aus – auch wenn man bedenkt, dass flussaufwärts Afrikas größter Staudamm in Betrieb gehen soll.

Nur mehr die Hälfte der Anrainerstaaten des Nilbeckens soll bis 2030 mit genügend Wasser aus dem Fluss versorgt werden können. Davon geht ein Bericht der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit aus. Mit dem Mangel wird Wasser zu einem umkämpften Gut. Schwelende Konflikte um diese überlebenswichtige Ressource könnten eskalieren – erst recht, wenn man in Betracht zieht, dass sich die Situation durch die Klimakrise wohl weiter dramatisieren wird.

Aktuell besonders besorgniserregend bleibt der Konflikt zwischen Ägypten und Äthiopien: Am Oberlauf des Blauen Nils, neben dem Weißen Nil einer der beiden Hauptstränge im Flusssystem des Nils, soll die geplante Grand-Ethiopian-Renaissance-Talsperre fertiggestellt werden, ein Staudamm nahe der sudanesischen Grenze.

Dieses Großprojekt soll Addis Abeba zu einem afrikanischen Schlüsselakteur im Bereich der Wasserkraft machen. Geht der Staudamm in Betrieb, wird sich die Wasserführung des Blauen Nils Richtung Ägypten um mindestens 25 Prozent verringern. Für Ägypten sind die Folgen mit den Worten des Präsidenten Abdelfattah al-Sisi „eine Frage von Leben und Tod“. 85 Prozent des Nilwassers in Ägypten stammen aus dem Blauen Nil, der Konflikt um den Staudamm hat also ein großes Eskalationspotenzial.

Koloniales Erbe. Trotz vieler aktueller Entwicklungen: Die Ursprünge dieser Konflikte reichen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. Die damalige britische Kolonialverwaltung in Ägypten und Ostafrika schuf diverse Vertragswerke mit den beiden anderen Kolonialmächten Frankreich und Italien sowie mit dem unabhängigen Äthiopien. Aufgrund der britischen Vormachtstellung gelang es London, sich Vetorechte bei jeglichen Wassernutzungsbauten im Oberlauf des Nils zu sichern. Damit wollte man einerseits die Wasserversorgung Ägyptens sicherstellen, gleichzeitig aber auch ein Druckmittel gegen jegliche Unabhängigkeitsbestrebungen der Gebiete am Nil schaffen.

Nach Beendigung der britischen Herrschaft in Ägypten wurde Kairo ein Vetorecht gegen jegliche Wasserbauprojekte in den Gebieten eingeräumt, die zu dieser Zeit Teil des britischen Kolonialreichs waren.

Die nutzbare Wassermenge des Nils wurde auf jährlich 52 Milliarden Kubikmeter festgelegt (diese Summe entspricht etwa dem gesamten Wasservolumen des Bodensees), die Menge gleichzeitig zu 92,3 Prozent Ägypten und die restlichen 7,7 Prozent dem Sudan zuerkannt. Zudem wurde Ägypten ein „natürliches und historisches Recht am Nilwasser“ zugesprochen.

1959 schlussendlich schlossen Ägypten und der zwischenzeitlich unabhängige Sudan ein Nilwasserabkommen, auf das sich beide bis heute berufen. Die nutzbare Wassermenge wurde auf 74 Milliarden Kubikmeter angehoben, 75 Prozent davon würden Ägypten, 25 Prozent dem Sudan zustehen. Ohne jegliche Einbindung der anderen Anrainerstaaten wurden so Fakten geschaffen, die bis heute nachwirken.

Erst 1999 kam es zur Gründung der zwischen den Staaten vermittelnden Nile Basin Initiative (NBI) – und dies auch nur, weil immer mehr Geberländer und internationale Organisationen den Druck auf Ägypten erhöhten, endlich eine Lösung zu finden. Trotz vieler Bemühungen, und auch der einen oder anderen Androhung militärischer Mittel, blieb der Konflikt um die Nutzung des Nilwassers bis heute im Grunde ungeklärt.

Der wachsende Wasserbedarf des Sudans, die gigantischen Entwicklungsprojekte Äthiopiens, der rasch steigende Bedarf in Ruanda, Tansania, Uganda und Kenia lassen sich nicht unter den sprichwörtlich „einen Hut“ bringen, solange der größte Player im Spiel ohne Bereitschaft zur Veränderung auf sein „natürliches und historisches Recht am Nilwasser“ beharrt. Dass dieses Recht von Kolonialherren des vorherigen Jahrhunderts politisch diktiert wurde, kümmert niemanden in Kairo.

Menschengemachte Katastrophe. Das Beispiel Ägyptens veranschaulicht, wie ignorante politische Eliten und Missmanagement diese Entwicklung mitverursacht und angetrieben haben. Große Probleme bereiten Staudämme, die den Wasserfluss behindern, ebenso wie die unzähligen mit Müll verstopften Kanäle. Ägypten versagt nach wie vor im Kampf gegen die Verschmutzung des Nils, die ein unerträgliches Ausmaß erreicht hat.

Der Agrarsektor, der zwölf Prozent der ägyptischen Gesamtwirtschaft ausmacht, leidet seit Jahren schon unter dem Wassermangel und dem Verschwinden von Nutzfläche aufgrund von Trockenheit, Desertifikation und vor allem wirtschaftlichen Fehlentwicklungen.

Die einstige Kornkammer Ägypten ist zum weltweit größten Weizenimporteur geworden. Während am Nildelta ganze Ernten ausfielen, wurden allein zwischen April 2018 und 2019 zwölf Millionen Tonnen Mehl und Weizen ins Land eingeführt. Der Verfall des Agrarsektors hat auch humanitäre Folgen, nicht zuletzt eine massive Landflucht in die Metropolen.

Die Lage am Nil hat sich auch wegen der Klimakrise verschlimmert. Die immer länger anhaltenden Dürreperioden in Ostafrika und insbesondere die Regenausfälle im äthiopischen Hochland sind der Grund, wieso nicht mehr genug Wasser in die Quellflüsse des Nils gelangt. Das jährliche Wasserdefizit in Ägypten liegt mittlerweile bei 20 Milliarden Kubikmeter.

Ideenlosigkeit und Ignoranz. Der Einsatz des politischen Establishments in Kairo gegen die Wasserkrise und die schwerwiegenden Folgen des Klimawandels zeichnet sich durch Ideenlosigkeit und Ignoranz aus. Die Prioritäten liegen woanders. Etwa im Bau einer neuen Hauptstadt in der Wüste. Die Kosten für das Prestigeprojekt von Präsident al-Sisi sollen sich auf rund 58 Milliarden US-Dollar belaufen. Eine gewaltige Summe, die in den Ausbau des Müllentsorgungssystems, in effiziente Bewässerung oder gar in Projekte zur Renaturierung des Nils besser investiert wäre.

Der Startschuss für den Kampf ums Wasser könnte derweilen schon bald fallen.           

Tyma Kraitt ist Publizistin mit Fokus auf die Umbrüche im arabischen Raum.

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

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