Online-Dating hat die Welt erobert. Neben den bekannten Plattformen und Apps der großen US-amerikanischen Player entstehen viele lokale und auf bestimmte Zielgruppen zugeschnittene Angebote.
Einmal rechts wischen, zweimal links wischen, zweimal rechts und einmal links. Was vor zwanzig Jahren wie eine Anleitung zum Fensterputzen klang, ist heute eine Bewegung, die Millionen Menschen nutzen, um online nach einem/r Partner:in zu suchen.
Etabliert hat diese Wisch-Funktion die Online-Dating-App Tinder. Gefällt einem das betrachtete Profil in der Dating-App, schiebt man es mit dem Finger nach rechts, gefällt es nicht, nach links. Haben beide Personen nach rechts gewischt, ist es ein sogenanntes Match und beide können ihre Profile sehen und sich schreiben.
Neue Freundschaften, unverbindlicher Sex, die große Liebe – Online-Plattformen und Dating-Apps bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten.
Bereits im Jahr 1965 versuchten zwei Studierende der US-amerikanischen Universität Harvard einen ersten computergestützten Partnervermittlungsdienst zu entwickeln. Sie erstellten einen Fragebogen mit 75 Fragen, den interessierte Bewerber:innen ausfüllen und per Post zurückschicken sollten. Dafür erhielten diese dann eine vom Computer erstellte Liste mit passenden Partner:innen.
Love Tech. In den darauffolgenden Jahrzehnten bekamen immer mehr Menschen Zugang zu Computern und dem Internet. Dreißig Jahre nach dem Versuch der beiden Harvard-Studenten wurde Match.com entwickelt, die erste Online-Dating-Website. Sie ermöglichte Nutzer:innen nach Kategorien zu suchen, etwa nach der bevorzugten Altersgruppe, dem Wohnort oder den Hobbys.
Anfang der 2000er Jahre folgten weitere Websites wie Plenty of Fish oder OkCupid. Ihren Vorgänger Match.com konnten sie aber erst übertrumpfen, als sie Anwendungen – Apps – für Handys entwickelten.
2009 brachte die Dating-App Grindr, die damals für homo- und bisexuelle Männer gemacht wurde, eine kleine Revolution für das Online-Dating: Grindr führte die Geolokalisierung für Dating-Apps ein, mit deren Hilfe die Profile der Personen in einem auszuwählenden Umkreis angezeigt werden. Später öffnete sich die App auch für Transmenschen.
Bis heute ist Grindr mit mehr als 21 Millionen Nutzer:innen an der Spitze der Apps für queere Liebe. 2012 kam Tinder mit seiner typischen Wisch-Funktion auf den Markt, heute dominiert die Online-Dating-App den Markt.
Um das Daten via App in Regionen mit schlechterer Internetverbindung und älteren Mobilgeräten noch mehr Menschen zu ermöglichen, führte Tinder 2019 in Lateinamerika und einigen Ländern Asiens, wie Vietnam oder Indien, die sogenannte Lite-Version ein. Diese verbraucht weniger Daten und Speicherplatz. Andere Tech-Unternehmen sind mittlerweile nachgezogen, um die wachsende Zahl von Online-Nutzer:innen im Globalen Süden anzusprechen.
Lokale Lösungen. Aber nicht überall gelingt das. 2019 gründeten die Softwareentwickler:innen Adetolani Eko, Moronke Anifowose und Osagie Omonzokpia aus Nigeria die Online-Plattform Vybe. Sie selbst sowie ihre Freund:innen hatten zuvor Probleme mit bestehenden Apps festgestellt. „Wir fanden heraus, dass Afrikanerinnen und Afrikaner nur zu sehr wenigen der Top-10-Dating-Apps der Welt Zugang haben, d. h. man kann diese Apps nicht einmal im Play Store bzw. im App Store finden und kein Konto erstellen“, erklären sie der nigerianischen Tageszeitung The Guardian.
Und: Die Sicherheitsstandards der herkömmlichen Anbieter hätten zu wünschen übrig gelassen.
Unterschiedliche Bedürfnisse. Es sind verschiedene Faktoren, die zur Beliebtheit von Dating-Apps in den verschiedenen Weltregionen beitragen. In Brasilien etwa wird immer später oder gar nicht geheiratet. Rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung war laut einer landesweiten Stichprobenerhebung der Haushalte im Jahr 2020 im Alter zwischen 19 und 69 Jahren und noch nie verheiratet oder geschieden. Zudem verzeichnet das Land einen stetigen Anstieg der Zahl der Menschen mit Internetzugang.
Während in Brasilien laut einer Umfrage der deutschen Statistik-Plattform Statista 2020 die Mehrzahl der Dating-Plattformen-Nutzer:innen angaben, online potenzielle Beziehungs-Partner:innen zu suchen, wollten die Hälfte der argentinischen Nutzer:innen mithilfe der Apps einfach neue Leute kennenlernen.
Auch das Wachstum der älteren Bevölkerung in verschiedenen Weltregionen erweitert die Zielgruppe der Partner:innenvermittlung. Ende 2021 waren in China nach Angaben des nationalen Statistikamtes NBS bereits rund 14 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre und älter. Schon 2050 könnte es ein Drittel sein, prognostiziert das World Economic Forum.
