„Lösungen mit den Betroffenen gemeinsam entwickeln“

Von Redaktion · · 2007/11

Helmut Jung ist Wasser- und Abwassertechniker und arbeitet am Institut für Siedlungswasserbau der Wiener Universität für Bodenkultur. Er ist seit vielen Jahren Wasserexperte der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA). Mit ihm sprach Brigitte Pilz.

Südwind: Sanitäre Basisversorgung ist in Entwicklungsländer ein großes Problem. Sind entsprechende Zahlenangaben zur Situation sinnvoll?
Helmut Jung:
Man muss differenzieren. Gemischte Prozentsätze verwischen das Problem. Und was heißt Basisversorgung? Ist es eine Latrine pro Familie? Was ist eine Familie am Land? Man kann also nur sehr vage angeben, dass man im ländlichen Raum in Afrika südlich der Sahara eine sanitäre Basisversorgung für 20 – 30% der Bevölkerung hat. In städtischen Gebieten ist es etwas besser. Dort ist der Druck wesentlich größer. Die gesundheitlichen Auswirkungen bei hygienischen Missständen ist wegen der hohen Bevölkerungsdichte sofort da. Es geschieht auch eher etwas, weil die Armut in peri-urbanen Gebieten politisch relevanter ist als jene in ländlichen Gebieten. Aber die Probleme sind auch dort sehr groß.

In Gegenden mit Zugang zu sauberem Wasser, wie schaut es da mit sanitärer Grundversorgung aus?
Die Politik der ÖEZA im Wassersektor ist seit Jahren, dass man Wasser- mit Sanitärprojekten koppeln muss. Letzteres ist ungleich schwieriger. Ein Grund dafür ist, dass wir es mit einem Tabu zu tun haben. Es geht ja auch um Hygiene. Ich denke aber, das Hauptproblem ist: Zugang zu Wasser ist ein individuelles Problem, das üblicherweise kommunal gelöst wird. Siedlungshygiene ist ein kommunales Problem, das man in ländlichen Bereichen individuell lösen muss.
Zum Beispiel: Man baut im Dorf einen Brunnen. Damit hat man die Lösung für die gesamte Bevölkerung. Im Sanitärbereich muss man individuelle Lösungen finden. Aber wie fördere ich Familien sinnvoll? Man kann nur versuchen, durch funktionierende Beispiele den Bedarf zu wecken etc. Eine Dorflatrine funktioniert jedenfalls nicht. Allein die Wartung ist viel komplizierter und schwieriger zu gewährleisten als bei einem Brunnen. Dann sind da kulturelle Widerstände. Es gibt etwa Kulturen, in denen es nicht genügt, für einen Familienverband eine Latrine zu bauen. Die Nachkommen der väterlichen Linie dürfen nicht dieselbe Einrichtung benutzen wie jene der mütterlichen.

Hat die internationale EZA es nicht doch auch verabsäumt, in ihrer Aufklärungsarbeit auf die Wichtigkeit von Sanitäreinrichtungen hinzuweisen?
Ja, das denke ich auch. Viele Experten fordern inzwischen, Wasser- und Sanitärprogramme voneinander zu trennen, damit man nicht immer auf Wasser ausweichen kann, wenn bei Toiletten und Hygiene nichts weitergeht.
Interessant finde ich einen von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) kofinanzierten Ansatz des WSP (Water and Sanitation Program der Weltbank) in Äthiopien, der zurzeit auf ein nationales Programm ausgeweitet wird. Dort wurde versucht, auf allen Ebenen der Institutionen vom Ministerium bis zur Kommune und den Haushalten abgestimmt vorzugehen. Alle mussten Aufgaben erledigen, bevor es weiteres Geld für das Programm gab. Und das war sehr erfolgreich, die Projekte wurden gut und rasch durchgeführt. Das Erfolgsrezept liegt in der Zusammenarbeit der Institutionen mit den Betroffenen und nicht im großen Geld.
Das Problem liegt ja auch darin, dass ausländische Experten wie Missionare daherkommen und genau wissen, welche Lösungen für wen passen. Und das funktioniert nicht.

