Die internationale Presse feiert „The Act of Killing“ als den Film, der in Indonesien Schockwellen der Vergangenheitsbewältigung auslösen könnte – und überschätzt ihn damit.
"The Act of killing“ (TAoK) sei „der heftigste und politisch wichtigste Film, den ich je über Indonesien gesehen habe“, so der indonesische Soziologe Ariel Heryanto vor einem Jahr. Die Dokumentation des US-Amerikaners Joshua Oppenheimer, der zum ersten Mal die Perspektive der Täter der blutigen Kommunistenverfolgung von 1965 zeigt, gewann seitdem 30 Preise auf internationalen Festivals. Seit Ende Oktober läuft sie in den österreichischen Kinos. Zahlreiche BeobachterInnen hatten, wie Heryanto, mit dem Film die Hoffnung auf ein breiteres öffentliches Interesse an der Aufarbeitung der Vergangenheit verbunden (vgl. SWM 12/2012).
In kommerziellen indonesischen Kinos ist TAoK nicht zu sehen. Dafür hätte er bei der Zensurbehörde eingereicht werden müssen, die ihn, so die Sorge der Filmemacher, wohl verboten hätte. Daher wählten sie einen alternativen Weg. Wer ein Screening organisieren wollte, kontaktierte die Produktionsfirma und bekam eine DVD zugeschickt. Hunderte solcher Screenings sind in Indonesien gelaufen. Seit dem 30. September 2013 ist der Film auch online zugänglich.
Dennoch scheint es nicht so, als ob die Gegenwart in Indonesien durch das Stochern im Nebel der Vergangenheit erschüttert wurde. Der breiten indonesischen Öffentlichkeit ist der Film kein Begriff. „In Indonesien hat der Film seine Ziele nicht erreicht. Der Regisseur und sein Team haben sich zu sehr auf die internationale Bühne konzentriert“, kritisiert der Schriftsteller Saut Situmorang. „Aus Angst vor Gewalt wurde der Film nicht an Plätzen gezeigt, die einer breiteren Bevölkerungsschicht Zugang ermöglicht hätten“, so Saut. Daher sei seine Rezeption „nicht weit über die Campus-Eliten hinaus gekommen“.
Für manche ZuschauerInnen warf der Film zudem ethische Fragen auf. Diese kamen nicht nur von den Protagonisten, die sich hinters Licht geführt fühlten und damit drohten, Oppenheimer zu verklagen. „Ich achte Oppenheimers außergewöhnlichen Ansatz, dieses sensible und kontroverse Thema zu verfilmen“, so der indonesische Historiker Yosef Djakababa. „Aber was mich enorm stört, ist das Fehlen des historischen Kontextes im Film.“ Nicht alle Opfer seien KommunistInnen gewesen, so Yosef. Von den Opfern selbst wird kritisiert, dass Oppenheimer die Militärs, die die Befehle zum Morden gaben, kaum betrachtet. „Der Film sagt nichts darüber aus, dass vor allem Soldaten die Massaker verübten“, kritisiert Astaman Hasibuan, der 1965 nur knapp der Ermordung durch Militärs entkam.
Hintergrund
Anfang Oktober 1965 wurden bei einem Putschversuch in Indonesien mehrere Generäle ermordet. Bis heute sind die Umstände unklar. Armee-Vizechef Suharto gab der Kommunistischen Partei die Verantwortung, entmachtete Präsident Sukarno und begann mit der Verfolgung von KommunistInnen – unterstützt vom Westen. Schätzungen der Opferzahlen bewegen sich zwischen 500.000 und drei Millionen Menschen, Hunderttausende kamen ins Gefängnis. Joshua Oppenheimers vielfach ausgezeichneter Dokumentarfilm (2012) beschäftigt sich mit den Massakern aus Sicht der Täter. Mehr zu den Hintergründen in SWM 12/2012. red
The Act of Killing DK/N/GB 2012, 159 Min, OmU, ab 21. 2. 2014 im Wiener Gartenbaukino.
In der Tat finden sich im Film, außer einem kurzen Einführungstext am Anfang, kaum Informationen über die Hintergründe des Massenmordes – weder zur Rolle der Militärs, die das Morden orchestrierten, noch zur Rolle der jene Militärs unterstützenden Westmächte im Kalten Krieg. „Seine Darstellung von Indonesiern in diesem Dokumentarfilm unterscheidet sich nicht von der Sicht jener Orientalisten, für die Indonesier nur eines von vielen wilden, exotischen und seltsamen Völkern sind, die sich gegenseitig abschlachten, weil ein Menschenleben bei ihnen nichts wert ist“, kritisierte der malaysische Filmemacher Badrul Hisham Ismail.
Abgesehen davon, dass die Rezeption des Films im Westen eine andere ist als in Südostasien: Die Tatsache, dass jene, die vom antikommunistischen Blutbad profitierten, noch immer an der Macht sind, beschränkt das Bemühen um Aufklärung. Das heißt aber nicht, dass es dieses Bemühen seitens der indonesischen Zivilgesellschaft nicht gäbe. Das Ziel einer alternativen Geschichtsschreibung wird auch von zahlreichen indonesischen FilmemacherInnen mit durchaus sehenswerten Ergebnissen verfolgt.
Ohne Zweifel ist TAoK ein Meisterwerk. Niemand, der sich mit der Aufarbeitung der blutigen Ereignisse beschäftigt, kommt an diesem einzigartigen Zeugnis für die Straflosigkeit aus Tätersicht vorbei. Doch die Aufarbeitung ist ein Puzzle, in dem TAoK nur ein Teilchen sein kann. Im besten Fall kann -TAoK – vorausgesetzt seine ZuschauerInnen wollen nach dem Schock, den der Film auslöst, mehr zu den Hintergründen wissen – zu erhöhtem Interesse an dem lange verschwiegenen Massenmord führen. Das könnte mehr internationale Unterstützung für jene bedeuten, die sich in Indonesien für die Rechte der Opfer stark machen.
Anett Keller hat in Leipzig und Yogyakarta Journalismus, Politikwissenschaft und Indonesisch studiert und lebt als freie Journalistin in Indonesien.
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