Der karibische Dichter und Politiker Aimé Césaire, Stimme der Négritude-Bewegung, ist gestorben. Eine Würdigung von Beate Hammond.
Mit dem Tod Aimé Césaires verstummt die Stimme eines Vorreiters des schwarzen Selbstbewusstseins, kämpferischen Dichters und glänzenden Rhetorikers. Césaire wird 1913 als Sohn des Steuerinspektors Fernand Césaire und seiner Frau Eléonore, einer Näherin, geboren und wuchs in Basse-Pointe im Norden Martiniques auf. Im Elternhaus wird Bildung groß geschrieben. Die Großmutter bringt den Kindern Lesen bei, bevor sie das schulpflichtige Alter erreichen, der Vater macht sie mit den Werken französischer Klassik vertraut. Aimé ist begabt, und so wird er mit elf Jahren von der Provinz in die Hauptstadt Fort-de-France geschickt, um dort das einzige Gymnasium der Insel, das Lycée Schœlcher, zu besuchen. Der französische Politiker Viktor Schœlcher setzte als Senator von Martinique und Guadeloupe 1848 die Sklavenbefreiung durch. Doch an die einst Versklavten, die auch für die Sache kämpften, erinnert kein Monument. Ein Césaire, ein Vorfahre Aimés, wurde während der Julimonarchie hingerichtet, weil er für einen Sklavenaufstand verantwortlich war. Wir sind Kämpfernaturen, sagt man in der Familie. Doch vorerst wird studiert.
1931 geht Césaire nach Paris, um erst am renommierten Lycée Louis le Grand und dann an der Ecole Normale Supérieure seine Studien zu vollenden. Wie sein Großvater Fernand Césaire wird er Lehrer werden. Sein Pariser Freundeskreis besteht unter anderem aus seinem Schœlcher-Schulkameraden Léon-Gontran Damas und dem senegalesischen Studenten Léopold Sédar Senghor. Sie lesen Werke von Langston Hughes und anderen Vertretern der Harlem Renaissance und diskutieren unablässig über Afrika und die Welt. 1934 gründen sie die Zeitschrift L’étudiant noir (übers. „Der schwarze Student“) und schaffen damit mehr als ein eigenständiges Medium. Es ist der Beginn der négritude, des afrikanischen Selbstbewusstseins. Schwarze Menschen entscheiden selbst über ihre Berufung und lehnen Fremdbestimmung und Fremddefinition ab. Bis heute ist dieser Wunsch nach Selbstbestimmung ein treibendes Motiv bei vielen schwarzen Initiativen in Europa. Ein weiteres wichtiges Kennzeichen ist das Bekenntnis der Diaspora zu Afrika. Die afrikanische Renaissance nimmt der Region den Makel der angeblichen Kulturlosigkeit, die sie als ein aus europäischem Herrscherwillen geborenes Konstrukt entlarvt, wie Césaire in seinem Gedicht „Afrika“ schreibt:
„Afrika deine Sonnentiara schlugen sie dir mit dem Krummstab über die Ohren,
haben sie in ein Halseisen verwandelt; deiner Sehkraft
haben sie die Augen gebrochen, der Unzucht preisgegeben deine keuschen Züge,
in den Maulkorb gezwängt und gesagt sie sei guttural
deine Stimme die in Schweigen der Schatten sprach.“
(übersetzt von Janheinz Jahn)
Zurück in Martinique, lehrt Césaire an seiner alten Schule, dem Lycée Schœlcher, Literatur. Doch neben den Klassikern unterweist er seine SchülerInnen, zu denen Frantz Fanon gehört, in moderner Poesie und Afrika. Seine Lehrtätigkeit ist der Vichy-Regierung ein Dorn im Auge, und nur der Einsatz der Eltern seiner SchülerInnen bewahrt ihn vor der Entlassung. Die Zeitschrift Tropiques, die Césaire mit seiner Frau Suzanne Roussy 1941 gegründet hatte, fällt der Vichy-Zensur 1943 endgültig zum Opfer.
Nach Ende des Krieges 1945 wird Césaire Politiker und auf Anhieb zum Bürgermeister von Fort-de-France gewählt. Er wird auch Abgeordneter der französischen Nationalversammlung und treibende Kraft der départementalisation, die Guyana und die Karibik-Inseln Guadeloupe, Martinique und Réunion zu gleichberechtigten Teilen Frankreichs macht. Er schreibt weiter. „Mein Mund sei der Mund des Missgeschicks, das keinen Mund hat; meine Stimme sei die Freiheit der Stimmen, die dahinwelken im Verlies der Verzweiflung“, sagt er im Gedichtband „Zurück ins Land der Geburt“. Jean-Paul Sartre schreibt über seine Lyrik: „Ein Gedicht von Césaire schießt empor und dreht sich um sich selbst wie eine Rakete, Sonnen gehen daraus hervor und kreisen und explodieren zu neuen Sonnen.“
Lesenswert ist auch Césaires Drama „Ein Sturm“, inspiriert vom gleichnamigen Stück William Shakespeares. Césaire verlegt die Handlung nach Haiti und lässt die zwei Hauptfiguren, zwei schwarze Sklaven, eloquent darüber streiten, ob der Weg zur Freiheit am besten erkämpft oder verdient wird. Wenn man nicht der Stärkere ist, lohnt sich der Kampf nicht, sagt der eine. Deine Fügsamkeit, Onkel Toms Geduld und Speichelleckerei habe den Burschen nur noch despotischer gemacht, erwidert der andere. Besser kann man es kaum ausdrücken.
Werke Aimé Césaires in deutscher Übersetzung:
Notizen von einer Rückkehr in die Heimat.
Verlag Matthes & Seitz 2008 (Neuübersetzung von Zurück ins Land der Geburt. Insel Verlag 1962)
Jede Insel ist Witwe. Verlag Volk und Welt 1989
Gedichte. Carl Hanser Verlag 1987
Ein Sturm. Wagenbach 1970
Über den Kolonialismus. Wagenbach 1968
Im Kongo. Wagenbach 1966
Sonnendolche. Wolfgang Rothe Verlag 1956.
Beate Hammond lebt als Autorin in Wien.