Sprechen wir von Lösungen. Sind Trockentoiletten für ländliche und städtische Gebiete geeignet?
Trockenklos wären immer sinnvoll, weil die Entsorgung am leichtesten wäre. Sie funktionieren gut, sind geruchlos und die Entsorgung der Fäkalien ist relativ leicht. Man kann sie technisch sehr ambitioniert ausstatten oder auch einfach und somit billiger. Im Vergleich zur „pit-latrin“ – also einem Plumpsklo über einer Grube, die irgendwann voll ist – ist die Trockentoilette eine dauerhafte Lösung. Dazu kommt die Möglichkeit des Düngers als Output.
Die OEZA hat schon viele Projekte mit Trockentoiletten im ländlichen Raum durchgeführt. Der Erfolg war immer dort gegeben, wo die Betroffenen in der Lösungsfindung, in Bau und Wartung einbezogen waren bzw. die Hauptakteure sind. In Mosambik hat es in diesem Zusammenhang von biologisch anbauenden Bauern einen Aufstand gegen die Verwendung des Urin als Dünger gegeben. Sie haben gesagt, wenn meine Kunden am Markt erfahren, dass ich meine Pflanzen mit meinem Urin dünge, kann ich einpacken.

Die Grundidee der Trockenklos ist die Trennung von Urin und Fäkalien?
Ja. Im Urin sind keine Krankheitserreger drin. Wenn man ihn nicht direkt als Dünger verwenden will wie in Mosambik, kann man ihn versickern lassen und an der Stelle etwa Bananen pflanzen. Ich kann den Urin auch in einen Tank führen, mit Wasser verdünnen und dann als Dünger verwenden. Auf die Fäkalien kommt in Trockenklos Asche, die den pH-Wert erhöht, was eventuelle Krankheitserreger wie z.B. Wurmeier vernichtet. Es gibt zwei Kammern, mit einer komme ich etwa sechs Monate aus, dann verschließe ich sie, verwende die zweite, und in der ersten trocknet alles aus, den kleinen Rest kann ich als Humus verwenden. Das ist das Attraktive an der Trockentoilette.

Aber da gibt es Tabus?
Ja. Aber bitte auch bei uns. Was wir für einen Zinnober aufführen, damit wir ja nichts sehen und riechen: zehn Liter sauberes Trinkwasser pro Klogang. Aus den Augen, aus der Nase, aus dem Sinn.

Welche Lösungen gibt es für die Stadt?
Auch dort muss man diese mit den Betroffenen entwickeln, das ist das Grundprinzip. Wir arbeiten in Kenia mit einer NGO, der KWAHO, die auch in Slums tätig ist. Die haben alles Mögliche ausprobiert. Man muss einen Mix an Technologien zur Verfügung haben, die man anbieten kann.

Welcher Mix könnte das sein?
Trockentoiletten, aber nicht mit einem Kammernsystem, sondern mit Containern. Dann kann ich ein einfaches Design wählen. Wenn der Container voll ist, wird er ausgetauscht und später der Inhalt entsorgt wie Klärschlamm. „Septic tanks“ sind dichte Behälter, die wie eine Senkgrube funktionieren. Die werden über Leitungen befüllt oder man hat Toiletten darüber. Doch man muss sie entleeren, und man muss wissen, wohin. In Nairobi zum Beispiel entleeren sie sie in den Athi-River. Das ist eine Katastrophe. Und die Leute sollen lernen, nicht in den Bach zu scheißen!

Was ist mit Kanalisationen?
In den Zentren von Städten wird man darum nicht herum kommen, weil die Leute einen westlichen Standard haben wollen, was verständlich ist. Die Frage ist allerdings die Finanzierung. Sowohl die Investitionen als auch die operativen Kosten sind der blanke Wahnsinn in wirtschaftlich wenig entwickelten Ländern. Die Kosten für den Betrieb eines Kanals sind vorsichtig gerechnet doppelt so hoch wie jene einer Wasserleitung. Wenn man einen Kanal gut wartet, wird es noch teurer. Ein Kanal, der nicht gewartet wird, ist in einem halben Jahr eine gesundheitliche Gefahr für die Kommune. Die meisten Entwicklungsländer können sich das nicht leisten. Sie haben ja kaum Steuereinnahmen.

Was hat man aus vielen Jahren OEZA im Wasser- und Sanitärbereich gelernt?
Die OEZA ist diesbezüglich vor allem in Afrika im ländlichen Raum tätig. Wir propagieren schon lange das unbedingte Zusammenspiel von Wasser und Siedlungshygiene. Das ist weiterhin die Strategie. Aber: Reine Projektansätze sind zwar wichtig für die Entwicklung von Beispielen und brauchbaren Technologien, sie führen jedoch zu keiner Lösung im Sinne einer flächendeckenden Entsorgung. Es muss eine nationale Politik in den betroffenen Ländern geben. Dort sollen die einschlägigen Institutionen gefördert, aber auch gefordert werden. Ein nationaler Programmansatz bzw. Budgethilfe wären in diesem Bereich sinnvoll, wenn die staatlichen Strukturen funktionieren. Das angesprochene Beispiel von WSP in Äthiopien wird eine wichtige Erfahrung in diesem Bereich werden.

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