Lateinamerikas Bahnrenaissance

Von Erhard Stackl · · 2023/Mai-Jun
Brasilien, São Paulo: Das Nahverkehrsmittel Bahn ist in großen Städten begehrt. Bei Überlandreisen dominieren in Lateinamerika Busse und Flugzeuge. © Cris Faga / Zuma / picturedesk.com

Ehrgeizige Pläne quer über einen Kontinent. Der immense Kapitalbedarf kann bei ihrer Realisierung noch eine gewaltige Hürde sein.

Ein Skelettfund brachte Mexikos ambitioniertestes Bahnprojekt international in die Nachrichten: den „Tren Maya“, der demnächst auf einer 1.500 Kilometer langen Strecke die Halbinsel Yucatán und mehrere Bundesstaaten bis Chiapas verbinden soll. Dort, bei den Ruinen der Maya-Metropole Palenque, entdeckten Anthropolog:innen im März auf der Bahntrasse eine präkolumbianische Grabkammer.

Trotz Bedenken von Umweltschützer:innen und Protesten von Indigenen, die Zwangsumsiedlungen befürchteten, hatte Präsident Andrés Manuel López Obrador das Projekt zur wirtschaftlichen Entwicklung Südost-Mexikos gestartet. Loks und Waggons (im Wert von rund drei bzw. einer Million Euro pro Stück) sollen in Mexiko selbst in Kooperation mit dem französischen Konzern Alstom produziert, Millionen Passagiere, vor allem Tourist:innen, ab 2024 mit 160 Stundenkilometern mit dem „Tren Maya“ befördert werden.

Titicaca-See nach Machu Picchu. Touristisch motiviert sind auch andere Bahnlinien in Lateinamerika. Am berühmtesten sind die Züge, die sich in Peru vom Titicaca-See bis zur Inka-Stadt Machu Picchu hoch durch die Anden schlängeln. Ansonsten ist es mit der alten Bahnherrlichkeit längst vorbei. So richtig begonnen hatte sie vor 150 Jahren, als vor allem britische Investoren Bahnverbindungen von Bergbaugebieten und agrarischen Zentren zu Exporthäfen errichteten. Nach und nach wurde über Gebiete von Nordmexiko bis Patagonien ein Schienennetz gelegt, auf dem auch Passagierzüge die großen Distanzen überwanden. Spätestens mit der neoliberalen Welle in den 1990ern wurden die Jahre zuvor verstaatlichten Bahnlinien privatisiert – und schließlich als unrentabel vielerorts eingestellt.

© SWM / Quelle: IPS / BBC News / Mayan Train Project / Railway Gazette

Jetzt rumpeln über ausgeleierte Schienen meist nur noch mit Rohstoffen schwer beladene Güterzüge. Die meisten Menschen fahren lieber im Bus. Hinausposaunten neuen Bahn-Projekten stehen laut einem Bericht von BBC Mundo zwei große Hindernisse entgegen: der chronische Kapitalmangel lateinamerikanischer Staaten und die verbreitete Korruption in Unternehmen und Verwaltung, die schon viele Pläne zum Scheitern brachte.

China sucht Abkürzung. Am lautesten propagierte man Bahnverbindungen von brasilianischen Häfen am Atlantik quer durch das Amazonasgebiet oder durch Bolivien bis zu Häfen in Peru oder Chile am Pazifik. China wäre an diesen „biozeanischen Korridoren“ besonders interessiert und investitionsbereit, weil sie seinen Transportschiffen mit alljährlich Millionen Tonnen brasilianischem Weizen und Soja den weiten Umweg durch den Panamakanal im Norden oder um das Kap Hoorn im Süden ersparten.

Auch diese Pläne stießen auf harte Kritik von Schützer:innen des Regenwalds und der Rechte indigener Völker. Zum Stillstand gebracht wurde das am weitesten gediehene Projekt eines viele Milliarden teuren „Tren Bioceánico“ vom Hafen Santos bei São Paulo durch Bolivien zum peruanischen Hafen Ilo allerdings unter Präsident Jair Bolsonaro. Jetzt, nach der Rückkehr Lulas an Brasiliens Staatsspitze, gehen die Planungen wieder los.

Neues Kapitel in Chile. Schon begonnen hat die neue Bahn-Ära in Chile. Kürzlich trafen die ersten in China produzierten, glänzenden modernen Lokomotiven und Waggons ein, die den 1885 noch vom Franzosen Gustave Eiffel geplanten Zentralbahnhof Santiagos in dreieinhalb Stunden Fahrt mit der 400 Kilometer entfernten Stadt Chillán im Süden des Landes verbinden. Die Loks verfügen (wie beim „Tren Maya“) über Diesel-Hybrid-Motoren, die den Zug antreiben und zugleich Batterien aufladen, mit denen er dann die Hälfte der Zeit elektrisch fahren kann.

Chiles seit einem Jahr regierender Linkspräsident Gabriel Boric kündigte neben diesem „schnellsten Zug Südamerikas“ noch weitere Bahnprojekte für Millionen Passagiere an. Einen angedachten „biozeanischen“ Bahnkorridor aus Brasilien, der im Hafen Coquimbo im Norden Chiles münden sollte, sagte er jedoch ab, um dort eine gefährdete, große Humboldt-Pinguinkolonie zu schützen.

Erhard Stackl ist freiberuflicher Autor und Journalist sowie Herausgebervertreter des Südwind-Magazins.

Basic

Berichte aus aller Welt: Lesen Sie das Südwind-Magazin in Print und Online!

  • 6 Ausgaben pro Jahr als Print-Ausgabe und/oder E-Paper
  • 48 Seiten mit 12-seitigem Themenschwerpunkt pro Ausgabe
  • 12 x "Extrablatt" direkt in Ihr E-Mail-Postfach
  • voller Online-Zugang inkl. Archiv
ab € 25 /Jahr
Abo Abschließen
Förder

Mit einem Förder-Abo finanzieren Sie den ermäßigten Abo-Tarif und ermöglichen so den Zugang zum Südwind-Magazin für mehr Menschen.

Jedes Förder-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

84 /Jahr
Abo Abschließen
Soli

Mit einem Solidaritäts-Abo unterstützen Sie unabhängigen Qualitätsjournalismus!

Jedes Soli-Abo ist automatisch ein Kombi-Abo.

168 /Jahr
Abo Abschließen