Nach zehnjährigem Bürgerkrieg in Sierra Leone wurden im Mai erstmals wieder Wahlen abgehalten. Anlass zur Hoffnung auf Frieden für die ganze Region?
Nach der umstrittenen Stationierung der Friedenstruppe ECOMOG durch die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft in Sierra Leone führte ein von der UNO vermitteltes Friedensabkommen im Februar 1996 zu Wahlen, aus denen Ahmed Tejan Kabbah von der bislang oppositionellen Sierra Leone People’s Party (SLPP), ein ehemaliger Beamter des UNDP, als Sieger hervorging. Die Rebellen der RUF boykottierten jedoch die Wahl und hielten sich nicht an die vereinbarte Waffenruhe, woraufhin der neu gewählte Präsident begann, verfassungsmäßig nicht vorgesehene Milizen (Civil Defence Forces) aufzustellen, die sich in vielen Landesteilen bald zu einem schwer kontrollierbaren Faktor entwickelten.
Schon ein Jahr später wurde Kabbah in einem blutigen Militärputsch von Oberstleutnant Johnny Paul Koroma gestürzt, der in der Folge mit der RUF eine gemeinsame Regierung bildete, welche jedoch international geächtet blieb. Schließlich vertrieb ECOMOG die Junta gewaltsam aus Freetown und setzte Präsident Kabbah wieder ein.
Die bewaffneten Auseinandersetzungen hielten an, bis die Regierung und RUF am 7. Juli 1999 in der togolesischen Hauptstadt Lomé ein umfassendes Friedensabkommen unterzeichneten. Dieses enthielt als Kernpunkte die Entwaffnung und Demobilisierung aller Kombattanten und die Restrukturierung der Streitkräfte, die Einsetzung einer Regierung der nationalen Einheit unter Beteiligung der RUF, die Umwandlung der RUF in eine politische Partei sowie eine Generalamnestie für alle Kombattanten. Zur Überwachung des Abkommens setzte der UNO-Sicherheitsrat eine Friedensmission (United Nations Assistance Mission in Sierra Leone, UNAMSIL) ein, welche die ECOMOG-Truppe ablösen sollte.
Anfang Mai 2000 spitzte sich die Lage erneut zu, als Rebellen der RUF 500 Blauhelme als Geiseln nahmen und noch einmal versuchten, die Hauptstadt zu überrennen. Diesmal konnten sie nur durch eine kurze, aber massive Intervention eines britischen Expeditionskorps vertrieben werden. Heute ist UNAMSIL weltweit die größte Friedensmission der Vereinten Nationen.
Die Bilanz des Krieges ist erschreckend: Zehntausende Tote und Verstümmelte, eine völlig zerstörte Infrastruktur, traumatisierte Menschen, eine darniederliegende Wirtschaft, hunderttausende Flüchtlinge und Vertriebene.
In den vergangenen Monaten hat Sierra Leone jedoch große Fortschritte auf dem Weg zur Normalisierung gemacht: Der Waffenstillstand wird eingehalten. UNAMSIL hat nach eigenen Angaben Mitte Jänner die Entwaffnung aller Kombattanten abgeschlossen. Die Rückkehr der Flüchtlinge (vor allem aus Guinea) und intern Vertriebenen geht zügig und ohne nennenswerte Zwischenfälle voran. Der Regierung gelang es, ihre Autorität über das gesamte Land auszudehnen. In allen Distrikten begannen staatliche Verwaltung, Polizei und Gerichtsbarkeit, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen. Am 1. März hob Präsident Kabbah den Ausnahmezustand auf. Damit waren die Voraussetzungen für die Abhaltung der Präsidenschafts- und Parlamentswahlen geschaffen. Die Wahlen verliefen friedlich und – wie über 150 internationale BeobachterInnen bestätigten – ohne grobe Unregelmäßigkeiten.
