Der Libanon gilt als einer der liberalsten arabischen Staaten. Der „Frühling“ ist jedoch noch nicht eingetroffen. Frauenorganisationen kämpfen beharrlich um Gleichberechtigung und für sozialen Frieden.
In Talk-Shows entblößen Menschen oft bereitwillig ihre intimsten Ängste, Sehnsüchte oder Grausamkeiten. Und sie sind dankbar für ein wenig Aufmerksamkeit, die sie mit ihren peinlichen Enthüllungen auf sich ziehen. Das ist im Libanon nicht anders. Dort hatten vor einem Jahr prügelnde Ehemänner im nationalen Fernsehen die Gelegenheit zur Selbstdarstellung.
„Meine erste Frau war nicht gehorsam, deswegen musste ich sie immer wieder schlagen“, erzählte da ein Mann namens Fares: „Ich habe ihr Gesicht entstellt, ihre Nase gebrochen und ihr die Haare abgeschnitten. Dann war sie mir zuwider. Auch meine zweite Frau war rebellisch und unfolgsam. Sie hat mich so wütend gemacht, dass ich sie umbringen wollte.“ Mit seiner dritten Frau habe er endlich das Glück gefunden. Fares gab sich überzeugt: „Wenn meine Frau ihre Pflichten mir und meiner Familie gegenüber nicht erfüllt, dann habe ich das Recht, sie zu züchtigen.“ Auch Frauen kamen in der Diskussionssendung zu Wort. Eine, die sich als Samah vorstellte, skizzierte ihren Leidensweg: „Er schlug mich mit allem, was ihm in die Hände kam: mit seinem Gürtel, seinen Schuhen, einem Tisch. Er prügelte mich, wenn ihm mein Essen nicht passte und aus jedem beliebigen Grund.“
Die letzte repräsentative Umfrage stammt aus dem Jahr 2002. Damals gaben 35 Prozent der befragten Frauen an, selbst häusliche Gewalt erlebt zu haben, 66% von ihnen berichteten über physische Gewalt. Die Frauenrechtsorganisation KAFA schätzt aber, dass bis zu drei Viertel aller Frauen im Laufe ihres Lebens zu Hause geschlagen wurden. Diese Erfahrungen sind unabhängig von der sozialen Herkunft, dem Bildungsgrad oder der Religion. Das deckt sich weitgehend mit Studien des UN-Kinderhilfswerks UNICEF in anderen arabischen Ländern. Bei der Polizei finden geprügelte Frauen in der Regel kein Gehör; diese will sich in „Privatangelegenheiten“ nicht einmischen. Deswegen wenden sich verzweifelte Ehefrauen meist an religiöse Gerichtshöfe, die für Familienangelegenheiten zuständig sind. Aber dort werde beschwichtigt und den Frauen geraten, die Familie zu erhalten.
Kein Wunder, dass libanesische Frauenorganisationen mehr Schutz durch den Staat einfordern. 2010 begannen sie vom Wort zur Tat zu schreiten. „Wir haben, gemeinsam mit 41 anderen Organisationen, einen Gesetzesvorschlag formuliert“, sagt Maya Ammar, eine junge Juristin, die bei KAFA in Beirut beschäftigt ist. Darin werden physische, mentale und sexuelle Gewalt sowie Vergewaltigung in der Ehe und „Ehrenmorde“ unter Strafe gestellt. Bei der Polizei sollen eigene Einheiten für das Einschreiten bei häuslicher Gewalt aufgestellt werden.
Der Gesetzesvorschlag erlitt das Schicksal von vielen anderen Initiativen, die von religiösen Gruppen als heikel betrachtet werden. Als er im parlamentarischen Sozialausschuss landete, begannen die Abgeordneten, den Entwurf zu zerpflücken. Maya Ammar hat die Debatte mitverfolgt: „Leider ist der Ausschuss der Meinung, dass auch die Männer geschützt werden müssen. Die haben aber ohnehin alle Gesetze auf ihrer Seite.“
In Familienangelegenheiten ist bei Streitfällen ein Richter der jeweiligen Religionsgemeinschaft zuständig. Jamal Al-Shaar, ein Scharia-Richter, der in der Fernsehdiskussion die höchste sunnitische Autorität vertrat, formulierte die Einwände der Religiösen. Sie lehnen die Kriminalisierung der ehelichen Vergewaltigung ab. Insgesamt würde so ein Gesetz die arabische Familie zerstören und sei unvereinbar mit den Werten der libanesischen Gesellschaft, die die väterliche Gewalt hochhält.
Jetzt steckt der Gesetzesentwurf seit bald zwei Jahren im Ausschuss, wurde verwässert und entschärft und trotzdem noch nicht dem Plenum zugeleitet. „Wir machen jetzt Lobbyarbeit bei den einzelnen Parteien und setzen alles daran, dass der ursprüngliche Entwurf ins Plenum kommt“, gibt sich Maya Ammar zuversichtlich. Immerhin hat das Sozialministerium auf Druck der Frauenorganisationen begonnen, SozialarbeiterInnen für den Umgang mit innerfamiliärer Gewalt auszubilden. In Beirut und einigen weiteren Städten wurden Frauenhäuser eingerichtet.
