Kuba: Exil, Bezugsschein und Machismo

Von Sandra Weiss · · 2000/06

Familienstrukturen wurden auf Kuba zuerst vom Sozialismus neu definiert: durch Bildung für alle, durch Emanzipation und Berufstätigkeit der Frauen. Dann kam die Wirtschaftskrise, die viele Errungenschaften wieder über den Haufen warf. Und die Familien müs

Aleida tobt mit ihrem Mischlingswelpen Tito ausgelassen über den Malecón, die Strandpromenade Havannas. Sie hat große, traurige Augen, die mit ihrem breiten Lachen kontrastieren. Aleida ist 17 und lebt zusammen mit der Familie ihrer Tante Ileana in einem 40 m˛ großen, baufälligen Appartement in der Altstadt. Tito ist ihr Ein und Alles. „Meine Mutter? Die ist in den USA, mit ihrem neuen Lebensgefährten“, sagt Aleida kurz angebunden. Ihren Vater hat sie nie kennen gelernt. Er setzte sich mit einer anderen Frau in die USA ab, als sie noch ein Säugling war und kümmerte sich nicht mehr um seine Tochter.

Es geht Aleida nicht schlecht. Die Familie ihrer Tante sorgt sich um sie, die Grundnahrungsmittel bekommt sie für ein paar Pesos auf Bezugsschein, und in Kuba „unerschwingliche Luxusgüter“ wie Shampoo oder ab und zu eine Süßigkeit kann Aleida mit den Dollars kaufen, die ihre Mutter aus Miami schickt. Im nächsten Jahr macht Aleida Matura und will dann „etwas Nützliches“ studieren. Englisch oder Betriebswirtschaft, weil man damit die besten Chancen hat, im boomenden Tourismusgeschäft unterzukommen und mehr als den üblichen Durchschnittslohn von 250 Pesos (knapp 25 US$) zu verdienen. Trotzdem: Auch wenn es sich Aleida nicht gleich anmerken lässt, leidet sie sehr unter der Trennung von ihren Eltern.

Die Familie – und darunter fällt alles von der Großtante bis zum Bruder des Schwagers – ist auf Kuba Dreh- und Angelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Unter Verwandten wird gefeiert, gestritten und sich gegenseitig geholfen, was insbesondere seit der Wirtschaftskrise Ende der achtziger Jahre überlebenswichtig geworden ist. Während der Onkel auf dem Land dem Rest der Sippschaft ab und zu Obst und Fleisch besorgt, schickt der als Hotelboy arbeitende Neffe Seife in die Provinz.

Doch kaum eine Familie auf Kuba ist noch vollzählig. Nach dem Triumph Fidel Castros 1959 verließen Hunderttausende, vor allem wohlhabende Kubaner fluchtartig die „Bastion des Kommunismus“. Aber auch in späteren Jahren riss der Auswanderungsstrom nicht ab. In behelfsmäßig zusammengezimmerten Flößen versuchten jedes Jahr Tausende, die knapp 200 Kilometer entfernte Südküste der USA zu erreichen. Dort bekamen sie automatisch Asyl. Diese Politik änderte sich erst, als der Flüchtlingsstrom mit der Wirtschaftskrise massiver wurde. Nun gibt es kein automatisches Asyl für Kubaner mehr, jeder Ausreisewillige muss einen Antrag bei der US-Interessensvertretung in Havanna stellen. Rund eine Million KubanerInnen versuchen das jedes Jahr; nur einem Bruchteil von ihnen gelingt jedoch der legale Sprung über die Meerenge von Florida.

Oft ist die Trennung nicht nur räumlich sondern auch politisch. In Miami sitzt eine besonders eingefleischte, Castro-feindliche Exilgemeinde, die jeden Neuankömmling zu vereinnahmen sucht. Ein moderater Kurs gegenüber dem „Diktator Castro“ wird nicht geduldet; wer sich der radikalen Linie nicht anschließt, ist ein Verräter. Viele Familien sind daran zerbrochen, es gibt Brüder und Schwestern, die kein Wort mehr miteinander wechseln.

Es ist nicht einfach“, seufzt Aleidas Tante Ileana ihren Lieblingssatz. Ihr zweitliebster Satz lautet: „Irgendwie werden wir das Problem schon lösen.“ Damit meint sie keineswegs die verfahrenen Beziehungen zwischen den USA und Kuba, sondern so alltägliche Dinge wie Busfahren, Schuhe kaufen oder kochen. Seit der Wirtschaftskrise, im Parteijargon „Sonderperiode“ genannt, liegt wegen Benzinmangels der öffentliche Nahverkehr darnieder. Die staatlichen Lebensmittelläden, die „bodegas“, sind nur noch spärlich bestückt. Zwar stehen jedem Kubaner ein kleines Brot täglich sowie zweieinhalb Kilogramm Reis, 14 Eier, 500 Gramm Fisch, 500 Gramm Fleisch und 500 Gramm Bohnen pro Monat zu, aber „selbst wenn es das alles gibt, bekomme ich meine Familie davon nicht satt“, sagt Ileana.

Die kleine, resolute Frau ist Mitte 40, zum dritten Mal verheiratet und hat drei eigene Kinder. Ihr Mann arbeitet in einer staatlichen Behörde und verdient den Durchschnittslohn. Da der bei weitem nicht ausreicht, hat die gelernte Ärztin einen Putzjob in einem Hotel in Havanna angenommen. Von den paar Dollar Trinkgeld pro Woche kann sie ihrer Familie Kleider und Schuhe kaufen und sogar ab und zu an den Strand fahren. Ileanas Mann Jorge hatte zunächst Schwierigkeiten mit der neuen Rolle seiner Frau. Er wurde aggressiv, trieb sich nächtelang mit Freunden herum und kam betrunken nach Hause. Inzwischen haben sich die beiden wieder zusammengerauft.

Der Tourismusboom Anfang der neunziger Jahre eröffnete vor allem den Frauen neue Verdienstmöglichkeiten – sei es als Putzfrau, als Kellnerin oder auch als „Begleiterin auf Zeit eines ausländischen Touristen“. Die Gleichstellung der Frau im Arbeitsleben war zwar durch die Revolution stetig vorangeschritten, doch unterschwellig lebt der „Machismo“ in der Gesellschaft weiter. Fremdgehen etwa ist für kubanische Männer eine Selbstverständlichkeit – und da die Abtreibung in Kuba legal und kostenlos ist, auch nahezu folgenlos. Dass sich die Kubanerinnen aber nun lieber zahlungskräftige Ausländer suchen, schmerzt manche Macho-Seele sehr.

Sandra Weiss ist freie Journalistin mit dem Spezialgebiet Lateinamerika und lebt derzeit in Mexiko.

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