70-Jahr-Jubiläum: Es braucht eine konstruktive Auseinandersetzung mit der Genfer Flüchtlingskonvention.
Vorbild Österreich: „Die Welt braucht ein Land wie Österreich, das Flüchtlinge aufnimmt.“ In diesem gesellschaftlichen und politischen Wertehorizont bin ich im vergangenen Jahrhundert in Österreich aufgewachsen. So waren Menschen – wenn auch sehr wohl gegen Widerstände – etwa aus Ungarn (1966), der Tschechoslowakei (1968), Chile (1973), Polen (1979), ja auch aus Vietnam (1980), die aus politischen Gründen flüchten mussten, willkommen. Nicht nur für mich gehörte es zu den guten Seiten von Österreich – in einer autoritären Zeit mit erheblichen Defiziten an Gleichheit, Humanität und Demokratie. Die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen und für sie zu sorgen, war keiner internationalen Verpflichtung geschuldet, sondern einer Art Selbstverpflichtung oder Selbstanspruch.
Wenn ich heute an dieses Österreichbewusstsein, „Ein Land, das Flüchtlinge aufnimmt“, erinnere, werde ich aufmerksam gemacht, dass zu viele auf die Frage: „Wozu braucht die Welt Österreich?“ jetzt antworten: „Wozu braucht Österreich die Welt!“ Die politisch geförderte Atmosphäre „Wir haben schon genug getan!“ soll rechtlich verpflichtende Normen zur Einhaltung humaner Standards aushöhlen.
Reflektion nötig. Eine österreichische Menschenrechtskonvention (ÖMK) als Ersatz für die Europäische Menschenrechtskonvention (EMK) stellte die FPÖ bereits im Wahlprogramm für die Nationalratswahl 2017 in Aussicht. Konsequenterweise wollte Herbert Kickl als Innenminister die Regeln der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention als nicht mehr zeitgemäß übergehen. Für ihn seien das „irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele, viele Jahre alt, aus ganz anderen Situationen heraus entstanden“.
Doch Kickl hat in einem Punkt Recht, es braucht eine Auseinandersetzung über die Genfer Konvention: Das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“, so der korrekte Name der Genfer Flüchtlingskonvention, wollte den zahlreichen Flüchtlingen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg und mitten im Kalten Krieg persönliche Schutzrechte geben und das „Recht im Asyl“ normieren. Damals war Bedrohung aufgrund des Geschlechts kein anerkannter Fluchtgrund, was mittlerweile faktisch berücksichtigt wird.
Doch die GFK ist nicht pauschal auf Kriegsflüchtlinge anwendbar, wie auch durch Naturkatastrophen, Umweltveränderungen bis hin zur Klimaerhitzung ausgelöste Fluchtbewegungen durch die Konvention nicht erfasst sind.
Wichtige Funktion. Aber 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention sind bei all ihrer Reformbedürftigkeit ein Grund zur Freude. Sie erfüllt wie alle internationalen Menschenrechtskonventionen die Funktion einer Leitschiene, Staaten und Gesellschaften vor dem Abgleiten, ja dem Absturz in die Unmenschlichkeit zu bewahren, indem sie die Rechte von Flüchtlingen sichert. An ihnen rütteln etwa homophobe Parteien und versuchen, sie frontal zu beseitigen. Denn auch sie wissen, dass der Umgang mit Flüchtlingen und die Wertschätzung Geflüchteter zentrale Indikatoren für die gelebte Humanität einer Gesellschaft sind.
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