Mosambik fünfzehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs: In Maputo tummeln sich Mercedes-Limousinen, gleichzeitig fehlt es der Hälfte der Bevölkerung an sauberem Trinkwasser. Vor allem für Frauen ist der Befreiungskampf noch nicht zu Ende.
Henning Mankell hat wenig Zeit. Der schwedische Bestsellerautor scheint seinem Ruf, JournalistInnen gegenüber eher spröde zu sein, gerecht zu werden. Aber dann lädt er doch zu einer Probe seines Theaterstücks „As Filhas da Nora“ – „Noras Töchter“ am Teatro Avenida in Mosambiks Hauptstadt Maputo. Literarisches Vorbild für das emanzipatorische Stück, das Mankell zum 20-Jahr-Jubiläum des Theaters geschrieben hat, ist Henrik Ibsens Ehedrama „Nora oder Ein Puppenheim“. Bei Mankell ist Nora seit zehn Jahren tot, ihre drei erwachsenen Töchter treffen sich an ihrem Grab und reflektieren über ihr Leben, ihre Beziehung zu Männern, über Armut und Reichtum. „As Filhas da Nora“ sei ein sehr symbolträchtiges Stück: „Auf dem afrikanischen Kontinent kämpfen Frauen heute noch mit den Problemen, über die Ibsen vor 130 Jahren geschrieben hat“, sagt Mankell: „Afrikas Frauen tragen eine große Verantwortung, aber es fehlt ihnen an gesellschaftlichem Einfluss.“
Mosambik hat einen hohen Frauenanteil im Parlament. 23 Prozent der Regierungsmitglieder sind Frauen – darunter die Regierungschefin Luisa Diogo und die Außenministerin Alcinda Abreu. Und doch müssen Noras Töchter den Befreiungskampf weiter führen.
Große Verdienste um die Gleichstellung von Mann und Frau kommen dem legendären Unabhängigkeitskämpfer Samora Machel zu, dem ersten Präsidenten nach dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft: Frauen durften erstmals zur Schule gehen, in den Fabriken arbeiten und wählen.
1969 hatte Machel die Führung der Frelimo – der Front zur Befreiung Mosambiks – übernommen. Nach der Nelkenrevolution in Portugal wurde er Chef der Übergangsregierung. 1975 gewann er die ersten freien Wahlen in der Geschichte Mosambiks. Oberstes Ziel seiner Regierung: die Wende zum Marxismus. Die freie Presse wurde ausgeschaltet, das Einparteiensystem eingeführt, Wirtschaft, Schulen und Krankenhäuser wurden verstaatlicht. KritikerInnen und Kriminelle landeten in Umerziehungslagern. Mosambik sollte zum sozialistischen Staat nach dem Vorbild der Sowjetunion werden. Das gefiel vielen nicht. Die benachbarten Apartheidregimes Rhodesiens, des heutigen Simbabwe, und Südafrikas installierten mit Renamo – dem Nationalen mosambikanischen Widerstand – eine Rebellenbewegung, die durch Anschläge und Terroraktionen versuchte, Mosambik zu destabilisieren. Die Folge war ein brutaler Bürgerkrieg ab 1977.
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs fiel für Mosambik die Unterstützung durch die sozialistische Welt weg. Bereits zuvor hatte sich der Staat mit dem Beitritt zu IWF und Weltbank von der sozialistischen Planwirtschaft verabschiedet. 1990, vier Jahre nach Machels bis heute unaufgeklärtem Tod bei einem Flugzeugabsturz, schloss die regierende Frelimo mit den Renamo-Rebellen einen Waffenstillstand. 1992 wurde in Rom ein formelles Friedensabkommen unterzeichnet. Ein Mehrparteienstaat mit einer marktorientierten Gesellschaft wurde errichtet, ganz nach dem weltweiten Trend.
