Brasiliens Präsident geht gestärkt aus den Wahlen hervor. Doch große Reformen sind auch in seiner zweiten Amtszeit kaum zu erwarten.
Luiz Inácio Lula da Silva kann zufrieden sein: Ende Oktober entschied er die Stichwahl gegen seinen rechtsliberalen Herausforderer Geraldo Alckmin mit 60,8 Prozent der gültigen Stimmen klar für sich. In der Wahlnacht rief der frühere Werkzeugmacher und Gewerkschafter vor 4.000 begeisterten AnhängerInnen seiner Arbeiterpartei PT in São Paulo: „Zum ersten Mal hat das Volk beschlossen, der Hauptakteur der brasilianischen Politik zu sein. Es war ein Sieg von unten gegen die da oben.“ In der Tat: Gerade die armen BrasilianerInnen widerstanden dem Trommelfeuer fast aller Medien überraschend deutlich und votierten mit überwältigender Mehrheit für Lula, der sich das ganze Jahr über gekonnt als „Vater der Armen“ inszeniert hatte. Den Mindestlohn hob er deutlich an. Das Hilfsprogramm „Bolsa-Família“ weitete er auf elf Millionen Familienmütter aus, die monatliche Haushaltszuschüsse von umgerechnet 35 Euro erhalten.
Auch die Gouverneurswahlen liefen ganz im Sinne Lulas. Mindestens 16 von 27 gewählten Gouverneuren stehen auf der Seite des Präsidenten. Der Amazonas-Staat Pará, wo die Gewalt auf dem Lande besonders ausgeprägt ist, wird ab 2007 mit Ana Júlia Carepa erstmals von der PT regiert, ebenso Bahia im Nordosten. Die Niederlage seines Parteifreundes Olívio Dutra in Rio Grande do Sul schwächt die Parteilinke, deren Ruf nach einer „Neugründung“ der PT wohl bald in Vergessenheit geraten wird. Denn es waren Leute aus dem Umfeld des Präsidenten, die die ehemalige „Linkspartei neuen Typs“ seit 2005 durch diverse Affären ins Zwielicht gebracht hatten. In Anspielung darauf sagte Lula: „Von nun an haben wir weder moralisch noch politisch das Recht, Fehler zu machen.“
Anders als bei Lulas erstem Wahlerfolg 2002 beschränkten sich die Siegesfeiern im ganzen Land diesmal auf die AktivistInnen. Denn die damalige Aufbruchstimmung wurde bald von Lulas übervorsichtigem Pragmatismus abgelöst. Zu Beginn seiner ersten Fernsehansprache forderte er die politischen Gegner auf, gemeinsam mit ihm eine politische Reform voranzutreiben. Die Allianz mit der Zentrumspartei PMDB um den früheren Präsidenten José Sarney und weitere Vertreter der Oligarchie, die sich jetzt abzeichnet, wird dafür sorgen, dass der Status quo erhalten bleibt. Denn kaum weniger geschwächt als die Rechtsopposition ist die Linke.
Als Herausforderungen für seine zweite Amtszeit nannte Lula „Wirtschaftswachstum, Einkommensverteilung und ein Bildungswesen mit Niveau“. Dieses Wachstum will er mit massiven Investitionen in die Infrastruktur erzwingen, darunter finden sich umstrittene Großprojekte wie die Flussumleitung des Rio São Francisco oder der Bau von Staudämmen in Amazonien. „Die Armen werden in unserer Regierung Vorrang haben“, versprach er, kündigte aber auch die Fortsetzung einer „harten Fiskalpolitik“ an: „Wir können nicht mehr ausgeben als wir einnehmen.“
Trotz anders lautender Wünsche aus der PT werde Lula seine konservative Wirtschaftspolitik fortsetzen, ist der Soziologe Francisco de Oliveira überzeugt. Auch viele Unternehmer fordern deutliche Zinssenkungen, die einen Kurswechsel der Zentralbank nötig machen würden. Die hohen Zinsen sind nicht nur für das niedrige Wirtschaftswachstum von 2,3 Prozent (2005) verantwortlich, sondern machen auch den Schuldendienst extrem kostspielig: „Die Zinsen, die der Staat in 15 Tagen zahlt, entsprechen dem gesamten Programm Bolsa-Família“, sagt der Ökonom Delfim Netto, „das ist ein brutaler Transfer vom öffentlichen Sektor an die Banken“. Doch zugleich ist Lula-Berater Netto ein Verfechter einer „Null-Defizit-Politik“, die einer Ausweitung von Sozialprogrammen zuwiderlaufen würde. Wenig spricht auch dafür, dass die Agrarreform beschleunigt wird: Statt der 470.000 Familien, die von 2003 bis 2006 ein eigenes Stück Land bekommen sollten, waren es bislang nur 150.000 Familien.
Zwar bestätigte Lula zunächst den seit März 2006 amtierenden Finanzminister Guido Mantega, über dessen Ablösung in den Medien spekuliert wurde – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Antonio Palocci möchte Mantega die Rolle des Staates stärken und macht aus seinen Differenzen zum neoliberalen Regierungsflügel kein Geheimnis. Andererseits rüffelte der Präsident jene Minister, die schon am Wahltag das „Ende der Ära Palocci“ ausgerufen hatten. „Diese Politik war vor allem meine Entscheidung“, bekräftigte er.
Trotz der Unterstützung durch die Linke im zweiten Wahlgang sei die „charismatische Position“ Lulas letztlich gestärkt worden, meint Francisco de Oliveira: „Seinen Reformeifer dürfte das kaum befördern.“
Gerhard Dilger ist Südamerika-Korrespondent der taz. Er lebt in Porto Alegre, Brasilien