Jede dritte Kakaobohne weltweit wird in der Elfenbeinküste geerntet. Auf den Kakaoplantagen ist Kinderarbeit immer noch die Regel.
Etwa 800.000 Kinder arbeiten auf ivorischen Kakaofarmen. Sie ernten Kakaoschoten, jäten Unkraut, pflegen die Bäume, befreien die Bohnen aus der Schote mit Macheten und sind an den ersten Verarbeitungsschritten beteiligt, die aus einer unscheinbaren Bohne die ultimative Süßigkeit machen.
Nicht in jedem Fall ist diese Arbeit ausbeuterisch – auch in Europa helfen viele Kinder in der Landwirtschaft oder im Familienbetrieb. Aber für mehr als eine Viertelmillion Kinder ist die Arbeit auf den Kakaofeldern so schwer oder gefährlich, dass sie eigentlich durch internationale Abkommen und die Gesetze der Elfenbeinküste verboten ist.
In einem Bericht der britischen Organisation Anti-Slavery International erzählt etwa ein junger Erwachsener, der als 14-Jähriger auf einer Kakaoplantage zu arbeiten begann, dass er täglich neun Stunden harte Arbeit leisten musste. Dazu gehörte auch das Tragen der schweren Säcke voller Kakaobohnen. Besonders gefährlich ist das Beseitigen von Unkraut und Unterholz zwischen den Bäumen: Viele Kinder verletzen sich bei der Arbeit mit den scharfen Macheten, und im Gebüsch lauern oft Giftschlangen.
Bei einer Untersuchung des US-amerikanischen Payson Centers for International Development über die Zustände im ivorischen Kakaosektor gab die Hälfte aller Kinder an, sich in den letzten zwölf Monaten bei ihrer Arbeit verletzt zu haben. Vier von fünf klagten über das Tragen von zu schweren Lasten. Und auch der massive Einsatz von Pestiziden auf den Feldern birgt erhebliche gesundheitliche Gefahren.
Besonders benachteiligt sind jene Kinder, die nicht auf den Farmen ihrer eigenen Eltern arbeiten. Die hiervon betroffenen Burschen gehen nur zu 40 Prozent in die Schule, Mädchen noch seltener. Insgesamt arbeiten knapp 150.000 Kinder in der Elfenbeinküste auf den Kakaofeldern fremder Familien. Nicht alle diese Kinder sind unfreiwillig dort. In vielen afrikanischen Ländern ist es üblich, dass Kinder bei Verwandten unterkommen, wenn dadurch etwa der Schulbesuch oder eine bessere Versorgung gewährleistet werden kann. In der Elfenbeinküste gibt es allerdings bis heute viele Fälle von Zwangsarbeit und Kinderhandel. Rund 20.000 Kinder, die hier arbeiten, stammen aus anderen Ländern. Wie viele Kinder aus der Elfenbeinküste selbst Opfer von Kinderhändlern werden, darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen.
Kinderhandel nimmt dabei ganz unterschiedliche Formen an. Am stärksten betroffen sind Kinder aus den nördlichen Nachbarländern Burkina Faso und Mali. Zum Teil werden sie mit Versprechen gelockt und schließen sich freiwillig und ohne das Wissen ihrer Eltern den Kinderhändlern an. So berichtet etwa ein Kind aus dem burkinischen Ort Letiefesso, dass ihm ein Vermittler ein Fahrrad versprochen hatte und es deshalb mit neun Jahren ohne das Einverständnis seiner Eltern in die Elfenbeinküste reiste.
„Schmutzige Schokolade“: Szenenausschnitt aus der Dokuserie, die viele Menschen aufgerüttelt hat.
Statt das erhoffte Fahrrad zu erhalten, landete das Kind laut Anti-Slavery International aber in Verhältnissen, die an Sklaverei erinnern: „Ich erinnere mich nur an Leid. Mir wurde erzählt, dass ich dort leicht Geld verdienen könnte, aber ich wurde getäuscht. Es war zu schwer für mich, das Gras mit der Machete zu schneiden und ich hatte Schmerzen im Nacken durch das Abschlagen der Schoten von den Bäumen mit einer langen Stange. Nachts konnte ich wegen der Schmerzen nur schlecht schlafen und wir mussten um vier Uhr aufstehen und bis 16 Uhr arbeiten. Ich war immer müde.“
In anderen Fällen werden Kinder regelrecht entführt. In Burkina Faso erregte im letzten Jahr ein Fall Aufsehen, in dem Polizisten mehrere unter Drogen gesetzte Kinder in einem Bus fanden. Einige der Kinder starben an den Folgen der Drogen. Es wird vermutet, dass die Kinder zur Arbeit auf Kakaoplantagen in die Elfenbeinküste geschmuggelt werden sollten.
