Der so genannte Clean Development Mechanism (CDM) aus dem Kyoto-Protokoll soll nicht nur das Klima schützen, sondern auch eine nachhaltige Entwicklung im Süden fördern. Hohe Erwartungen, die nur bis zu einem gewissen Grad auch erfüllt werden, wie das Ergebnis einer neuen Feldstudie in Brasilien zeigt.
In den letzten Verhandlungsstunden des Weltklimagipfels 1997 wurde auf Vorschlag Brasiliens und den USA ein flexibles Instrument ins Kyoto-Protokoll eingebaut, das ermöglichen soll, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen (siehe SWM 3/2009, S. 35): Mit dem Clean Development Mechanism (CDM) leistet der Süden einerseits einen kostengünstigen Beitrag für die Emissionsreduzierung des Nordens, andererseits wird damit ein Finanztransfer vom Norden für eine nachhaltige Entwicklung im Süden bewirkt. Auf Letzteres hoffte zumindest die Gruppe der ursprünglich 77 Entwicklungsländer (G 77), als sie in der japanischen Kaiserstadt ihre Zustimmung gab. Einen einheitlichen Qualitätsstandard für nachhaltige Entwicklung lehnten viele VertreterInnen des Südens ab, indem sie sich auf nationale Souveränität beriefen. Das ist zwar im Sinne des Rechts auf eigenständige Entwicklung stimmig. Doch liegt darin auch die Gefahr, dass ambivalente Kriterien zur Beurteilung von Nachhaltigkeit herangezogen werden sowie ein Wettbewerb nach unten in Gang gebracht wird.
Potenziell erstrecken sich die positiven Wirkungen des CDM – direkt und indirekt – über eine große Bandbreite. Eine Ende 2007 veröffentlichte Studie zeigte, dass der neue Strom an Direktinvestitionen im Rahmen des CDM zu 39 Prozent mit einem nachweisbaren Technologietransfer verbunden ist. Ferner seien 56 Prozent dieser Projekte an einen gleichzeitigen Wissenstransfer gekoppelt.
Der CDM trägt dazu bei, den Ausstoß an Treibhausgasen global zu reduzieren, diversifiziert die Energieversorgung im Gastland, verbessert die Stromversorgung und mindert die Abhängigkeit von Energieimporten. Als weiteres Plus werden damit Arbeitsplätze geschaffen, die Kontamination von Boden und Wasser wird gemindert, was wiederum die gesundheitliche Risiken für die lokale Bevölkerung verringert.
Diese Wirkungen sind jedoch ungleich über den Süden verteilt. Ende September 2008 waren 3.981 CDM-Projekte im Laufen, davon 80 Prozent in nur fünf Ländern: Brasilien belegt mit 318 Projekten, nach China und Indien, den dritten Platz. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Hauptsächlich ergibt sich die Asymmetrie aber daraus, dass der Finanztransfer aus dem Norden zu 90 Prozent erst im Nachhinein passiert, wenn das Projekt bereits existiert. Erst durch den Verkauf von Zertifikaten (CERs) aus CDM-Projekten gelangt neues Kapital in den Süden. Die Investitionen müssen folglich aus dem Gastland selbst kommen. Hierfür besitzen nur bestimmte Schwellenländer die finanzielle Kapazität. Das Investitionsrisiko und die Transaktionskosten trägt also der Süden – der Norden kauft bei geringerem Risiko und größerer Kosteneffizienz auf. Die zentralen Ursachen des Klimawandels werden so kaum berührt. Für den Norden geht der hoch mobile, ressourcenintensive Lebensstil weiter. In Hinblick auf Klimagerechtigkeit ist aber die Frage wichtig: Was erhält der Süden als Gegenleistung? Eine nachhaltige Entwicklung?
Diese Fragen wurden in einer qualitativen Feldstudie anhand von vier Projekten in Brasilien konkret untersucht. Der Rahmen dafür war eine Diplomarbeit an der Universität Wien. Die zentrale Frage: Unterstützt der CDM das Land dabei, einen nachhaltigen Entwicklungsweg zu beschreiten? Das Ergebnis vorneweg: Es ergibt sich ein Bild aus Licht und Schatten. Der CDM ist eine freiwillige Maßnahme, zu der das Gastland sein Einverständnis geben muss. In Brasilien wurde zu diesem Zweck eine interministerielle Kommission (CIMGC) gebildet, die alle zwei Monate tagt. Bevor die RepräsentantInnen der elf Ministerien über die eingereichten Anträge entscheiden, werden die Projekte in Bezug auf die Einhaltung der brasilianischen Gesetzgebung und die „Zusätzlichkeit der Aktivitäten“ geprüft. Dies ist das wichtigste Kriterium dafür, dass eine Initiative als CDM-Projekt genehmigt wird.
Ferner muss der Betreiber dokumentieren, welchen nachhaltigen Entwicklungsbeitrag das Projekt für Brasilien leisten wird. Hierbei sollen fünf Bereiche abgedeckt werden. Der Antragsteller beschreibt die Auswirkungen auf das lokale Ökosystem, auf die Arbeitsbedingungen bzw. die Schaffung von Arbeitsplätzen, die Einkommensverteilung sowie auf die die technologische Entwicklung und bezüglich der Integration in die regionale Wirtschaft. Über diesen Beitrag wird in der Kommission abgestimmt. Fällt die Entscheidung positiv aus, kann das Projekt dem CDM-Exekutivrat in Bonn zur Registrierung weitergereicht werden.