Die Suche nach einem/r Partner:in im dritten Lebensabschnitt ist somit zunehmend relevant. Auf der Online-Dating-Plattform und App Yidui (dt. „ein gutes Paar“) sind rund 47 Prozent der Nutzer:innen über 50 Jahre alt. Im Gegensatz zu anderen Plattformen gibt es bei Yidui sogenannte Online-Matchmaker, die mögliche Dates vorstellen und per Livestreaming ein Treffen vereinbaren. Andere Online-Dienste wie Zhiji (dt. „jemanden finden, der dich gut kennt“) oder Duiban (dt. „der richtige Lebenspartner“) richten sich speziell an Senior:innen.
Verbindender Lebensstil. Auf dem Dating-Markt tummeln sich zudem Apps, die verschiedenste Zielgruppen mit speziellen Interessen bedienen. Wer eine Vorliebe für Bärte pflegt, kann auf Bristlr nach einem Partner suchen. Vegetarier:innen und Veganer:innen werden bei Veggly fündig. Jüdische Nutzer:innen können bei Jswipe einen lachenden Davidstern vergeben, wenn ihnen ein Profil gefällt. Kontaktfreudigen Christ:innen können in ihrem Collide-Profil die Regelmäßigkeit ihrer Kirchenbesuche und ihre Lieblingsbibelstelle anführen. Bei Muzz, der größten App für Muslim:innen, finden sich im Idealfall gläubige Ehepartner:innen (mehr dazu im eigenen Beitrag in diesem Dossier auf Seite 36).
Abgesehen von der Religion entsprechen die großen – oft US-amerikanischen – Dating-Apps auch nicht immer den lokalen Bedürfnissen in Bezug auf den Lebensstil der Bevölkerung.
In Indien werden Dating-Apps entwickelt, die damit werben, spezifischer auf die Bedürfnisse der Menschen im Land einzugehen als die US-amerikanischen Marktführer.
Der Mitbegründer der Plattform TrulyMadly etwa, Snehil Khanor, erklärte in einem Interview mit Mint, einem indischen Onlineportal für Wirtschaftsnachrichten, dass diese für die Menschen in großen Metropolen zwar funktionieren mögen, aber nicht für „das echte Indien“ – für kleinere Städte und Dörfer. Da wären Menschen weniger auf der Suche nach amourösen Abenteuern und Gelegenheitssex. Seine App biete ein „Kompatibilitäts-Quiz“, um sicherzustellen, dass man die gleichen Werte bezüglich Familie und Beziehungen teilt.
Dating in Zahlen
Online-Dating erfuhr in den vergangenen Jahren weltweit einen enormen Aufschwung: Die Größe des mobilen Marktes verdoppelte sich laut dem „State of Mobile 2022“-Bericht des Analyseunternehmens Data.ai aus San Francisco im Zeitraum 2018 bis 2021. Durch die Covid-Pandemie und die weltweiten Ausgangssperren konnte er noch mehr wachsen. Denn die diversen Dienste machten einen Flirt von der Couch aus möglich.
Im Jahr 2021 waren 323 Millionen Menschen weltweit auf Dating-Apps und Online-Plattformen aktiv. International wird der Markt von großen Playern wie Tinder – mit mehr als 75 Millionen Menschen, die 2021 die App monatlich aktiv nutzten – oder Badoo – mit insgesamt über 400 Millionen registrierten Nutzer:innen die am häufigsten heruntergeladene Dating-App der Welt – beherrscht.
Die Vereinigten Staaten sind das Land mit dem höchsten Prozentsatz an Online-Dating-Nutzer:innen: 14,72 Prozent der Bevölkerung sind bei einer Online-Dating-Plattform oder -App registriert. In Lateinamerika liegt der Prozentsatz im Schnitt bei rund 10 Prozent. In Kolumbien sind es 46 Prozent. Laut dem US-Technologieunternehmen Apple ist Lateinamerika unter den Regionen, in denen Dating-Apps im Jahr 2021 aber am häufigsten heruntergeladen wurden. Brasilien war im selben Jahr nach den USA das Land mit den meisten Tinder-Downloads.
Die Match Group, mittlerweile Konzernmutter diverser Online-Dating-Dienste wie Tinder, OkCupid oder Plenty of Fish, machte im Jahr 2021 einen Umsatz von rund 2,98 Milliarden US-Dollar, ein Plus von 25 Prozent zum Vorjahr. Zahlen der Plattform Statista prognostizieren, dass die Einnahmen der Online-Dating-Dienste in Brasilien zwischen 2020 und 2025 um fast 50 Prozent zulegen werden. Und das, obwohl die meisten der gängigen Dating-Plattformen in ihren Standardfunktionen kostenlos sind. Die Einnahmen werden durch Werbung und durch werbefreie Premium-Abos mit Zusatzfunktionen generiert. M. Ö.
