Lateinamerika und der Ukraine-Krieg

Von Tobias Lambert · ·
Venezolanischer roter Öltanker fährt unter einer Brücke hindurch
Wegen des Krieges in der Ukraine könnten die USA wieder venezolanisches Erdöl importieren © Wilfredor/ CC0 by Wikimedia Commons

Welche Auswirkungen der russische Angriff auf die Ukraine auf Politik und Wirtschaft auf den Subkontinent hat bzw. haben könnte.

Der Krieg in Europa spielt sich weit entfernt von Lateinamerika ab. Folgen zeigten sich im Unterschied zu anderen Regionen,  allen voran Afrika, bis dato nur punktuell: So etwa Anfang April, als es in Peru zu breiten Protesten gegen die Regierung kam. Auslöser waren die infolge des Krieges weltweit auftretenden Preissteigerungen bei Benzin, aber auch bei Dünger und Nahrungsmitteln.

Die direkten Auswirkungen sind überschaubar. Denn die Anteile  Russlands bzw. der Ukraine  am gesamten Außenhandel Lateinamerikas liegen gerade einmal im unteren einstelligen Prozentbereich. 

Nur bei einzelnen Gütern gibt es stärkere Abhängigkeiten. Das betrifft etwa den Import von Dünger oder, in jüngster Zeit, Corona-Impfstoff aus Russland. Umgekehrt sind viele kleinere lateinamerikanische Betriebe auf den Export von Früchten, Fleisch oder Fisch nach Russland und in die Ukraine angewiesen.

Einzelne Länder wie Bolivien, Kuba, Nicaragua und Venezuela sind mit Russland aber vor allem politisch eng verflochten. Und die Präsidenten Argentiniens und Brasiliens trafen sich noch kurz vor Beginn des Krieges mit Putin, um über einen zukünftigen Ausbau der Beziehungen zu sprechen.

Neue Importoptionen möglich

Der Ukraine-Krieg könnte nun dazu führen, dass die Umsetzung des Freihandelsabkommens der EU mit Mercosur, dem „Gemeinsamen Markt Südamerikas“, wieder vorangetrieben wird. Die Ratifizierung des 2019 mit den Mercosur-Mitgliedsländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay beschlossenen Abkommens war auf Eis gelegt worden, weil in der europäischen Öffentlichkeit die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und der starke Pestizid- und Gentechnikeinsatz in den südamerikanischen Landwirtschaften zu starker Kritik geführt hatte. Die wegen dem Ukraine-Krieg prekär gewordene Versorgungslage mit Getreide könnte nun in Europa  zu einem Umdenken in punkto Agrarimporten aus Südamerika führen. 

Kurswechsel der USA

Auch zwischen den alten Erzfeinden USA und Venezuela könnte es wegen des Krieges in Europa Annäherungsversuche geben. Schon Anfang März trafen sich in der venezolanischen Hauptstadt Caracas überraschend hochrangige US-Funktionäre mit Venezuelas Präsident Nicolás Maduro. Laut US-Angaben ging es dabei vor allem um die Situation inhaftierter US-Bürger – und das Thema Erdöl.

Und das, obwohl vor gut drei Jahren die US-Regierung den Oppositionellen Juan Guaidó als Interimspräsidenten Venezuelas anerkannt und seither erfolglos versucht hatte, Maduro zu stürzen. Vor Beginn der Sanktionen war Venezuela für etwa acht Prozent der US-Erdölimporte verantwortlich. Ab 2017 verhängte die US-Regierung schrittweise Sanktionen gegen den venezolanischen Erdölsektor. Seit Frühjahr 2019 beziehen die USA keinen Tropfen Erdöl mehr aus Venezuela. Für die zuletzt gelieferten etwa 500.000 Barrel pro Tag sprang seither Russland ein.

Alternativen zu Russland gesucht

Nun sucht die US-Regierung nach Wegen, die russischen Erdölimporte zu ersetzen und erwägt dafür offenbar, die Sanktionen gegen Venezuela im Erdölbereich zu lockern. Der mögliche Kurswechsel käme dem südamerikanischen Land, das infolge liberaler Wirtschaftsreformen gerade die mehrjährige Hyperinflation hinter sich gelassen hat, gelegen. Doch die derzeit in Venezuela insgesamt geförderte Menge reicht kaum aus, um die Versorgungssicherheit in den USA nennenswert zu erhöhen.

Wurden 2013 in Venezuela insgesamt noch durchschnittlich 2,5 Millionen Barrel täglich gefördert, sind es heute nur noch etwa 700.000. Für eine deutliche Steigerung wären hohe Investitionen – z. B. aus den USA – nötig. Venezuela selbst kann aufgrund der Sanktionen derzeit aber keine Kredite auf den internationalen Kapitalmärkten aufnehmen.

Offiziell war bis Mitte April zwar noch nichts beschlossen. Erwartungsgemäß gibt es in der US-Politik noch zahlreiche Gegner*innen in Bezug auf eine Annäherung an Venezuela. Der Krieg könnte jedoch dauerhaft die zwischenstaatlichen Beziehungen verändern.

Tobias Lambert arbeitet als freier Autor, Redakteur und Übersetzer überwiegend zu Lateinamerika. Er twittert unter @lambert_to.

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