Krieg der Zivilisationen?

Von Werner Hörtner · · 2001/11

Warum der Kreuzzug des Westens gegen den „islamistischen Terror“ auf muslimischer Seite nur zu leicht alte Erinnerungen weckt.

In Maara kochten unsere Leute die erwachsenen Heiden in Kesseln, zogen die Kinder auf Spieße und aßen sie geröstet.“ Unsere Leute waren die Franken, d.h. die abendländischen Kreuzfahrer, denen Papst Urban II. Nachlass auf alle Sündenstrafen gewährt hatte. Die hier zitierte Aussage stammt übrigens vom fränkischen Geschichtsschreiber Raoul de Caen, der das christliche Eroberungsheer auf seinem ersten Kreuzzug begleitete.

Die BewohnerInnen der südsyrischen Stadt Maara hatten sich am 11. Dezember 1098 dem belagernden Kreuzritterheer ergeben. Frankenführer Bohemund hatte versprochen, ihr Leben zu verschonen, wenn sie den Verteidigungskampf einstellten.

Es folgte ein drei Tage andauerndes Schlachten, bei dem fast alle EinwohnerInnen der Stadt – etwa zehntausend Menschen – niedergemetzelt wurden. Und nicht wenige von ihnen … siehe einleitendes Zitat. Seither werden die Franken in den Heldenliedern des Nahen Ostens als Menschenfresser beschrieben.

Ein halbes Jahr später eroberte das Kreuzfahrerheer Jerusalem. Nach zweitägigem Morden gab es in der Stadt keinen einzigen Muslim mehr. Und um reinen Tisch zu machen, räumten die pauschal als Franken bezeichneten abendländischen Eroberer auch gleich mit der jüdischen Gemeinde auf: Sie wurde in der Synagoge, wo sie sich einem alten Brauch gemäß versammelt hatte, verbrannt, und wer zu flüchten versuchte, wurde in den Straßen erschlagen.

Schnee von gestern? Nachdem der Türke Mehmet Ali Agça im Mai 1981 auf den Papst schoss, erläuterte er in einem Brief seinen Beweggrund dahingehend, dass „Johannes Paul II. der Oberste Kriegsherr der Kreuzritter“ sei und er deswegen beschlossen habe, ihn zu töten. Die Zeit der Kreuzzüge ist in der kollektiven Erinnerung der Muslime immer noch sehr lebendig, und die politischen Demütigungen durch die US-Politik genau so wie die McDonaldisierung, der globale Siegeszug von Hamburger und Mickey Mouse, binden sich nahtlos in dieses Trauma von Entwürdigung und Kränkung durch die westliche Welt ein.

Diese historischen Reminiszenzen stellen natürlich keine Entschuldigung dar für die Anschläge vom 11. September und den „Heiligen Krieg“ muslimischer Eiferer. Doch etwas Geschichtsunterricht dürfte einigen unserer Intellektuellen und Politiker nicht schaden. Denn es ist gelinde gesagt zum Sich-Übergeben, wenn ein gewichtiger Vertreter des heimischen Klerus gleich eine „Überwachung“ aller Anhänger des Islam in Österreich verlangt und wenn der Regierungschef eines der wichtigsten EU-Länder sich öffentlich darüber erfreut zeigt, dass wir, die Zivilisierten, „fortfahren, die Welt zu verwestlichen und Völker zu erobern“.

Auch wenn bei uns derzeit der Heilsweg zum Paradies nicht gerade über ein Schlachtfeld verläuft (was zur Zeit von Ketzerkriegen, Judenpogromen und Inquisition durchaus der Fall war): die pauschale Verurteilung anderer Religionen und Weltanschauungen ist ein bewährter Nährboden dafür, dass die terroristischen Provokationen der einen Seite tatsächlich in einen inter-kulturellen und inter-religiösen Konflikt ausarten. Genau so, wie es sich die Provokateure wünschen.

Wir wollen Sie besonders auf das Schwerpunktthema in diesem SÜDWIND hinweisen: Es geht um den globalen Widerstand als Ausdruck eines wachsenden Unbehagens über die weltweit vorherrschende Wirtschaftsphilosophie und -politik.

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