Lesestoff: Emanzipation und Versenkung

Von Doris Schrenk · · 2023/Mar-Apr

Sozialkritische Romane aus Haiti, Sri Lanka und Senegal – verschollen geglaubt und neu übersetzt.

Die Emanzipation der jungen Lotus Degrave steht im Zentrum des Romans Töchter Haitis von Marie Vieux-Chauvet (Manesse Verlag, München 2022, 288 Seiten, € 28,80). Er ist bereits 1954 erschienen und liegt nun erstmals in einer von vielen gelobten deutschen Übersetzung vor. Der Verlag hat sich eingehend mit dem „kolonialen Sprechen in postkolonialen Zeiten“ beschäftigt. Das schlägt sich im Editorial, in zahlreichen Fußnoten, Anmerkungen und einem Glossar nieder.

In der ersten Hälfte des Romans wird die bourgeoise Lebenswelt von Lotus Degrave Anfang der 1940er Jahre geschildert. Die Begegnung mit dem jungen Revolutionär Georges Caprou öffnet ihr die Augen für die sozialen Ungerechtigkeiten im Land.

Präzise skizziert Vieux-Chauvet (1916-1973) die gesellschaftliche Wirklichkeit Haitis, die von gegenseitigem Neid und Verachtung der Klassen geprägt war – und zwischen 1957 bis 1971 von der Herrschaft des Diktators François Duvalier. Die Diktatur zwang die Autorin schließlich ins Exil nach New York, wo sie zur Ikone der modernen haitianischen Literatur avancierte.

In Anuk Arudpragasams Roman Nach Norden (Hanser Berlin, Berlin 2022, 319 Seiten, € 25,70) fährt der junge Tamile Krishan zu einem Begräbnis von der Hauptstadt Colombo in den vom Bürgerkrieg zerrütteten tamilischen Norden Sri Lankas. Die Zugreise wird zur Reflexion seiner Liebe zu der feministischen Aktivistin Anjum und der brutalen Geschichte seines Landes.

Behutsam nähert sich der in Colombo geborene, junge Autor (Jahrgang 1988) der Geschichte des Bürgerkriegs in Sri Lanka und versucht mit seiner Prosa, mit dem Leben nach der Zerstörung zurechtzukommen.

Die Entdeckung eines verschollen geglaubten Skandalbuchs und die Suche nach dessen Autor stößt die Handlung von Mohamed Mbougar Sarrs Roman Die geheimste Erinnerung der Menschen (Hanser Verlag, München 2022, 448 Seiten, € 27,80) an. In erfrischend frechem Ton stellt der französisch-senegalesische Schriftsteller Fragen nach Identitäten und den Folgen des Kolonialismus. Nebenbei kritisiert er den Pariser Literaturbetrieb, spielt gekonnt mit den literarischen Gattungen und wird vom Feuilleton gefeiert. Als erster Schriftsteller aus dem subsaharischen Afrika erhielt der 1980 geborene Sarr dafür 2021 den prestigereichen Prix Goncourt. Es ist zu hoffen, dass er nicht in der Versenkung verschwindet, wie es dem Autor in seinem Roman passiert, zumal diese Kriminalgeschichte auf einer wahren Begebenheit beruht.

Doris Schrenk ist Buchhändlerin in der Südwind Buchwelt in 1090 Wien.

Diese Bücher und noch viele mehr erhalten Sie in beiden Filialen in Wien bzw. im Onlineshop:
suedwind-buchwelt.at

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen