Kunst im guten Leben

Von Valia Carvalho & Björn Ecklundt · · 2012/04

Zehn KünstlerInnen aus Afrika und Asien begaben sich auf Spurensuche rund um das Thema „gutes Leben“. Ergebnisse und Funstücke sind in einer Ausstellung in Berlin zu sehen.

Im Herbst 2010 initiierte die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin das Kunstprojekt SurVivArt – und stellt es unter die Fragen: Was ist ein gutes Leben? Und was kann die Kunst dazu beitragen? Um sich möglichen Antworten auf diese Fragen anzunähern, hat die den deutschen Grünen nahe stehende Stiftung zehn Künstlerinnen und Künstler aus Äthiopien, Burma, Kambodscha, Nigeria und Thailand eingeladen, sich in ihrem eigenen Umfeld auf die künstlerische Suche zu begeben. Sie wurden aufgefordert zu schauen, welche Wege zum guten Leben führen können und welche Rolle dabei nachhaltiges Handeln, der Klimawandel und Geschlechterfragen spielen.

Fest steht, dass der Lebensstil, wie er in den wohlhabenden Industrieländern praktiziert wird, nicht als Vorbild taugt, wenn die Menschheit noch lange auf diesem Planeten existieren will. Sieben Millliarden Menschen können nicht so leben wie ein durchschnittlicher US-Amerikaner oder eine Deutsche. Die Ressourcen der Erde reichen dafür einfach nicht. Das bedeutet, dass einerseits die Menschen im Norden ihre Lebensweise ändern und dass andererseits die Menschen im Süden einen anderen Entwicklungspfad einschlagen müssen, einen, der nicht auf fossilen Energieträgern basiert. Gesucht wurden Ideen, die verschiedene Aspekte des Alltags berühren: wie und wo wir leben, was wir essen, wie wir uns kleiden, was wir konsumieren, wie und wohin wir uns bewegen. Und welche Rolle dabei die Beteiligung von Gemeinschaften lokal, regional oder auch global spielen kann.

Wo sie noch nicht existierten, haben die SurVivArt-Projekte der Künstlerinnen und Künstler Diskurse über Klimafragen, Nachhaltigkeit oder Gender-Rollen angeregt. An vielen Orten brachte das Projekt KünstlerInnen und lokale Gemeinschaften erstmals zu einem Gespräch über nachhaltige Praktiken und das alltägliche Leben zusammen. Von Anfang an war SurVivArt eine anregende, kreative und reflexive Reise – für alle Beteiligten.

Anderthalb Jahre haben die Kunstschaffenden an und in ihren Projekten zusammen mit Menschen aus ihren Dörfern, Städten oder auch mit fremden Gemeinschaften gearbeitet. Herausgekommen ist ein Kaleidoskop unterschiedlicher Perspektiven und ungewöhnlicher Ideen. Die Kunstwerke erzählen sehr verschiedene Geschichten: von der Suche nach Balance, Glück und Zufriedenheit, von einem verantwortlichen und zugleich kreativen und spielerischen Umgang mit Ressourcen und neuen Formen des Konsums. Aber auch von der Stärke, die in einer Gemeinschaft liegt, von ihrem Überlebenspotenzial und der Kraft, die Künstlerinnen und Künstler und ihre Kunst beflügelt, zu einem guten Leben beizutragen. Im Februar 2012 wurden die Ergebnisse mit einer Ausstellung in Berlin präsentiert.

In Nigeria beispielsweise hat die Künstlerin Alafuro Sikoki sich mit einem schwerwiegenden Umweltproblem auseinandergesetzt: In vielen Flüssen des Landes wuchern Wasserhyazinthen, die aus Südamerika eingeschleppt wurden und jetzt den Wasserläufen den Sauerstoff und das Licht zum Leben nehmen. Sie bleiben in den Propellern der Fischerboote hängen und gefährden so die Lebensgrundlage der Menschen, die von den Flüssen leben. Alafuro ließ diese Pflanzen „ernten“, trocknen und von Frauen aus der Region zu Seilen verarbeiten. Daraus flechten sie in einer fast vergessenen Technik Gegenstände wie Stühle, Körbe und Lampenschirme. So versucht sie, eine traditionelle Handwerkskunst wach zu halten und gleichzeitig den Frauen neue Einkommensquellen zu schaffen. Kurz vor Vollendung des Projekts arbeiteten nicht nur die älteren Frauen an den Objekten, sondern sie wurden auch von Jungen und Männern dabei tatkräftig unterstützt.

In Lagos, der ehemaligen Hauptstadt des Landes, gibt es einen Stadtteil, der von großer Armut geprägt und besonders Hochwässer der verdreckten Lagune ausgesetzt ist, die durch den Klimawandel immer häufiger auftreten. Segun Adefila, der Direktor der Tanztheatergruppe „Crown Troupe“, hat intensiv mit den BewohnerInnen der Straße „Aiyedun“ (was ironischerweise „Das Leben ist süß“ bedeutet) in diesem Viertel gesprochen und mit ihnen zusammen eine Tanzperformance entwickelt, in der sie ihre Probleme darstellen konnten. Die Menschen haben zwar bemerkt, dass sich das Klima verändert hat, die Hochwässer häufiger und die Hitzewellen stärker geworden sind, über die Ursachen wussten sie aber nicht viel. Die Arbeit von und mit Segun Adefila hat bei vielen ein Bewusstsein dafür geschaffen.

In Kambodscha ist Kunst derzeit einer der wenigen Bereiche, in dem auch kritischere Fragen an die Gesellschaft gestellt werden können, ohne dass die staatlichen Organe sofort einschreiten. In Phnom Penh hat die junge Künstlerin Sokun Tevy Oeur einen „Flea Market of Memories“ – einen Flohmarkt der Erinnerungen – inszeniert. Dort tauschten Menschen bargeldlos Dinge, hinter denen Geschichten standen und die so für sie einen persönlichen Wert hatten. Der Fokus lag darauf, die Erinnerungen mit den Objekten zu tauschen. Nicht materiell, sondern ideell Gleichwertiges wurde getauscht, was natürlich sehr von der subjektiven Wahrnehmung der Einzelnen abhing. Auf diese Weise kamen teilweise sehr berührende Geschichten zu Tage. Alltägliches erschien plötzlich in einem ganz anderen Licht. Übliche Konsummuster wurden hinterfragt und der Vergangenheit wurde ein wichtiger Platz eingeräumt.

Mit Konsumgewohnheiten hat sich auch die Thailänderin Nino Sarabutra auseinander gesetzt. In ihrem zweiteiligen Projekt stellt sie die Frage: „Are you happy?“ und lädt dazu ein, darüber nachzudenken, was in unserem Leben wirklich wichtig ist. Wer einen Internetzugang hat, kann Teil des Kunstwerks werden: In einem Online-Fragebogen kann man angeben, wie glücklich man ist, was einen glücklicher machen würde, welchen Luxus man sich zuletzt gegönnt hat oder ohne was man nicht leben kann. Die Antworten sind im Netz zu sehen. Der andere Teil des Projekts, der mit den Projektionen der Online-Umfrage gezeigt wird, ist eine Installation aus vielen, schwebend aufgehängten Keramikschälchen mit kurzen Sinnsprüchen. Sie verweisen darauf, dass Glück aus vielen kleinen Dingen besteht.

Diese und sechs weitere KünstlerInnen haben ihre Arbeit auf dem gemeinsamen SurVivArt-Blog über die Zeit dokumentiert und so den Kontakt gehalten. Bei der Eröffnung der Ausstellung in Berlin im vergangenen Februar haben sie sich das erste Mal persönlich getroffen und ausgetauscht. „Die Gruppe ist wirklich großartig“, so der äthiopische Künstler Robel Temesgen, der in einem Dorf mit Kindern ein Forumtheaterstück über Geschlechterunterschiede inszeniert hat. „Durch den Blog ist es so, als ob wir uns schon ewig kennen.“

Was das gute Leben ist, darüber gibt es viele verschiedene Ansichten, in die jeweils die eigene kulturelle Prägung einfließt und die auch abhängig ist von der persönlichen Lebenssituation des Künstlers oder der Künstlerin.

Die Kunst bietet sicherlich keinen allumfassenden Wegweiser hin zu einem guten Leben für alle. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Dennoch: Kurz nach Eröffnung der SurVivArt-Ausstellung fand am 8. und 9. Februar in Berlin die Konferenz Radius of Art statt, die den Dialog zwischen Kultur, Wissenschaft und Politik fördern und einen Ideenaustausch ermöglichen wollte. In zahlreichen Workshops und Foren kamen Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus verschiedenen Regionen der Welt zusammen, um neue Lebensformen vorzustellen und die Rolle von Kunst und Kultur darin zu diskutieren. Dort zeigt sich: Durch den spielerischen Umgang mit Ideen, durch die Schaffung von Utopien kann Kunst dazu beitragen, dass neue Herangehensweisen entwickelt und andere Zugänge zur Gesellschaft und zum guten Leben eröffnet werden.

Näheres auf www.survivart.org, www.radius-of-art.de/conference

Die bolivianische Künstlerin und Kulturmanagerin Valia Carvalho lebt seit 2008 in Berlin. Björn Ecklundt arbeitet im Internationalen Ökologiereferat der Heinrich-Böll-Stiftung. Beide haben das Konzept des Kunstprojekts SurVivArt mitentwickelt und betreut.

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