Das Ergebnis des Urnengangs: Der amtierende Präsident Ahmed Tejan Kabbah (SLPP) erreichte 70%, sein stärkster Konkurrent Ernest Koroma (APC) 22%. Der ehemalige Putschist Johnny Paul Koroma konnte zwar nur 3% der Stimmen auf sich vereinigen, zu denken geben sollte jedoch, dass eine deutliche Mehrheit innerhalb der Streitkräfte für ihn votierte. Die Partei der RUF erlitt mit 1,7% eine deutliche Abfuhr.
Der friedliche Verlauf der Wahl und die Akzeptanz des Ergebnisses sind zwar ein ermutigendes Zeichen, können aber nur einen ersten Schritt in Richtung Stabilisierung des Landes darstellen. Zwar erscheint im Augenblick (zumindest solange UNAMSIL vor Ort ist) ein Wiederaufflammen des Bürgerkrieges sehr unwahrscheinlich, trotzdem gibt es eine ganze Reihe von Risikofaktoren, insbesondere die Wiedereingliederung ehemaliger Kombattanten in die Gesellschaft. Auch die Aufarbeitung der Vergangenheit wird ein schmerzvoller und langwieriger Prozess: Die Idee einer Generalamnestie ist seit der Verhaftung Foday Sankohs hinfällig. Ein Sondergerichtshof für die Drahtzieher der Menschenrechtsverletzungen sowie eine Wahrheits- und Versöhnungkommission sollen demnächst ihre Tätigkeit aufnehmen.
Ein Hauptfaktor für eine Rückkehr zur Normalität wird zweifellos sein, ob sich die Wirtschaft in absehbarer Zeit erholt. Durch den Bürgerkrieg kam der legale Abbau von Bodenschätzen praktisch zum Erliegen. Dagegen verdienten sich einheimische Warlords und korrupte Politiker durch die illegale Ausfuhr von Diamanten und Gold eine goldene Nase. Über den Wert der in Sierra Leone gefundenen Diamanten gibt es kaum verlässliche Zahlen. Schätzungen sprechen davon, dass 1999 Diamanten im Wert von 70 Mio. US-Dollar exportiert wurden, wovon freilich nur 1,5 Mio. offiziell deklariert und versteuert wurden. Die Regierung versucht jetzt, ein effektives Regime für den Abbau und die Verwertung von Diamanten einzuführen.
Die größte Gefahr für den Friedensprozess kommt freilich von außen, denn der Bürgerkrieg in Sierra Leone besitzt eine starke regionale Dimension. In den 90er Jahren kämpften auch Staatsbürger von Sierra Leone und Guinea an der Seite von Charles Taylor, der schließlich 1997 mit großer Mehrheit zum Präsidenten Liberias gewählt wurde. Diese Verbündeten versuchten in der Folge mit Unterstützung Taylors, die Macht in ihren Heimatstaaten an sich zu reißen. Die vom Sicherheitsrat gegen Liberia verhängten Sanktionen haben bisher nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Deshalb unterstützt insbesondere die Regierung Guineas eine Rebellenbewegung in Liberia, welche aber außer dem Sturz von Charles Taylor kein erkennbares politisches Programm besitzt. Nach dem Friedensabkommen von Lomé haben sich überdies Hunderte Kombattanten aller Lager nach Liberia abgesetzt, wo sie jetzt auf der einen oder anderen Seite kämpfen. Die neuerlichen Gefechte in Liberia haben mehr als 20.000 LiberianerInnen veranlasst, über die Grenze nach Sierra Leone zu fliehen. Ob die zuletzt unter internationaler Vermittlung versuchte Wiederbelebung der Mano River Union – ein ursprünglich auf wirtschaftliche Integration gerichteter Zusammenschluss der drei Staaten Liberia, Sierra Leone und Guinea – eine friedliche Lösung des Konflikts ermöglichen wird, muss bezweifelt werden.
Die Beruhigung der Situation in Liberia ist und bleibt jedenfalls neben der geregelten Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Schlüssel zur Stabilisierung Sierra Leones und der ganzen Region.
Peter Hazdra ist Jurist und Ethnologe. Er arbeitet als Forscher im Bereich Friedenssicherung und Konfliktmanagement an der Landesverteidigungsakademie in Wien und war im Mai 2002 als Wahlbeobachter der EU in Sierra Leone.
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