Heute ist Mosambik immer noch ein Land im Übergang, das seine Identität finden und neu definieren muss. Ein Land mit einer demokratischen Verfassung und einem Mehrparteiensystem, in dem jedoch de facto immer noch eine Partei das Sagen hat – Frelimo. Dem globalen Druck von Kapitalismus und Neoliberalismus kann sich Mosambik längst nicht mehr entziehen. Mit jährlich sieben Prozent hat es eine der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften im südlichen Afrika und die internationalen Investoren – angezogen von seltenen Rohstoffvorkommen – stellen sich an. Die Mehrheit der Bevölkerung merkt von der angeblichen Erfolgsgeschichte allerdings wenig: „Es gibt wenige Städte auf der Welt, in denen Sie so viele Mercedes sehen können wie in Maputo“, bemerkt Henning Mankell. „Aber kaum verlässt man die Städte und fährt wenige Kilometer aufs Land hinaus, ist man mit einer unvorstellbaren Armut konfrontiert. Nur zwei, drei Kilometer von hier verhungern die Leute fast!“ Nach wie vor hat nur die Hälfte der Bevölkerung Mosambiks Zugang zu sauberem Trinkwasser. Frauen sind für die mühsame Organisation des Alltags zuständig, doch sind sie von Armut stärker betroffen. Die große Präsenz von Frauen auf den Märkten darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie fast ausschließlich Kleinhändlerinnen sind und kaum Chancen auf größere Absatzmärkte haben. Mädchen werden seltener zur Schule geschickt als Burschen. Nur zehn Prozent der Mädchen schließen die siebte Klasse der Grundschule ab, und die Analphabetenrate bei Frauen liegt mit knapp 69 Prozent deutlich über der der Männer (knapp 40 Prozent).
Die Regierung hat sich mit einem nationalen Aktionsplan zum Ziel gesetzt, den Anteil der Armen von derzeit 55 auf 45 (!) Prozent im Jahr 2009 zu senken. Zahlreiche internationale Geberländer leisten Entwicklungshilfe, zunehmend in Form von Direktzahlungen an den Staatshaushalt. Knapp die Hälfte des mosambikanischen Budgets stammt aus ausländischer Budgethilfe. Keine ganz unproblematische Sache in einem Land, in dem die Korruption weit verbreitet ist.
Die einstigen Kontrahenten im Bürgerkrieg tragen heute ihre Gefechte auf der politischen Ebene aus. Die Beziehung zwischen Frelimo und Renamo ist von tiefem gegenseitigem Misstrauen geprägt. Die starke Ideologisierung des Landes macht auch vor der Frauenpolitik nicht Halt. Es gebe so gut wie keine Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg, meinen Kritikerinnen. Die Kluft zwischen den politischen Parteien zeigte sich auch bei den Diskussionen um ein neues Familiengesetz, das 2003 vom Parlament verabschiedet wurde. Demnach sind Frauen Männern gesetzlich gleichgestellt. Doch Gesetze sind eine Sache. Die Realität sieht oft anders aus, vor allem wenn es um „Kultur“ oder „Traditionen“ geht. Ein krasses Beispiel dafür ist die Polygamie, die in ländlichen Regionen weit verbreitet ist. Dort haben Männer bis zu zehn Frauen. „Die Leute rechtfertigen die Polygamie damit, dass sie zu unserer Kultur gehört. Aber wir haben ein neues Familiengesetz, das es Männern nicht mehr erlaubt, zwei oder drei Frauen zu heiraten“, sagt Palmira Velasco, die Präsidentin der Journalistinnenvereinigung. Tatsächlich regt sich mancherorts Widerstand. Viele Frauen aber, das Beispiel ihrer Väter und Mütter vor Augen, akzeptieren die Vielehe. „Vergessen wir nicht, dass wir lange in einem patriarchalischen System gelebt haben“, meint die Journalistin Acia Sales. Das lasse sich nicht so ohne weiteres von heute auf morgen umkrempeln.
Judith Brandner ist freie Radio- und Printjournalistin und war vor kurzem in Mosambik.