Die Forschungsarbeit konzentrierte sich vor allem darauf, wie sich die Lebensgrundlagen der Angestellten der ausgewählten Projekte sowie in den umliegenden Gemeinden verändert hatten. Mittels Interviews und Fragebögen wurde die nachhaltige Entwicklungswirkung des CDM erhoben. Die mehrmonatige Feldforschung brachte folgende Erkenntnisse: Die Effektivität der interministeriellen Kommission ist stark von den Forderungen der lokalen staatlichen Organe und der Zivilgesellschaft abhängig. Daher sind die lokale Kenntnis sowie die Einbindung und Kommunikation der Projekte essenziell für einen ambitionierten Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung. Aus den Interviews mit Repräsentanten der Kommission wurde ferner ersichtlich, dass Brasilien keine Projekte wegen eines zu geringen nachhaltigen Entwicklungsbeitrages ablehnt.
Dies sollte nachdenklich stimmen. Die Lebenssituation in den Orten, wo sich der CDM etabliert, kann also äußerst prekär sein, wie das Beispiel der Mülldeponie in Belém belegt. Dies führt nicht zu zwingenden Verpflichtungen seitens des Projektinhabers oder Käufers von Zertifikaten. Der Norden schreibt seine Luxusemissionen ab, ohne im Gegenzug in den lokalen Gemeinden für soziale Besserstellung und Stabilität sorgen zu müssen. Die Bevölkerung Brasiliens wird auch nicht adäquat oder garantiert dafür entschädigt, dass sie den Klimawandel früher und intensiver als der Norden zu spüren bekommt.
Sehr zwiespältige Resultate werden auch bei der Einkommensschaffung erzielt. Während bei der Implementierung der Projekte Arbeitsplätze entstanden, bieten die untersuchten Projekte im Verhältnis zu den Investitionen kaum Arbeitsperspektiven. Die Studie schlussfolgert daher, dass die Überprüfung der nachhaltigen Entwicklungswirkung in Brasilien lediglich ein bürokratischer Akt ist. Die Kriterien sind sehr allgemein gehalten. Qualitative oder quantitative Bezugsgrößen fehlen. Ob sie der Projektbetreiber korrekt darstellt, wird von der Kommission CIMGC nicht kontrolliert.
Trotz dieser vielfach bedenklichen Einsichten muss man die CDM-Projekte in Brasilien differenziert beurteilen. Es gibt auch positive Auswirkungen in Bezug auf nachhaltige Entwicklung.
In Bezug auf nachhaltige Entwicklung wirkt die ökologische Säule beim CDM am stärksten.
Die Prüfung der Projekte durch die CIMGC stärkt die Arbeits- und Umweltgesetzgebung Brasiliens. Allerdings fördert der CDM auch ökonomisch unrentable und gesetzlich nicht geforderte Praktiken wie z. B. das Auslegen und Abdecken von Deponien mit PVC-Planen oder die Installierung einer vierten Turbine in einem Wasserkraftwerk, die nur in den regenreichen Monaten Energie liefert. Der CDM unterstützt die Bildung einer neuen ökonomischen Infrastruktur. In den unterschiedlichsten Sektoren entstehen Wettbewerbsvorteile, eine treibende Kraft für den Klimaschutz, die zur Nachahmung einlädt.
Weil nur wenige direkte und dauerhafte Arbeitsplätze geschaffen werden, bleiben die ökonomischen Gewinne zumeist auf den Projektbetreiber, einige Beratungsunternehmen, den Zertifikathandel und die Technologieindustrie beschränkt. Die soziale Dimension ist am wenigsten ausgebildet und wird nicht systematisch berücksichtigt.
Die soziale Integration des CDM ist in Brasilien weder institutionell abgesichert noch im Sinne von Klimagerechtigkeit angemessen verwirklicht. Das kann sich nur ändern, wenn der CDM auf die lokalen, langfristigen Lebensgrundlagen eingeht und die nachhaltige Entwicklungswirkung nicht nur im schriftlichen Antrag, sondern kontinuierlich während des gesamten Projektes von einer unabhängigen Instanz vor Ort geprüft wird. Dabei müssen die lokalen Interessengruppen bei der Planung und Durchführung der Projekte eingebunden werden, was bisher nur marginal geschieht.
Ein positives Signal kommt von der brasilianischen Nichtregierungsorganisation Instituto Ecológica. Sie hat den so genannten Social Carbon Standard für Klimaprojekte entwickelt. Er soll sicherstellen, dass Projekte partizipativ gestaltet werden und durch die aktive Mitarbeit der lokalen Gemeinde auf die örtlichen Lebensgrundlagen zugeschnitten werden.
Nun liegt es wieder am Norden: Er entscheidet, ob für den Kauf von Zertifikaten die soziale Integration oder der Preis die wichtigere Rolle spielen.
Carsten Rothballer studierte Volkswirtschaft und Politikwissenschaften in Pavia, Italien und Salvador, Brasilien. 2008 schloss er sein Studium der Internationalen Entwicklung an der Universität Wien ab.