Megacities sind ein breites Forschungsgebiet. Martin Coy, Professor am Institut für Geographie der Universität Innsbruck, legt einen seiner Schwerpunkte auf Nachhaltigkeit in städtischen und ländlichen Siedlungsräumen. Mit ihm führte Brigitte Pilz ein Interview per E-Mail.
Südwind-Magazin: 2050 soll es weltweit rund 150 Megacities, das heißt Städte mit mehr als zehn Millionen Menschen geben. Was ist von diesen Vorhersagen zu halten?
Martin Coy: Grundsätzlich sind Prognosen immer mit einem gewissen Vorbehalt zu betrachten. Der Trend ist aber klar – und als solcher besorgniserregend. Es zeigt sich bei einer Rückschau auf die vergangenen Jahrzehnte, dass in Zukunft auf jeden Fall eine Fortsetzung des Stadtwachstums in Asien und auch in Afrika stattfinden wird. In Lateinamerika lässt sich – nach Ländern unterschiedlich – eine gewisse Stabilisierung beobachten. Trotz aller Dringlichkeit des Megastadtwachstums sollte aber nie vergessen werden, dass kleine und mittlere Städte in vielen Ländern des globalen Südens ein besonders dynamisches Wachstum zu verzeichnen haben. Und sie sind oftmals durch die damit in Zusammenhang stehenden Aufgaben besonders überfordert.
Wie kann man in einer Stadt mit mehr als zehn Millionen Menschen überhaupt gesamtstädtisch planen?
Es gibt eine Vielzahl von Aufgaben, bei denen es unbedingt einer Koordinierung auf der Ebene der gesamten Stadt bedarf. Genau darin besteht ja auch bei uns oftmals ein großes Defizit. In vielerlei Hinsicht geht es aber darum, unterschiedliche Ebenen zu definieren, auf denen nicht von oben diktiert, sondern im Dialog mit den jeweiligen Betroffenen Lösungsansätze zu suchen sind.
Die Motoren des Stadtwachstums sind vielfältig. Auch die Faktoren einer in den meisten Fällen zu beobachtenden innerstädtischen Differenzierung von Wachstum und Stagnation sind es. Damit sind unterschiedliche Problemlagen verbunden, die spezifische Antworten erfordern. Diese müssen in ein übergeordnetes Konzept eingebettet sein.
Was ist für eine zukunftsfähige Riesenstadt unerlässlich?
Zukunftsfähige Städte müssen lebenswerte Städte sein, und zwar lebenswert für alle. Das ist natürlich eine Utopie, aber zur Orientierung sind Utopien auch wichtig. Ich glaube nicht, dass man „einfach“ Schwellenwerte und Kennzahlen definieren kann, die universell angeben, was eine Stadt zukunftsfähig macht. Es geht darum, Menschen in den Städten eine Zukunft aufzuzeigen. Dazu ist es notwendig, die jeweiligen Verwundbarkeiten, die ja nach sozialen Gruppen völlig unterschiedlich aussehen, zu berücksichtigen und zu verringern.
Wie sollten städtische Verwaltung und Planung mit Bürgerbeteiligung und Bottom-up-Initiativen, also solche von der Basis her, sinnvoll verzahnt werden?
Gerade in südamerikanischen Städten gibt es mit der lokalen Umsetzung von Bürgerbeteiligung einen vielfältigen Erfahrungsschatz. Top-down-Ansätze müssen nicht in allen Fällen von Übel sein. Allerdings sind Megastädte so vielfältige Organismen, dass mit unterschiedlichen Konzepten und Wegen an Problemlösungen herangegangen werden muss, die auch von politischen Rahmenbedingungen und soziokulturellen Kontexten abhängig sind. Die Probleme der Städte ohne maßgebliche Beteiligung der Betroffenen lösen zu wollen, ist aber eine Vorstellung, die schon seit Langem zum Scheitern verurteilt ist.
Wie ist das Konzept der „Smart City“ – der intelligenten zukunftsfähigen Stadt mit neuem Energie- und Mobilitätssystem sowie nachhaltigem Wirtschaften – in armen Megacities umsetzbar?
Wenn unter dem „Smart City“-Konzept – wie schon so oft in früheren Zeiten – ein vorgefertigter „Werkzeugkasten“ von Instrumenten und Maßnahmen verstanden wird, in dem es sich vermeintlich nur zu bedienen gilt, dann würde ich eher schwarz sehen. Anpassung, lokale Lösungen, Vielfalt sind meiner Ansicht nach wesentliche Kriterien auf dem Weg zu einem bunten Strauß von „Smart City“-Konzepten. Diese dann im Dialog miteinander zu vergleichen und nicht einfach „übertragen“ zu wollen, das kann sehr wohl Sinn machen. Auch hierzu gibt es bereits vielfältige Beispiele im Süd-Süd-Dialog, aber auch im Süd-Nord-Dialog. Vielleicht sollten wir ohnehin die Süd-Nord-Dimension viel stärker beachten.
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