Luftschlösser statt Realitäten

Von Redaktion · · 2002/11

Mit der Vision von einem vereinten Afrika wird gleichzeitig auch eine bessere Zukunft verbunden. Doch die Afrikanische Union ist für die afrikanischen Machthaber nur als Anspruch attraktiv und nicht als Wirklichkeit, meint Dominic Johnson.

Der Weg ist das Ziel. Bestünde Afrika heute wirklich aus nur einem einzigen Staat, wäre dieser für die afrikanischen Völker vermutlich ein Alptraum und ein Monster, eine Kombination sowjetischer Schwerfälligkeit mit maoistischer Brutalität und der unerträglichen Überheblichkeit jener postkolonialer Eliten, die sich für die Erleuchter des schwarzen Kontinents halten. Aber da Afrika tatsächlich aus 53 Staaten besteht und deren Politik für viele ihrer BewohnerInnen tatsächlich einen Alptraum darstellt, erscheint die Einheit Afrikas als lichte Vision einer besseren Zukunft. Und jeder afrikanische Politiker, der sich diese Vision zu Eigen macht, kann darauf hoffen, ein Stück der Aura davon abzukriegen und als weitsichtig, intelligent und strebsam bewundert zu werden. Je mehr afrikanische Regierungen innenpolitisch kriseln und zwischen Krieg, Aids, Kapitalmangel, politischer Instabilität und sozialer Unzufriedenheit hin- und herschlingern, desto fester krallen sie sich an diese Hoffnung – die letzte, die nach dem Scheitern sämtlicher Ideologien und der meisten Demokratisierungsversuche noch bleibt.
Keiner der Unterzeichner der Gründungsakte der Afrikanischen Union (AU), die Anfang Juli feierlich auf ihrem ersten Gipfel im südafrikanischen Durban aus der Taufe gehoben wurde, würde dies zugeben. Doch genauso wie die hochfliegenden Entwicklungspläne der „Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ (NEPAD), mit denen die Präsidenten von Algerien, Nigeria, Senegal und Südafrika so gerne hausieren gehen, ist die ambitionierte Struktur der AU nur als Anspruch attraktiv, nicht als Wirklichkeit. Kein Herrscher ist freiwillig bereit, die Abgabe von Souveränität zu leisten, die für ein wirkliches Funktionieren von NEPAD und AU nötig wäre. Aber jeder von ihnen, von Libyens selbstherrlichem Revolutionsführer bis zum ölscheffelnden Präsidenten von Äquatorial-Guinea, legitimiert sein eigenes autokratisches Wirken mit dem angeblichen Wohl des Kontinents. Wenn das real existierende eigene Volk schon nicht seine Meinung zur Politik seiner Regierung sagen darf, ist doch wenigstens die virtuelle panafrikanische Öffentlichkeit für jede Großtat dankbar.

Wie ernst soll man eine Afrikanische Union nehmen, die zwar Demokratie und Wahlen auf ihre Fahnen schreibt, sich aber weigert, den frisch gewählten Präsidenten von Madagaskar anzuerkennen, weil dieser zu den Waffen greifen musste, um seinen renitenten Vorgänger – der seine Niederlage nicht anerkannte – aus dem Amt zu jagen? Wie ist eine „Neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas“ zu bewerten, die zwar mit dem schönen Begriff des „peer review“, also der gegenseitigen Kontrolle der Regierungstätigkeit, das überholte Prinzip der absoluten Nichteinmischung überwindet, aber nicht in der Lage ist, das für Afrikas Zukunft absolut desaströse Wirken Robert Mugabes in Simbabwe auch nur zu kritisieren?

Wie lange soll man der Parole der Einheit Afrikas glauben, wenn zwischen Arabern und Schwarzen auf dem Kontinent die gegenseitige Abneigung wächst und in der Elfenbeinküste, der drittgrößten Volkswirtschaft südlich der Sahara, fremdenfeindliche Exzesse um sich greifen und Rassismus toleriert wird? So altmodisch es klingt: Damit Afrika tatsächlich den Weg der Einheit beschreiten kann, müssten Afrikas Regierungen zunächst in ihren eigenen Ländern eine Politik der Völkerverständigung einleiten. Wer Ethnien innerhalb eines Staates gegeneinander hetzt, spaltet den ganzen Kontinent.
Es geht hierbei nicht darum, Tribalismus zum Wesenszug der afrikanischen Politik zu erklären, sondern um die Einsicht, dass eine funktionierende Demokratie, eine gerechte Verteilung von Ressourcen und ein Abbau von Konflikten damit zu tun hat, Diskriminierungen aufgrund einer vom Einzelnen nicht zu beeinflussenden Gruppenzugehörigkeit zu beenden. Nelson Mandela in Südafrika hatte das begriffen, und seine Weigerung, nach dem Ende der Apartheid Rache an den Weißen zu üben, verbesserte Afrikas Image in der Welt mehr als alle formalen afrikanischen Einigungsbeschlüsse zusammengenommen.
Ruandas Regierung hat das begriffen, indem sie die Hutu-Tutsi-Spaltung nicht mehr zur Grundlage der ruandischen Politik macht – es bleibt die Sorge, dass im Fortgang der ruandischen Demokratisierung die alten Spaltungen wieder zum Vorschein treten. Wenn nun auch die großen Vielvölkerstaaten des Kontinents – Nigeria, Äthiopien und die Demokratische Republik Kongo – sich dem Thema des Ausgleichs zwischen Volksgruppen und der gerechten Verteilung von Reichtum und Macht stärker widmeten, hätte Afrika etwas erreicht, womit selbst das reiche Europa noch heute die allergrößten Schwierigkeiten hat. Vor 50 Jahren gründeten die Visionäre der Entkolonisierung ihre Visionen auf der Realität des Kolonialismus. Heute sollten die Visionäre der afrikanischen Einheit ihre Visionen auch nicht von Luftschlössern herleiten, sondern von den Realitäten – und zwar auch und gerade von jenen, die sie selbst zu verantworten haben.

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