Schattenseiten. Online-Plattformen können die Partner:innensuche erleichtern, aber sie sind mitunter mit Vorsicht zu genießen. „Es kommt gerade beim Online-Dating immer wieder zu schweren Betrugsfällen, wo Menschen Geld an Kriminelle überweisen oder mit Nacktbildern erpresst werden“, warnt die Soziologin Barbara Rothmüller.
Laut einem Bericht des russischen Cybersicherheitsunternehmens Kaspersky aus 2021, für den 18.000 Personen aus 27 Ländern befragt wurden, gaben 31 Prozent an, von Betrüger:innen kontaktiert worden zu sein. 15 Prozent seien auf diese tatsächlich hereingefallen.
Ein anderes kritisches Thema ist mangelhafter Datenschutz. Die Internet-Softwareorganisation Mozilla untersuchte im Februar 2021 Dating-Apps auf ihre Datensicherheit. 21 von 24 untersuchen Applikationen bekamen die Bewertung „Privacy not included“.
Bei vielen Apps kann man sich direkt über einen bestehenden Social Media Account, etwa Facebook oder Instagram, registrieren. Durch diese Verknüpfung fließen automatisch viele Informationen aus den Sozialen Netzwerken in das Dating-Profil mit ein, darunter Fotos. Dabei werden oft Rechte zur Verwendung der eigenen Daten weitergegeben, ohne dass die Nutzer:innen das notwendigerweise merken.
Grindr soll etwa nach Angaben der norwegischen Forschungsorganisation SINTEF vertrauliche Daten, wie etwa den Standort oder den HIV-Status seiner Nutzer:innen, mit Marketingplattformen geteilt haben.
2021 wurde die Dating-App von der norwegischen Datenaufsichtsbehörde wegen Verstoßes gegen Datenschutzbestimmungen mit einer Strafe von umgerechnet 6,4 Millionen Euro belegt, weil sich das Unternehmen nicht an die Zustimmungsregeln für die Weiterleitung von persönlichen Daten in der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung gehalten habe.
Rassistische Vorlieben. Aber auch Diskriminierung und Rassismus machen vor der Online-Welt nicht halt (vgl. Interview in diesem Dossier auf Seite 32). Die deutsche Journalistin und Autorin Alice Hasters schreibt in ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen – aber wissen sollten“ zum Online-Dating: „Wir wollen gerne an der Vorstellung festhalten, dass alle gleiche Chancen haben, Partner:innen zu finden.“
Das sei aber nicht der Fall. Sie führt dazu eine Studie der Dating-Plattform OkCupid an, die zwischen 2009 und 2014 das Verhalten ihrer Nutzer:innen in Bezug auf Vorlieben bei der Partner:innenwahl in den USA untersuchte. Dabei stellte sich heraus, dass Schwarze Frauen und ostasiatische Männer am schlechtesten bewertet wurden und weniger Likes erhielten.
Hasters schreibt: „Wenn es um Dating geht, sind weiße Menschen, insbesondere weiße Männer frei von Stereotypen. Klischees über weiße Männer im Bett? Gibt es nicht. Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, wem wir diese ganzen Vorurteile zu verdanken haben.“ Es lohne sich die eigenen Dating-Muster kritisch zu hinterfragen. „Wenn alle vergangenen Partner:innen gleich aussahen – ob ausschließlich weiß oder eben nie weiß –, dann kann man sich doch einfach mal fragen, warum“, empfiehlt Hasters.
Keine neutralen Technologien. Hinzu kommt die Technologie: Hinter den Dating-Plattformen stecken algorithmische Systeme, die darauf programmiert sind, „die passenden“ Menschen zusammenzuführen. Je mehr Menschen darauf vertrauen, über die Plattform die Personen zu finden, die sie suchen, desto größer der Geschäftserfolg.
Die Juristin Victoria Guijarro Santos schreibt dazu in ihrem Text „It’s a match! Oder Rassismus?“ auf der Website des deutschen Alexander von Humboldt Instituts für Internet und Gesellschaft, dass die jeweiligen Algorithmen höchstwahrscheinlich den Nutzer:innen die Profile nach Erfolgswahrscheinlichkeit anzeigen. So könnten sich diskriminierende Muster in der Auswahl an potenziellen Partner:innen fortsetzen.
Entwickler:innen und Nutzer:innen agieren laut Guijarro Santos selbst in einer Realität, die von diskriminierenden Strukturen und Stereotypen geprägt ist. Diese setzt sich in der Online-Welt fort und könnte sich dabei sogar verstärken. Im Gegensatz zu rassistischen Äußerungen im echten Leben erhalten diese online eine höhere Reichweite. Sie sind länger abrufbar und für ein größeres Publikum sichtbar.
Trotz allem: Gäbe es keinen Rassismus im „echten Leben“, könnte er nicht im Netz fortgesetzt werden. Was mit Online-Dating-Plattformen aber erschaffen wurde, sind neue Möglichkeiten, Partner:innen zu suchen und zu finden. Und manchmal, wie im echten Leben auch, mit Happy End.
Milena Österreicher ist freie Journalistin und Übersetzerin für Portugiesisch und Spanisch. Online-Dating hat sie auch schon selbst ausprobiert.
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