Manchmal stimmen die Eltern dem Handel mit ihren Kindern auch zu, allerdings selten im vollen Wissen um die Konsequenzen für das Kind. Viele Familien in Burkina Faso leben am Rande des Existenzminimums und ernähren sich durch Subsistenzlandwirtschaft. Wenn der Regen ausbleibt und es zu Missernten kommt, was aufgrund des Klimawandels immer häufiger passiert, müssen viele Familien hungern. Manche Eltern glauben darum den Versprechungen von Kinderhändlern, dass es ihren Kindern dort besser gehen wird und sie vielleicht sogar Geld nach Hause schicken können. Die Elfenbeinküste steht immer noch in dem Ruf, dass man dort leicht Geld verdienen kann.
Doch die Preise für Kakao auf dem Weltmarkt haben sich seit den 1980er Jahren halbiert, wenn von inflationsbereinigten Werten ausgegangen wird. Dieser Preisverfall ist eine Reaktion auf den massiven Ausbau der Kakaoproduktion in jener Zeit, der auch in der Elfenbeinküste staatlich gefördert wurde. Kakaobäume brauchen mehrere Jahre und erhebliche Investitionen von Seiten des Bauern, bis sie ihre volle Produktivität erreichen. Als die Preise in den 1990er Jahren anfingen zu verfallen, konnten es sich viele Bäuerinnen und Bauern schlicht nicht leisten, auf eine andere Frucht umzusteigen.
Von der Regierung gab es wenig Unterstützung und die Lebensmittelkonzerne im Norden freuten sich über die niedrigen Weltmarktpreise. Für die Bauernschaft, bei der oft nur weniger als die Hälfte des Weltmarktpreises ankommt, bedeutete diese Entwicklung aber das Abrutschen in die absolute Armut.
„Der Kern des Problems ist, dass der Bauer in der Elfenbeinküste nicht das notwendige Geld hat, um einen Erwachsenen einzustellen“, meint Friedel Hütz-Adams, Kakaoexperte des Südwind-Instituts in Siegburg (siehe Beitrag Seite 35).
Ein erwachsener Erntehelfer aus Burkina Faso kostet umgerechnet rund 250 US-Dollar im Jahr plus Verpflegung, aber ein Kind kostet nur die Hälfte.“
Für die Regierung der Elfenbeinküste und die nördlichen Konzerne entsteht dadurch eine Zwickmühle: Zum einen will keiner für ausbeuterische Kinderarbeit und Kinderhandel verantwortlich gemacht werden. Zum anderen freut sich die Kakaoindustrie über die niedrigen Weltmarktpreise. Und die ivorische Regierung ist auf die Einkünfte aus dem Handel mit Kakao ange-wiesen.
In der Vergangenheit versuchten die beteiligten AkteurInnen darum vor allem, mit Aufklärungskampagnen und der besseren Ausbildung von Bäuerinnen und Bauern gegen das Phänomen Kinderhandel und Kinderarbeit vorzugehen – mit beschränktem Erfolg. Dass es für Kinder besser ist, in die Schule zu gehen als schwere Arbeit zu leisten, ist praktisch jedem Beteiligten klar. Es sind die wirtschaftlichen Verhältnisse, die es nicht erlauben, diese Erkenntnis auch in die Tat umzusetzen.
Darum ist eine aktuelle Initiative der ivorischen Regierung von besonderer Wichtigkeit: Seit der letzten Erntesaison garantiert die Regierung erstmals allen Kakaobäuerinnen und -bauern einen festen Abnahmepreis für ihre Ernte: 750 Franc CFA pro Kilo Kakaobohnen, das entspricht etwa 1,13 Euro und gut 50 Prozent des aktuellen Weltmarktpreises – ein wichtiger erster Schritt, um der ivorischen Kakaobauernschaft ein menschenwürdiges Einkommen zu sichern, dem allerdings sicher noch weitere folgen müssen. Damit beendet die Regierung vor allem die schädliche Praxis, dass ZwischenhändlerInnen den Bauern zu bestimmten Zeiten unverschämt niedrige Angebote machen, wenn nach der Ernte ein Überfluss an Kakao zum Verkauf steht.
Premierminister Daniel Kablan Duncan gibt sich optimistisch: „Wir arbeiten auf regionaler Ebene an der Abschaffung von Kinderarbeit. Dazu wollen wir die Einkommen der Bauern weiter erhöhen. Aktuell streben wir einen Mindestpreis von 60 Prozent des Weltmarktpreises für die Bauern an, weshalb wir die Zahlungen gerade von 700 auf 750 Franc CFA pro Kilo erhöht haben. Wir sehen jetzt schon deutliche Verbesserungen im Sektor.“
Um den Trend aber nicht nur zu stoppen, sondern umzukehren, ist aber auch ein Umdenken bei Industrie und VerbraucherInnen notwendig: So lange im Norden weiterhin nur darauf geachtet wird, dass Rohstoffe wie Kakao möglichst billig auf dem Weltmarkt gehandelt werden, so lange wird auch Kinderarbeit weiter bestehen.
Peter Dörrie ist freier Journalist und auf Fragen der Ressourcenpolitik und Sicherheit in Afrika spezialisiert. Er hat unter anderem in Burkina Faso gelebt und gearbeitet.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Medienkooperation mit der Zeitschrift Südlink / Berlin.
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