1960 war ein Jubeljahr: Die Kolonialmacht Frankreich entließ 17 afrikanische Länder in die Unabhängigkeit. Hat sich 50 Jahre später die Euphorie gelegt? Kojo Busia, Mitarbeiter der UN-Wirtschaftskommission für Afrika, zieht Bilanz. Das Interview führte Michaela Krimmer.
Südwind Magazin: Ich weiß, es ist schwer generell über Afrika zu reden. Doch was sehen Sie als die größten Veränderungen in Afrika in den letzten 50 Jahren?
Kojo Busia: Das Wichtigste ist, dass Afrika sein Bewusstsein verändert hat. Wir sind uns mittlerweile unserer Rolle bewusst. Wir sehen, dass wir in Abhängigkeit gehalten wurden und werden, aber auch, dass wir vermehrt wirtschaftlicher Partner werden und nicht mehr nur Rohstofflieferanten sind. Wir haben ein Selbstbewusstsein erlangt, mit dem wir unser Leben und unseren Weg selbst bestimmen wollen.
Wurde die in den 1960er Jahren vorherrschende Hoffnung auf Selbstbestimmung erfüllt?
Damals herrschte eine Aufbruchstimmung und Euphorie. Wir dachten, jetzt wären wir tatsächlich frei und der Weg in das selbst bestimmte Leben wäre offen. Diese Hoffnung wurde in vielen Ländern zunichte gemacht. Eine korrupte herrschende Elite zerstörte viele der Hoffnungsschimmer. Dies muss man jedoch in Zusammenhang mit dem Kalten Krieg sehen. In vielen afrikanischen Ländern wurden Stellvertreterkriege geführt und Diktatoren und Despoten von West oder Ost gestärkt bzw. bekämpft.
Auch heute noch tanzen viele Länder und Politiker nach den Pfeifen der westlichen Länder.
Als eine wichtige Veränderung sehe ich die Gründung der Afrikanischen Union. Sie bildet ein Gegengewicht zu anderen internationalen Zusammenschlüssen und zeigt, dass afrikanische Länder sich vermehrt untereinander vernetzen und zusammenarbeiten – unabhängig vom außerafrikanischen Ausland.
Was ist nötig für eine tatsächliche Unabhängigkeit?
Wichtig ist, dass Afrika sich auf eigene Antworten auf seine Probleme konzentriert. Wir müssen unabhängiger von Geberländern, der Weltbank oder anderen internationalen Organisationen oder Staaten werden. Wenn die Entwicklungszusammenarbeit uns tatsächlich unterstützen will, dann soll sie das vor allem moralisch tun. Lasst uns unseren eigenen Weg gehen und unsere eigenen Lösungen für unsere Probleme finden. Wenn Geberländer weiterhin finanzielle Mittel zur Verfügung stellen, ist das begrüßenswert, doch sie sollten die Ideen vor Ort stützen.
Ein Mechanismus, uns unabhängiger zu machen, ist der „Africa Peer Review Mechanism“, der auf einer freiwilligen Teilnahme beruht. Es geht darum, dass afrikanische Länder selbst ihr Land beurteilen, dessen Entwicklung, Wirtschaftslage, politische Situation, etc. Der Report wird von einem Gremium verfasst, dem Vertreterinnen und Vertreter der Regierung, der Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch aus der Zivilgesellschaft angehören. Dieser Report wird den anderen afrikanischen Partnerländern vorgelegt und diese beurteilen, wie akkurat der Report ist. Die Partnerländer arbeiten den Report neu aus, verändern ihn, korrigieren ihn und dann wird er dem Land wieder zur Verfügung gestellt. Dieser Prozess kann bis zu 18 Monate dauern. Bis jetzt haben ihn 15 Länder durchgeführt.
Ich sehe darin eines der stärksten neuen Instrumente, um Afrika selbst bestimmt handeln zu lassen und unsere Entwicklung selbst zu planen.
Sind Länder wie China oder Indien die „besseren“ Partner für Afrika?
China, Indien und andere so genannte Emerging Markets spielen eine enorm wichtige Rolle für Afrika. Diese Länder betrachten afrikanische Länder viel mehr als Partner. Europäische Länder haben sich teilweise noch immer nicht von ihrer kolonialen Ideologie befreit. Sie sehen Afrika immer noch als Rohstofflieferanten. Einerseits machen sie gut gemeinte Entwicklungsprojekte, andererseits zwingen sie Länder in wirtschaftliche Partnerschaftsabkommen, die den Zielen der Entwicklungsprojekte vollkommen widersprechen (siehe SWM 07/10; Anm. d. Red.). Das ist eine doppelbödige Politik.
Die Entwicklung Chinas und Indiens und anderer Emerging Markets ist abhängig von der Entwicklung Afrikas. Deswegen sind sie für Afrika so wichtige Partner. Sie wollen Geschäfte machen, sie behandeln uns als Partner und nicht als jemanden, dem man helfen muss. Ich weiß natürlich: China interessiert sich für die Menschenrechtslage oder die Arbeitsbedingungen der Länder nicht. Doch China sagt, das ist Afrikas Problem. Damit muss es selbst fertig werden.
Genauso ist das bei dem Africa Peer Review Mechanism. Er beruht auf freiwilliger Basis. Wir können Länder wie Kongo, Simbabwe oder Sudan nicht zwingen, teilzunehmen. Jeder muss wissen, wann die Zeit gekommen ist.
Was haben die so genannten Musterstaaten Afrikas wie Ghana, Botswana oder Mauritius anders gemacht als andere Länder? Hatten sie einfach Glück?
Das ist eine Frage, über die man viel nachdenken kann. Ich glaube, dass gerade Ghana und Botswana, und teilweise auch Tansania, eines richtig gemacht haben: Sie haben die eigenen traditionellen Institutionen in ihre Demokratie integriert. Sie haben nicht einfach die Demokratie über das Land gestülpt. Viele glauben, dass es vor der Kolonialisierung Afrikas keine Institutionen gab, die das Leben regelten. Natürlich gab es sie und es ist wichtig, dass man das Traditionelle vor Ort integriert. Und das haben diese Länder geschafft. In Botswana war der erste Präsident ein traditioneller Chief.
Was werden die großen Themen der nächsten 50 Jahre sein?
Um ehrlich zu sein: Ich sehe eine glänzende Zukunft für Afrika voraus. Gerade deshalb, weil Afrika jetzt als Wirtschaftspartner entdeckt wird. Der Kontinent ist wirtschaftlich das letzte Neuland, das es zu entdecken gibt. Nicht nur China und Indien haben Afrika als Wirtschaftspartner entdeckt, sondern auch Europa und die USA erkennen immer mehr, dass afrikanische Länder tatsächlich Wirtschaftspartner sein können.
Wichtig wird sein, die Dynamik und das Potenzial der Jugend zu nutzen. Afrika ist ein sehr junger Kontinent, und diese Energie müssen wir als Chance sehen. Wenn Europa die (illegale) Immigration von jungen Afrikanerinnen und Afrikanern tatsächlich als so bedrohlich empfindet, sollte es mithelfen, dass unsere Jugend in der Heimat bleiben will.
Kojo Busia war auf Einladung von VIDC und ÖFSE in Wien. Das Interview spiegelt Busias persönliche Ansichten wider und muss nicht mit den Ansichten der UNO übereinstimmen.
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