Ein Wandel hat begonnen, doch für die Aktivistinnen geht er viel zu langsam vor sich. Der Libanon wurde vom arabischen Frühling überrascht, aber auch angesteckt. Schon im Februar 2011 marschierten Tausende im strömenden Regen zum Justizpalast in Beirut und schwenkten Transparente, die Ungeduld mit dem politischen Stillstand bekundeten. Viel ist aus der Protestbewegung nicht geworden. Die Flüchtlingsströme aus dem benachbarten Syrien dienen eher als Warnung vor Umsturzbemühungen.
Von bewaffnetem Widerstand kann im Libanon keine Rede sein. Dennoch brodelt es. Und es sind vor allem die Frauen, die sich gegen das starre, vom religiösen Proporz geprägte System auflehnen. So ist ein beliebter Slogan den Gesundheitswarnungen auf Zigarettenpackungen nachempfunden: „Confessionalism is bad for your health, we ask you to abstain from it.“ („Religiöser Proporz schadet Ihrer Gesundheit. Verzichten Sie darauf.“) 18 Konfessionen sind im Libanon anerkannt, Regierungsposten und öffentliche Verwaltung sind Vertretern bestimmter Religionen fix zugeteilt. Der Einfluss der religiösen Anführer ist daher überproportional. Das sieht man am Schicksal des Gesetzes gegen häusliche Gewalt.
„Leider sitzt das auch in den Herzen der Leute, sonst würden sie nicht immer die gleichen Politiker wählen“, klagt Maya Ammar: „Wir sind durch dieses Denken seit Generationen geprägt und jubeln immer den Sektenführern zu. Wer anders denkt, der geht weg oder taucht ab, um einfach zu überleben.“
Der Libanon gehört zu den liberalsten arabischen Staaten. Auf den Straßen der Städte sieht man Frauen im knappen Minirock mit offenem Haar. Das Kopftuch ist für viele nur ein Modeaccessoire. Verschleierte Frauen in Beirut sind eher Touristinnen aus den Golfstaaten. Im schiitischen Süden überwiegt hingegen züchtige Kleidung. „Die Verfassung stellt die Frau dem Manne gleich, doch in vielen Gesetzen ist das nicht so“, seufzt Soraya Hashem, die einen hohen Posten im Bildungsministerium bekleidet und sich unermüdlich für die Reform des Wahl- und des Staatsbürgerschaftsrechts einsetzt. Frauen, die Ausländer heiraten, können ihre Staatsbürgerschaft nicht an den Ehemann weitergeben. Selbst Kinder aus solchen Ehen werden als AusländerInnen geboren. Damit sind sie nicht nur von der unentgeltlichen Gesundheitsversorgung und anderen Sozialleistungen ausgeschlossen. Töchter aus solchen Ehen, die ebenfalls einen Ausländer ehelichen, verlieren die Aufenthaltsberechtigung, obwohl sie nie woanders gelebt haben. Rund 18.000 Libanesinnen seien davon betroffen, sagt Soraya Hashem. Viele von ihnen sind mit palästinensischen Flüchtlingen verheiratet, die besonders wenige Rechte genießen.
Der Einfluss der Religionsführer habe seit dem Bürgerkrieg (1975-1990) zugenommen, berichtet Soraya Hashem. Eine, die dagegen seit Jahren anschreibt, ist die Schriftstellerin Joumana Haddad, die jüngst in einem Interview in der österreichischen Literaturzeitschrift Wespennest ihrem Ärger Luft machte: „Christentum und Islam vertreten ja bezüglich der Stellung der Frau in der Gesellschaft ein und denselben Standpunkt: sie rauben ihr ihre Rechte, die Frau wird gedemütigt und angefeindet. Beide Religionen geben ein Handlungsmuster vor, das in unseren arabischen Gesellschaften große Verbreitung genießt, es ist verlogen und von tödlicher Schizophrenie. Einerseits werden sittliche Verbote aufgestellt, andererseits wird jede Unsittlichkeit hinter dem Vorhang praktiziert. Man predigt Keuschheit, verurteilt sexuelle Freiheit und onaniert zur gleichen Zeit vor Pornofilmen.“
Den Umgang der arabischen Gesellschaften mit Sexualität und Körperlichkeit findet die mutige Frau, die ein Magazin namens „Jasad“ (Körper) herausgibt, empörend: „Man darf nicht offen darüber sprechen, obwohl eigentlich schon im zehnten, elften Jahrhundert Texte von arabischen Autoren entstanden sind, die auf eine wundervoll natürliche Art und Weise mit diesen Themen umgehen.“
Immerhin, die zahlreichen Morddrohungen und Androhungen von Säureattentaten, die die 42-jährige Autorin erhalten hat, wurden bisher nicht in die Tat umgesetzt. Deswegen bleibt sie optimistisch und glaubt, dass die Proteste gegen das starre System nicht nachlassen werden: „Wir brauchen eine konstruktive Wut, keine destruktive, die nur sagt, alles ist schlecht. Wir müssen Wege da heraus finden. Und ich bin überzeugt, dass man dann auch an der Realität etwas verändern kann.“
Siehe die Rezension des Buches „Wie ich Scheherazade tötete“ von Joumana Haddad in SWM 5/2011.
Der Autor ist freier Mitarbeiter des Südwind-Magazins. Die Recherche zu dieser Reportage erfolgte während einer taz-Reise in den Libanon (www.taz.de/4/taz-reisen).
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